Archiv der Kategorie: AnStiftertexte

Nachruf
Walter Häcker gestorben: Engagement für Arbeitslose und Streuobstwiesen

Einen ihrer MitDenker haben die AnStifter verloren: Walter Häcker ist am 5. August gestorben. Sein wichtiges Anliegen war die Förderung des Gemeinschaftsgedankes, sein Eintreten für gelebte Solidarität. Vor dem Hintergrund der sozialen Probleme war es Walter Häcker ein Anliegen, dass sich auch die AnStifter um die Lage von Arbeitslosen, überhaupt mit Menschen, die soziale Probleme haben, kümmern. mehr…

Nachruf für Wolfgang Manuel Simon

Wolfgang Simon in Amazonien
Wolfgang Simon (dritter von links) 2015 in Amazonien

Die AnStifter trauern um Wolfgang Manuel Simon, der am 2. August gestorben ist.

„Woma“, wie wir ihn nannten, war von Anbeginn an unserem Bürgerprojekt verbunden. Sowohl als aktives Mitglied der Steuerungsgruppe, als auch regelmäßig in der Vorbereitung und Durchführung unserer Friedensgala im Theaterhaus zur Verleihung des Stuttgarter Friedenspreises. Des öfteren haben wir uns bei ihm zuhause für Sitzungen und Feste getroffen.

Doch Woma war nicht nur bei den AnStiftern aktiv. Er war Gründungsmitglied und Vorsitzender des Vereins für Gentechnik- und pestizidfreie Landkreise Ludwigsburg – Rems-Murr und organisierte zahlreiche Aktionen und Veranstaltungen.

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Nachdenktag bei AnStifters

Es ist der letzte Januar-Samstag 2019, als sich über 50 Anstifter-Aktive im Clara-Zetkin-Haus der Naturfreunde in Sillenbbuch treffen.
Draußen Schnee, drinnen heiße Köpfe vom Nachdenken darüber, wie die Welt in ein paar Jahren oder auch erst in Generationen aussehen könnte.

Gerd Rathgeb

Zentraler Veranstaltungspunkt des Vormittages ist der Impulsvortrag von Gerd Rathgeb, der sich mit unserer „imperialen Lebensweise“ befasst und hinter deren schöne Fassade blickt (den Wortlaut des Vortrags findet ihr im Anschluss an den Blogbeitrag).

Nach einer deftigen Erbsensuppe aus der Waldheimküche – wer nachdenkt braucht auch Nervennahrung – geht die Arbeit in kleineren Gruppen zu spezifischeren Inhalten weiter.

Die AnStifter*Innen einigen sich auf vier Arbeitsgruppen zu folgenden Themen:
AG 1: Imperiale Lebensweise – Menschenrechte – Aktionen
AG 2: Demokratie und Schule
AG 3: Populismus – Parteien – Perspektiven gegen Rechts
AG 4: Strukturen – Beteiligungen in Gremien

Peter Grohmann

Der Tenor ist eindeutig: Menschenrechte müssen vor Unternehmensrechten stehen; es ist notwendig, Bündnisse einzugehen und Netze zu knüpfen; demokratische Rechte müssen vermittelt und genutzt werden; lasst uns Sand im Getriebe der Mächtigen sein! Viel Mut und gute Ideen für die weitere Arbeit, die verwirklicht werden wollen.

Das letzte Wort hat Peter Grohmann. Gemeinsam mit den Teilnehmer*Innen zieht er eine positive Bilanz des Tages und macht klar, dass wir AnStifter und AnStifterinnen auch in der Zukunft unsere ganz konkreten, fassbaren Beiträge für eine bessere Welt leisten werden. Vormerken könnt Ihr Euch schon mal den Demokratiekongress am 13. April im Literaturhaus.
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Vortrag von Gerd Rathgeb

U. Brand / M. Wissen: Imperiale Lebensweise
Stephan Lessenich: Neben uns die Sintflut

Es ist ein charakteristisches Merkmal von Imperien, weite Teile des Planeten zu beeinflussen, ohne dass sich die Bevölkerung des Imperiums dieses Einflusses bewusst wäre – oder dass sie auch nur von der Existenz vieler der betroffenen Orte wüsste.“ (Rob Nixon)

Die internationale Arbeitsteilung besteht darin, dass einige Länder sich im Gewinnen und andere im Verlieren spezialisieren.“ (Eduardo Galeano)

Kein Gemeinsames ist möglich, sofern wir uns nicht weigern, unser Leben und unsere Reproduktion auf dem Leid anderer zu gründen und uns als von ihnen getrennt wahrzunehmen.“ (Silvia Federici – emeritierte Professorin für politische Philosophie)

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Peter Grohmann am 20.9.2018 im Literaturhaus Stuttgart
Ein Abend für Roland Ostertag

Roland Ostertag

Ich stelle mir vor, was wohl unseren Freund Roland Ostertag bewegt haben würde in diesen letzten Monaten.

Vieles haben wir ja gemeinsam erfahren und getragen und erstritten in den letzten Jahrzehnten. Es war aber eben nicht nur der Kampf für eine lebenswerte Stadt, für eine neue Mobilität, für einen anderen Umgang mit den Ressourcen, der ihn und uns beschäftigte.

Es waren nicht nur die ausgetüftelten Alternativen für einen anderen, neuen, besseren Bahnhof, für lichtdurchflutete Hallen, für einen Bahnhofvorplatz, den Menschen und nicht dem Kommerz zugewandt ist.

Es war nicht nur die Machbarkeitsstudie aus eigener Tasche, mit der Roland Ostertag nachgewiesen hat, wie wenig es letztlich kosten würde, die Quellen des Nesenbachs wieder in die Stadt zu locken – auch das Wasser sollte oben bleiben. Dort wär‘ es gut aufgehoben.

Es war kein Hang zu alten Zeiten, der ihn trug, sondern der Blick auf die Menschen und ihre Umgebung, auf verunstaltete, hässliche Plätze und Häuser, auf Einkaufszentren, die dem Handel den Boden entziehen.

Vor rund 60 Jahren gehörte er zu den Akteuren der Gesamtdeutschen Volkspartei, wie Gustav Heinemann oder Johannes Rau, Erhard Eppler, Helene Wessel, Robert Scholl und unterstützte deren demokratische, pazifistische und auf Versöhnung gerichtete Politik.

Die Partei (GVP) hatte kein Glück, aber ihren Maximen, ihren Werten blieben die Gründerinnen immer verpflichtet. Der Blick auf die Mensch also, und das Wichtigste: das Bewusstsein, den Geist, der die Stadt bestimmt, zu ändern. Nichts verschweigen, nicht schweigen, nicht wegschauen, sich einmischen, einbringen, anstiften und Alternativen aufzeigen. Charakter also, Haltung zeigen, das war sein Credo. Ich meine, daran fehlt es heute.

Als Mitbegründer der AnStifter hätte ihn in diesen Tagen die Aktion Vielfalt – Stuttgart für Menschenrechte gefreut, die genau das ausdrückt.

Vielfalt – eine bürgerschaftliche Initiative, die vom 10.11. bis 10.12.2018 darauf hofft, dass die Bürgerinnen und Bürger die Demokratie schützen und die Zivilgesellschaft stärken – für das Recht, Mensch zu sein, gegen Populismus, Vielfalt statt Einfalt, Haltung statt Maulhalten.

So wie die Stadt muss der Mensch in diesen Zeiten Charakter zeigen.

Ganz in Roland Ostertags Sinne bitte ich Sie und Euch, füreinander, für die Demokratie und für die Menschenrechte da zu sein – und unsere Aktion nach Kräften zu befördern –

individuell und finanziell, mit Ihren Namen, durch Ihr Engagement.

Stuttgart für Menschenrechte –

es lohnt sich, die freiheitliche Verfassung zu schützen.

„Nie wieder Sant’Anna“
Zum zweiten Mal deutsch-italienisches Workcamp „Campo della Pace“

Vom 5. bis 14. August 2018 kamen junge Menschen im Alter zwischen zwischen 17 und 27 Jahren aus Deutschland und Italien in Camaiore und Sant’Anna di Stazzema (Toskana, Italien) zusammen, um sich mit der Geschichte der deutschen Besatzung Italiens und dem SS-Massaker von Sant’Anna di Stazzema am 12. August 1944 auseinanderzusetzen.

Begleitet wurden die 17 Teilnehmenden während des zehntägigen Projekts durch ein deutschitalienisches Team. Ein Historiker, eine Künstlerin und Erinnerungspädagogen organisierten ein vielseitiges Programm, das eine multiperspektivische Annäherung an das Thema ermöglichte. Entlang historischer Pfade wanderte die Gruppe gemeinsam zu dem Bergdorf Sant’Anna di Stazzema. Es fanden mehrere Begegnungen mit Zeitzeuginnen und Zeitzeugen statt. Zum Abschluss des Workcamps wirkte die Gruppe an der offiziellen Gedenkfeier zum 74. Jahrestags des Massakers aktiv mit.

Das „Campo della Pace“ („Friedenscamp“) konnte durch die finanzielle und administrative Unterstützung der Naturfreundejugend Württemberg, der Initiative Lern- und Gedenkort Hotel Silber e. V., der AnStifter Stuttgart e. V., dem Land Baden-Württemberg, privaten Spendern, der Associazione Martiri di Sant’Anna und dem Parco Nazionale della Pace sowie dem Museo storico della Resistenza (Sant’Anna di Stazzema) bereits zum zweiten Mal nach 2017 realisiert werden. Die Landeszentrale für politische Bildung fördert die Vor- und Nachbereitung. Ein besonderer Dank gebührt den Überlebenden Siria und Adele Pardini, Enio Mancini und Enrico Pieri.

Das langfristig angelegte Workcamp-Projekt, bei dem junge Menschen aus Deutschland und Italien sich umfassend mit den Verbrechen des Nationalsozialismus und des Faschismus auseinandersetzen, aber auch über die Bedeutung von Frieden und einem vereinten Europa reflektieren, soll auch den Austausch junger Menschen beider Länder verstärken und das Interesse fördern, die Zukunft Europas aktiv mitzugestalten.

Im Auftrag des Workcamp-Teams: Petra Quintini

Friedenscamp Sant Anna 2018
Rede von Chiara Bertolli

 

REDEBEITRAG CAMPO DELLA PACE 2018 Gedenkfeier 12.08.2018 – Sant’Anna di Stazzema (vorgetragen von Chiara Bertolli)

“Nie wieder Sant’Annas”, diese Worte, die Enrico Pieri häufig ausspricht, sind für uns von großer Bedeutung. Es sind einfache und klare Worte, die aber unsere Wünsche und Hoffnung ausdrücken, dass sich Ereignisse wie diese niemals wiederholen mögen. Und genau dafür setzen wir uns im Campo della Pace ein.

Das Campo della Pace, das sind wir, 17 junge Weltbürger, die in Italien und Deutschland leben und sich an diesem Ort, in Sant’Anna di Stazzema, treffen, einem Ort, an dem Schreckliches geschehen ist. Wir versuchen zu verstehen, wie es dazu kommen konnte und erarbeiten uns die Geschichte aus ganz unterschiedlichen Perspektiven.

Wir hatten das große Glück mit den Überlebenden Enio Mancini, Adele und Siria Pardini sowie Enrico Pieri sprechen zu können und dabei ist uns klargeworden, dass wir eine Verpflichtung haben, uns ihrer Berichte zu erinnern, denn es bleibt nicht mehr viel Zeit und es wird nicht mehr viele Gelegenheiten geben, die Überlebenden selber zu treffen, mit ihnen zu sprechen und von ihnen zu lernen. Ein ganz besonderer Moment war für uns, als Enio Mancini uns sein Buch „Sant’Anna di Stazzema – 12.08.1944 – sie haben es auch Dir angetan“ überreicht hat, denn damit hat er seine Erinnerungen in unsere Hände übergeben.

Das von uns gestaltete Banner spiegelt unsere Erfahrungen und Reflektionen dieser Woche wider und unsere Botschaft, die wir in die Welt rufen möchten: Unser Aufruf für Menschenrechte, Brüderlichkeit und Frieden.

Die 12 Kinder, die sich an der Hand fassen und einen Ringelreihen tanzen, erinnern zum einen an das Foto von Sant’Anna di Stazzema, das auch ein bekanntes Symbol geworden ist, stehen aber auch für die 12 Sterne der europäischen Fahne. Dies drückt unseren Wunsch nach einem gemeinsamen Europa aus, in dem man sich einander wieder die Hand reicht um die Probleme unserer Welt zu lösen, was nur gemeinsam zu schaffen ist.
Die Taube als Symbol des Friedens haben wir mit den Abdrücken unserer Hände geformt. Damit wollen wir ausdrücken, dass jeder von uns die Verantwortung hat, die Erinnerung weiter zu tragen und die Menschenrechte zu schützen.

Das Zitat “Nie wieder Sant’Annas” haben wir in den Farben des Regenbogens geschrieben, denn diesen Satz verstehen wir als optimistische Vision der Zukunft und der Welt. Wir möchten nicht, dass Sant’Anna ein bloßer Ort der Trauer und des Schmerzes bleibt, es soll vielmehr ein Ort sein, der uns hilft zu erkennen, wie wir gemeinsam in Frieden und Harmonie leben können. In einer bunten Welt der Vielfalt.

 

 

 

Aslı Erdoğan mit dem Stuttgarter FriedensPreis geehrt

Es ist ein Zufall der passt: der 10. Dezember ist der internationale Tag der Menschenrechte. An diesem Sonntag haben die AnStifter die türkische Schriftstellerin Aslı Erdoğan mit dem Stuttgarter FriedensPreis für ihren Mut, über die Wahrheit zu schreiben, geehrt. Im Stuttgarter Theaterhaus nahm ihr Verleger Wolfgang Ferchl den Preis entgegen. Aslı Erdoğan konnte an der Veranstaltung leider nicht teilnehmen, weil auf dem Weg nach Stuttgart ein Verkehrsunfall sie zur Umkehr zwang. Die Moderation hatte Sidar Carman von der DIDF übernommen.

(Der Stuttgarter Friedenspreis wurde von der Vorsitzenden der AnStifter, Dr. Annette Ohme-Reinicke, an den Verleger von Aslı Erdoğan, Wolfgang Ferchl, übergeben. Im Bild von links: Moderatorin Sidar Carman, Wolfgang Ferchl, Dr. Annette Ohme-Reinicke und Laudatorin Elisabeth Abendroth.)

(Bei der Preisverleihung zeigte das Publikum Plakate mit den Namen von 150 in der Türkei verhafteten Journalistinnen und Journalisten und demonstrierte damit für ihre Freilassung und für Pressefreiheit.)

Während der FriedensGala demonstrierte das Publikum mit dem Zeigen von Namensschildern Solidarität mit all jenen, die in der Türkei noch immer verfolgt werden. Die Laudatorin, Elisabeth Abendroth zitierte Aslı Erdoğan: „An einem Verbrechen nicht Mittäter zu sein, ist mehr als ein Recht oder eine Pflicht, unser eigentlicher Daseinsgrund. Wir Heutigen begehen unser eigentliches Verbrechen dadurch, dass wir weghören und schweigen. Nicht nur zu den Ereignissen von 1915 und 1938, sondern auch zu dem, was heute geschieht, in dieser Stunde…“ – Sätze, die als Hilferuf, vor allem aber als Appell verstanden werden sollten.

Traditionell beendet wurde die FriedensGala von Peter Grohmann mit „Mein letztes Wort“. Seine Lagebeurteilung ist eindeutig, leider sehr unerfreulich: Unsere Freiheit ist in Gefahr; autoritäre Bestrebungen nehmen zu. Deshalb, so Grohmann: „Und jetzt, Leute, Freunde, Bürgerinnen: Wir müssen noch einmal aufstehen. Das ist unsere Erzählung: Die von Freiheit, Gleichheit und Geschwisterlichkeit. Die von Frieden, Solidarität und Gerechtigkeit, davon, dass das eine nicht ohne das andere geht. Das sind die besseren Ideen. Es sind keine Erzählungen von gestern, sondern die von morgen. Auf nach Utopia. Wir dürfen träumen. Es sollen Träume sein von einem anderen Leben, die jeder Mensch nachträumen kann. Aber dann stehen wir auf!“

Text Hermann Zoller, Fotos Joe Röttgers, Michael Seehoff, Hermann Zoller

Nicht wählen gehen – keine gute Entscheidung

Haben Sie Vertrauen in die Parteien? Am 24. September haben wir jedenfalls mal wieder Gelegenheit, unsere Stimmungslage mit zwei Kreuzchen zu Papier zu bringen. Aber es gibt nicht wenige Bürgerinnen und Bürger, die meinen, dass das doch alles nichts bringt, dass man den Politiker*innen eh nicht trauen kann – und man deshalb am besten zu Hause bleibt, um auf diese Weise wenigstens seine Verachtung zu zeigen. Diese Haltung kann man menschlich verstehen, aber die Konsequenz daraus, Wahlverzicht zu üben, bewirkt genau das Gegenteil von dem, was man eigentlich erreichen möchte – vereinfacht gesagt: die nicht abgegebene Stimme schlägt sich auf dem Konto gerade jener Parteien nieder, die man bestrafen möchte.
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Warum wählen Menschen rechts?

Nicht nur in Deutschland, in ganz Europa gibt es einen starken Trend nach rechts. Hierzulande steht in erster Linie die AfD im Blickfeld. Wer allerdings nur auf diese politische Gruppierung schaut, der übersieht viel. Der Rechtsschwenk ist umfassender und schlägt sich nicht nur in Fremdenfeindlichkeit, sondern beispielsweise in der Vermarktung nahezu aller Lebens- und Politikbereiche nieder. Vor diesem Hintergrund ist die von der Hans-Böckler-Stiftung vorgelegte Untersuchung „Spurensuche nach Gründen für rechtspopulistische Orientierung“ interessant. Auch wenn sie sich auf die AfD konzentriert, so gräbt sie aber doch nach den Ursachen. Und diese gehen in ihrer Bedeutung über die Frage nach der Wahlentscheidung hinaus. mehr…

Dr. Annette Ohme-Reinicke
Rede zum Neujahrsempfang der AnStifter am 5.1.2017

In die Hände spucken für ein Wunder-volles Jahr

Hallo und willkommen im neuen Jahr!

Das Jahr 2017 ist selbstverständlich eine Erfindung.

Lebten wir in Nepal, hätten wir jetzt das Jahr 2073, das neue Jahr beginnt dort erst im April. Im Iran zählen sie gerade das Jahr 1395.

Und in Taiwan beginnt jetzt das Jahr 105, wegen der Gründung der Republik China 1912. Hätten wir noch die Zählung der ersten Republik der Weltgeschichte, dann wären wir jetzt weiter, nämlich im Jahr 2770. Die Gründung der Stadt, „ab urbe condita“, diente der römischen Republik als Beginn ihrer Zeitrechnung. Vielleicht könnte man das ja in der ein oder anderen Weise mit der Forderung nach „Recht auf Stadt“ zusammenbringen. Und mancher ernst zu nehmende Philosoph meint ja, es sei durchaus zweifelhaft, ob das römische Imperium überhaupt untergegangen ist.

Im Jahr 368 befänden wir uns, wenn wir die Zeitrechnung der Französischen Revolution, den republikanischen Kalender, beibehalten hätten. Von 1792 bis 1805 zählte man das Jahr I der Freiheit, dann das Jahr II der Freiheit, das nächste als ein Jahr der Gleichheit und so weiter. Dummerweise hatten die Revolutionäre eine 10-Tage-Woche eingeführt. Es gab also nur alle 10 Tage einen Feiertag und das fanden die Leute nicht so gut.

Hätte sich der „ewige sowjetische Revolutionskalender“ durchgesetzt, dann wären wir jetzt im Jahr 98. Aber auch diese Zeitrechnung kam nicht gut an. Denn in Russland wurde mit dem neuen Kalender der allgemeine Wochenrhythmus aufgelöst und der Alltag der Menschen an die Industrieproduktion angepasst. Als viele Leute am Sonntag – den es offiziell gar nicht mehr gab – nicht mehr zur Arbeit kamen, wurde die Zeitrechnung 1940 wieder abgeschafft.

Besonders weitsichtig, was die Berechnung von Zeit angeht, waren die Maya-Indianer. Ihre Zählung ging von 3114 v. C. bis mindestens 4772 n. C. Genauere Auskünfte sind leider verlorengegangen. Denn die christlichen Eroberer aus Europa waren religiöse Fundamentalisten. Sie massakrierten nicht nur die Ureinwohner Lateinamerikas, sondern zerstörten – gleich islamistischer Terroristen – auch die kulturelle Stätten und Erfindungen der Mayas, wie etwa deren Kalendersysteme.

Glücklicherweise wurde auch in Stuttgart eine neue Zeitrechnung erfunden. Allerdings können wir damit kein neues Jahr anfangen, sondern wir müssten in Wochen feiern: Gerade befinden wir uns in der 335. Aktionswoche gegen „Stuttgart 21“.

Wann Jesus von Nazareth geboren wurde steht übrigens nicht so genau fest. Klar ist nur: Es war nicht vor 2017 Jahren, sondern vermutlich vor 2021 Jahren. Wir sind also mit unserer Zählerei verordneter Maßen irgendwie immer zu spät.

Wie dem auch sei: Grundsätzlich ist es gut und richtig, davon überzeugt zu sein, dass etwas Neues bevorsteht, zum Beispiel ein neues Jahr. Denn das Neue grenzt sich vom Alten ab und darin steckt die Erwartung und vielleicht auch die Erfahrung der Möglichkeit, dass es besser werden kann. Warum sonst sollten wir das Neue begrüßen?

Und was zeitrechnerisch ganz klar ist: Wir befinden uns im Jahr 28. Im Jahr 28 der AnStifter. Denn die wurden 1989 gegründet, das steht fest. Was für eine großartige Orientierungshilfe!

Wenn man sich anschaut, was sich in diesem guten viertel Jahrhundert verändert hat, kann man nur sagen: Gut, dass es Initiativen wie die Anstifter gibt, wer weiß, was sonst noch alles passiert wäre.

Selbstverständlich stellt sich die Frage: Was haben wir von diesem neuen Jahr zu erwarten und was dürfen wir hoffen?

Ziemlich sicher ist: Es wird gewählt werden. Die Bundestagswahl im September wird wahrscheinlich – wieder einmal – die Frage nach dem geringsten Übel stellen. Es ist zu befürchten, dass wieder einmal der Streit für Mehrheiten als wichtiger erklärt wird, als eine Auseinandersetzung um die Wahrheit. Gerade in solchen Zeiten braucht es ein Anstiften zum Selber-Denken.

Wahrscheinlich wird auch im kommenden Jahr der Abstand zwischen Arm und Reich noch größer werden. Immerhin gibt es inzwischen Experimente mit dem Grundeinkommen, etwa in Finnland oder Kanada. Solche Versuche sind wichtig, denn sie wirken auch gegen diffuse Furcht und Angst, die heute um sich greifen. Hass auf Unbekanntes, Misstrauen und Gewalt, gedeihen dann am besten, wenn die Angst vor der Zukunft wächst. Wenn etwa die Frage, ob man über die Runden kommt, ob es die Kinder schaffen, ein besseres Leben zu führen, ob man diese oder jene Leistung bringen kann, ob der Arbeitsvertrag verlängert wird, ob die Miete noch mehr steigt oder die Rente weiter gekürzt wird, wenn diese Fragen plötzlich das sind, worum sich das Leben dreht, dann entsteht diffuse Angst, manchmal Panik.

Denn dann wird man zum Zuschauer des eigenen Lebens und hat das Gefühl, sich selber hinterher zu rennen. Und jeder kennt wohl die Erfahrung, dass man als Zuschauer einer bedrohlichen Situation oft mehr Ohnmacht und Angst erlebt, als derjenige, der in irgendeiner Weise selbst am Geschehen teilnimmt und handeln kann. Sei es auch noch so brenzlig.

Der passive Zuschauer dagegen, auch der Zuschauer des eigenen Lebens, bleibt stets irgendwie im Dunkeln. Man sieht ihn nicht, er ist nicht öffentlich, er ist arm dran.

Der arme Mensch, so schreibt John Adams: „…tappt im Dunkeln. Die Menschen achten seiner nicht. Unbemerkt wandert und irrt er umher. Inmitten einer Menschenmenge, in der Kirche, auf dem Marktplatz … ist es so dunkel um ihn, als wäre er in einem Dachstübchen oder im Keller. Niemand missbilligt ihn, tadelt ihn oder macht ihm Vorwürfe; er wird bloß nicht gesehen … Einfach übersehen zu werden und sich dessen bewusst zu sein, ist unerträglich.“

Armut liegt nicht nur in materieller Not, sondern auch in der Dunkelheit des Nicht-Gesehen-Werdens, des Nicht-Teil-der-Öffentlichkeit-Seins, meint Hannah Arendt.

Aber wer wird sich der Aufgabe annehmen, gesellschaftliche Ausgrenzung, Hierarchien und soziale Ungerechtigkeit ins Licht der Öffentlichkeit zu holen, zu handeln und zum Handeln anzustiften? Eine Arbeiterbewegung, eine Bürgerbewegung, eine Studenten- oder Frauenbewegung, die Anstifter?

Der Philosoph Slavoj Zizek zitiert dazu einen bekannten Spruch der Hopi-Indianer: „Wir sind diejenigen, auf die wir gewartet haben.“

In diesem Sinn: Ein Wunder-volles neues Jahr!

*) Rede zum Neujahrsemfang der AnStifter am 5.1.2017 um 17 Uhr im Willi-Bleicher-Haus Stuttgart (DGB-Haus). Dr. Annette Ohme-Reinicke ist Philosophin und (die neue) Vorsitzende des Bürgerprojekts Die AnStifter (www.die-anstifter.de)

Stuttgarter FriedensGala
Das letzte Wort von Peter Grohmann

Peter Grohmann währen seiner Rede
Foto: Timo Kabel

Mit Blick auf die Kriege, auf Hunger und Not, auf Flüchlinge und Fluchtursachen sagt der heute 91-jährige Soziologe Zygmunt Baumann: „Es gibt keinen anderen Ausweg aus der Krise, in der sich die Menschheit befindet, als die Solidarität.“

Diesem Satz fühlen wir uns verpflichtet, wie auch der FriedensPreis und die Arbeit der AnStifter ganz praktisch unsere Idee beschreibt, unsere Arbeitsbasis. Von Alternativlosigkeit können nur jene reden, die schon aufgehört haben, zu leben.

Für die Verwirklichung und den Schutz der Menschenrechte zu streiten, für Gerechtigkeit also, für Solidarität und Frieden, das nannte Hannah Arendt das Recht, Rechte zu haben.
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Stuttgarter FriedensGala
Laudatio auf Jürgen Grässlin von Ute Scheub

Dr. Ute Scheub bei ihrer Laudatio
Foto: Joachim E. Röttgers

Lieber Jürgen Grässlin, verehrtes Publikum,

es ist mir eine Ehre und Freude, am heutigen Internationalen Tag der Menschenrechte die Laudatio auf Jürgen Grässlin halten zu dürfen. Nicht nur der Preisträger, zu dem ich gleich komme, auch der Preisverleiher ist etwas sehr Besonderes. Die umtriebigen AnStifter bringen mich Berlinerin zum Staunen mit ihrem Ausmaß an ehrenamtlich geleisteter Veröffentlichungs-, Veranstaltungs- und Bildungsarbeit. Das erscheint mir mehr, als die dicken fetten parteinahen Stiftungen mit ihren gutbezahlten Angestellten in der Hauptstadt hinkriegen. Hinzu kommt das einmalige Modell, dass jeder Mitstifter und jede Spenderin graswurzelig-basisdemokratisch mitabstimmen darf, an wen der Stuttgarter Friedenspreis verliehen werden soll. Dieser geht seit 2003 an Menschen und Projekte, die sich in besonderer Weise für Frieden, Gerechtigkeit und Solidarität engagieren. mehr…

Der AnStifter-Stuhl mit 3 Beinen

Eigensinn und Zivilcourage:
Das monumentale Werk in Holz „Broken Chair“ symbolisiert den Kampf gegen Landminen, in den auch „Die AnStifter“ involviert sind. Auf der Place des Nations gegenüber der UNO wird es nur auf drei Beinen basiert. Die NGO „Handicap International“ erinnert mit diesem Werk daran, dass die Landminen täglich viele Opfer fordern – und unser Einsatz weitergehen muss.

http://www.mycityhighlight.com/highlight/4146

Neue Nachricht von der Trägerin des Stuttgarter FriedensPreises Fatuma Abdulkadir

Am 1. März ist bei Ebbe Kögel folgende Nachricht der Trägerin des Stuttgarter FriedensPreises 2011, Fatuma Abdulkadir, eingegangen:

Dear Ebbe,

Receive greetings from sunny Kenya. I wanted to take this opportunity to say a big thank you to you in particular and to all those who contributed to the award. We have grown immensely since then and we were recently awarded the Beyond Sports Award in London UK. This was followed with a recognition in the national TV under the Strength of A woman….The Acacia tree of Peace.

Lieber Ebbe,

hier kommen Grüße aus dem sonnigen Kenia. Ich möchte die Gelegenheit nutzen, um insbesondere dir und allen, die für den Preis verantwortlich sind, ein großes Dankeschön zu sagen. Wir sind seitdem immens gewachsen und wir sind vor kurzem mit dem „Beyond Sports Award“ in London ausgezeichnet worden, gefolgt von der Anerkennung im nationalen Fernsehen unter dem Titel „Die Stärke einer Frau… der Akazien-Baum des Friedens“.

Zur Erinnerung: Fatuma Abdulkadir setzt sich seit vielen Jahren für die Verständigung zwischen den verfeindeten Volksstämmen in Kenia ein und trainiert mit Jungen und Mädchen Fußball. Sie möchte benachteiligten Kindern und Jugendlichen die Chance geben, anders zu leben und den Teufelskreis aus Gewalt und Rache zu durchbrechen- mit den Mitteln des Sports.

Hier die Links zu den Fernsehberichten über die Arbeit von Fatuma Abdulkadir: https://www.youtube.com/watch?v=1BhSXp-KAMY

https://hodiafrica.org/fatuma-abdulkadir-adan-the-story-of-hodis-founder/#.VtV8jvl95D8

Die 2011 zur Pressekonferenz für den Stuttgarter FriedensPreis ebenfalls anwesende Aktivistin für die Rechte der Kinder und Jugendlichen in ihrem Heimatland Kenia und Freundin Fatumas, Dr. Auma Obama, ist am 11. März anlässlich einer Benefizgala wieder in Stuttgart zu Gast. http://www.sautikuufoundation.org/sautikuufoundation.org/index.html

Giusi Nicolini, die „Löwin von Lampedusa“ erhält den Simone de Beauvoir Preis 2016

Nach dem Stuttgarter Friedenspreis der AnStifter im November 2015 erhielt Giusi Nicolini, die Bürgermeisterin der Mittelmeerinsel Lampedusa, am 14. Januar 2016 in Paris den mit 15.000 Euro dotierten Simon de Beauvoir Preis 2016. Er wird jedes Jahr am Geburtstag der bekannten französischen Philosophin für Fortschritte im Kampf für die Rechte der Frauen verliehen.

In ihrer Dankesrede sparte die „Löwin von Lampedusa“, wie sie in der Presseverlautbarung genannt wird, nicht mit harscher Kritik an der gegenwärtigen Flüchtlingspolitik der EU. Während die PolitikerInnen an den Särgen der 366 Ertrunkenen des Bootsunglückes vor Lampedusa vom 3.10.2013 geschworen hatten, dass niemand mehr im Mittelmeer ertrinken solle, bewirkt die Scheinheiligkeit der Politik und die Einstellung des humanitären Programms „Mare Nostrum“, dass weiterhin Hunderte die gefährliche Überfahrt über das Mittelmeer nicht überleben.

Das Publikum bedankte sich mit stehenden Ovationen für ihre Rede.

Das Preisgeld wird für den Aufbau eines Zentrums für die Betreuung traumatisierter Frauen verwendet werden.

Weitere Infos auf der Webseite – Université Paris Diderot-Paris 7 (leider nur in Französisch). Vielen Dank an Heidrun Friese für den Hinweis auf die Preisvergabe.

-ebbe-

Staufermedaille für AnStifter

Mit der vom Ministerpräsidenten verliehenen Staufermedaille würdigt das Land Baden-Württemberg herausragende Leistungen, die insbesondere im politischen, sozialen und kulturellen Bereich dem Wohl der Allgemeinheit dienen. Ausgezeichnet wurden dieser Tage Gudrun und Werner Schretzmeier und Peter Grohmann. Wir gratulieren zur höchsten Auszeichnung des Landes an die drei AnStifter und Theaterhausgründer.

Der Autor, Kabarettist und Publizist Peter Grohmann ist Gründer der AnStifter. Er habe sich um die politische Kultur, die Integration und das interkulturelle Verständnis verdient gemacht, so Staatssekretär Jürgen Walter. „Den vielfältigen Aktivitäten Peter Grohmanns ist der Einsatz gegen Rassismus, Geschichtsvergessenheit und Intoleranz gemeinsam. Damit macht er sich zu einem Sprachrohr für diejenigen, deren Stimmen sonst untergehen würden.“ Die Gründung des Club Voltaire und der Aufbau des Sozialistischen Zentrums seien hierbei wichtige Stationen gewesen. Für die AnStifter habe er im Jahr 2000 die Stiftung Stuttgarter Friedenspreis ins Leben gerufen, die seit mehr als zehn Jahren Menschen und Projekte, die sich für eine solidarische und friedliche Welt engagieren, auszeichnet. „Wir brauchen Menschen wie Peter Grohmann, die sich einmischen und in den öffentlichen Diskurs einbringen“, so der Staatssekretär. Er freue sich Woche für Woche über Grohmanns „Wettern“ in Kontext.

Peter Grohmann
Rede beim Neujahrsempfang der AnStifter

Zum traditionellen Neujahrsempfang der Anstifter, am 10.Januar im Württembergischen Kunstverein, stellte sich Peter Grohmann wieder den aktuellen Themen der Zeit. Hier seine Rede im Wortlaut:

Liebe Gemeinde,

jeder Dritte will Menschenmassen meiden- schlechte Aussichten also für Neujahrsempfänge, für Massendemonstrationen, Fußballspiele und Einkaufszentren wie das Milaneo. Let’s go!
Fürs Gewesene gibt der Jude nischt, sagte unser Freund Fritz Lamm gerne. Deshalb wenden wir uns dem Heutigen zu, dem Kommenden, ohne das Gewesene aus den Augen zu verlieren. Dazu gehört die Ausstellung über den Mitbegründer der AnStifter, den Performer und politischen Multi-Künstler albrecht/d im Württembergischen Kunstverein Stuttgart. So sehenswert wie „Die Bestie ist der Souverän!“

„Es sind widerwärtige, kriminelle Taten, die Deutschland nicht hinnehmen wird“, so Frau Merkel. Und am 9.1.16 fügte sie hinzu: „Wir erwarten von den Flüchtlingen den Willen zur Integration.“ Um hier anzuknüpfen: Wird der Wille zur Integration auch von den Sachsen erwartet? Oder von jenem größer werdenden Teil der Bevölkerung, der keine Ahnung davon hat, was im Grundgesetz steht, was das für den Alltag bedeutet, jenen Teil der Menschen, den der Geist des Grundgesetzes noch nie heimgesucht hat?

Frau Merkel und die Geisterredner des Grundgesetzes sprechen in diesen Tagen auch nicht über die Brandstiftungen, nicht über Dunkeldeutschlands Dunkelziffern, nicht über 200 Tote, nicht über die NSU-Morde. Die gütige Kanzlerin sprach auch noch nie über tausende Missbrauchsfälle von Kindern und Jugendlichen durch die Kirche – denn die Richter Gottes haben ihre eigenen Gesetze! Das Rechtssystem der Kirche ist so autonom wie die Regensburger Domspatzen. Die Kirche hat eine Paralleljustiz mit eigenen Gerichten und mit eigenen Juristen, die verbindliche Urteile fällen. Oder keine. Oder Freisprüche. Und natürlich wissen Sie: Frau Merkel sprach über das, worüber alle sprechen, über „Köln“.

Über Köln kann sprechen, wer den Blick öffnet: Unser Stuttgarter Ordnungsbürgermeister Martin Schairer, ist ein kluger Mann mit saudummen Vorurteilen. Er weiß natürlich aus der Geschichte des Christentums, dem er ja als CDU-Mitglied relativ nahesteht, dass wir damals bei den Kreuzzügen nicht zimperlich sein konnten, sonst wären wir nie in Jerusalem angekommen. Das war 1500 Jahre später, bei der Inbesitznahme der Welt durch die Kolonisatoren, auch nicht anders. Es ist wichtig, sich nach so langer Zeit daran zu erinnern: Wir waren ja die Akteure. Wir.

Kolonialismus bezeichnet die Ausdehnung der Herrschaftsmacht europäischer Länder auf außereuropäische Gebiete mit dem vorrangigen Ziel der wirtschaftlichen Ausbeutung. Klar, es gab auch missionarische Gründe für den Kolonialismus, etwa das christliche Wertesystem, im Vordergrund stand jedoch immer die Mehrung des Reichtums der Kolonialherren – und der Mutterländer.

1914 befand sich über die Hälfte der Weltbevölkerung unter dem Schirm der Christen. Obwohl die ehemaligen Kolonialstaaten nach dem 2. Weltkrieg formal unabhängig waren, blieben aufgrund der geschaffenen Strukturen- künstliche Grenzen, mangelhafte Infrastruktur, einseitige wirtschaftliche Orientierung etc.- kulturelle, wirtschaftliche und andere Abhängigkeiten bestehen. Und unter denen leider wir auch heute noch, nicht wahr? Wie wahr.

Hilfe, sie kommen. Und wir beten.

Stuttgarters Schairer fasst sich am 8. Januar 2016 so zusammen:
„Es ist wichtig, dass Menschen aus unterschiedlichen Kulturkreisen wissen, wie das Zusammenleben bei uns funktioniert.“
So so. Und wie funktioniert es denn so im Deutschen Kulturkreis?

Im Jahr 2014 wurden in Deutschland durchschnittlich zwei Kinder pro Woche getötet, 40 Kinder wurden jeden Tag Opfer sexueller Gewalt, zwölf erfuhren – pro Tag! – körperliche Gewalt.
Für ihre Polizeistatistik, Herr Schairer.
Die Zahl der Missbrauchsfälle bei den Regensburger Domspatzen aus unserem Kulturkreis liegt wesentlich höher, als bisher bekannt. Jeder dritte der 2400 Domspatzen wurde in den letzten 20 Jahren zum Gewaltopfer. Das ist eine Nachricht vom 7. Januar 2016.

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Rechte Krawalle in Freital – Update

Vor knapp zwei Wochen hatte wir in diesem Blog über rechte Krawalle in der sächsischen Kleinstadt Freital berichtet. Das dortige Landratsamt hatte ein leerstehendes Hotel in Freital zu einer Unterkunft für Asylbewerber gemacht. Als es zur Erstaufnahmeeinrichtung für 280 Geflüchtete gemacht wurde, waren die Proteste gegen die Unterkunft eskaliert. Lutz Bachmann kam mehrere Male nach Freital und mobilisierte in PEGIDA-Kreisen, offen rechtsradikale Gruppen kamen Tag für Tag. Ihnen stellten sich allerdings auch täglich Unterstützer der Geflüchteten entgegen. Sie formierten sich als Schutzwall vor der Unterkunft, die HipHop-Band „Antilopen Gang“ spielte spontan ein Soli-Konzert für Geflüchtete und deren Unterstützer in Freital.

Am vergangenen Montag wurde nun in Freital zur Bürgerversammlung geladen. Zu Gast auf dem Podium war unter anderem der Sächsische Innenminister Markus Ulbig (CDU). Anwesend waren zudem auch Stadträte der AfD und der NPD, fern blieb dagegen der neu gewählte Bürgermeister Uwe Rumberg (CDU). Der Bürgermeister und die Gemeinderats-Fraktionvorsitzenden der SPD/Die Grünen, CDU, AfD und der Bürger für Freital hatten vorab eine Erklärung gegen Menschenfeindlichkeit verfasst.

Zu den ersten Tumulten kam es schon vor der Versammlung. Vor dem Freitaler Kulturhaus kam es zu Unruhen, weil der Saal zu klein war und nicht alle Bürger in die Versammlung gelassen werden konnten. In der Versammlung waren Bild- und Tonaufnahmen untersagt, Medienvertreter durften aber in den Saal. Sie berichten von einer aufgeheizten Atmosphäre. Versammlungsteilnehmer, welche sich für die Asylbewerber stark machten, seien von den Gegnern niedergebrüllt worden. Als eine Frau sagte, dass sie sich für Freital schäme, soll ihr das Mikrophon abgedreht worden sein. Das ZDF interviewte am Rande der Versammlung einige Freitaler Bürger. Diese Bilder machen unangenehm deutlich, wie sehr die Stimmung in Teilen der Bevölkerung von Vorurteilen und Fremdenfeindlichkeit geprägt ist.

Für Aufsehen hatte auch Justus Ulbricht, der Moderator der Versammlung von der sächsischen Landeszentrale für politische Bildung, gesorgt. Dieser wird in der Sächsischen Zeitung mit den Worten zitiert: „Es gibt ja inzwischen einen überregionalen Anti-Asyl-Zirkus genau wie einen Pro-Asyl-Zirkus.“ Die Landeszentrale hat sich von dieser Aussage mittlerweile distanziert und entschuldigte sich bei den Menschen, welche sich für Geflüchtete einsetzen.

Im Zusammenhang mit den neuesten Entwicklungen in Freital führte der Deutschlandfunk ein interessantes Interview mit dem Historiker Wolfgang Benz. Dieser analysiert die Vorgeschichte der „Tragödie von Freital“ und erklärt wo die Verfehlungen der sächsischen Landesregierung im Umgang mit den fremdenfeindlichen Bewegungen im Land lagen und liegen.

Der Blog Perlen aus Freital sammelt Entgleisungen der Gegner der Asylunterkunft in den sozialen Netzwerken. Die Vice hat die besonders drastischen Beispiel in ein Top-10-Ranking gebracht.

Kundgebung
„Schluss mit dem Kaputtsparen Griechenlands – für ein solidarisches Europa!“

Am vergangenen Freitag haben die Neue Hellenische Gemeinde, Attac Stuttgart und die AnStifter eine Kundgebung mit dem Titel „Schluss mit dem Kaputtsparen Griechenlands – für ein solidarisches Europa!“ auf dem Stuttgarter Schillerplatz veranstaltet. Die Initiativen verfolgten mit dieser Kundgebung vor allem das Ziel, eine solidarische Haltung gegenüber dem griechischen Volk zu demonstrieren. Die deutschen Massenmedien hatten sich in den vergangenen Wochen immer schärfer gegen Griechenland gewandt und immer wieder suggeriert, dass es eine solidarische Haltung in Deutschland nicht gäbe. 500 Menschen kamen bei fast 40 Grad Hitze auf dem weitestgehend schattenlosen Schillerplatz. Sie hörten Reden von Anna Ioannidou (Neue Hellenische Gemeinde), Bernhard Löffler (DGB Nordwürttemberg) und Elke Schenk (Attac Stuttgart). Stefanos Psomas und Nikolaos Kalatidis bereicherten die Kundgebung mit Musik, die Moderation übernahm Fritz Mieler (Die AnStifter).

Die Rechtsanwältin und Übersetzerin Anna Ioannidou gab in ihrer Rede vor allem einen Einblick in die Lage innerhalb der griechischen Bevölkerung. Das Wirtschafts-, das Bildungs- und das Gesundheitssystem seien zusammengebrochen, die Arbeitslosenquote liege bei 30 %, unter jungen Menschen sogar doppelt so hoch. Doch die Probleme in der Arbeitswelt hörten bei den Arbeitslosenzahlen lange nicht auf, so Ioannidou. Der Durchschnittsverdienst von arbeitenden Akademikern liege bei ca. 500 €. Das habe den Effekt, dass gut ausgebildete junge Griechen auswandern, vor allem nach Deutschland. Anna Ioannidou konstatierte: „So kann man sein demografisches Problem auch losen, ohne nur einen Cent für die Ausbildung der Arbeitskräfte ausgegeben zu haben.“ Im Weiteren beschrieb die Vertreterin der Neuen Hellenischen Gemeinde die traurige Situation der neuen griechischen Einwanderer in Deutschland, welche ihre Kinder oft zunächst in Griechenland zurücklassen müssten. Bei all diesem Elend gab sich Frau Ioannidou dennoch kämpferisch, ihre Trauer sei dem Kampfgeist gewichen. Und so verkündete sie abschließend: „Wir sagen Nein zur Demütigung der griechischen Bevölkerung! Wir sagen Ja zur Solidarität, denn die Grenze läuft nicht zwischen den Griechen auf der einen, und Deutschen und Resteuropa auf der anderen Seite! Ja zu Europa! Anders!“

Im Anschluss nahm Bernhard Löffler vom Deutschen Gewerkschaftsbund diejenigen ins Visier, welche in den vergangenen Wochen und Monaten kein gutes Haar an den Griechen gelassen hatten. Er stellte eingangs fest: „Bis vor einigen Jahren wäre es unvorstellbar gewesen, dass ein Mitglied der Europäischen Union derart international an den Pranger gestellt wird wie Griechenland jetzt.“ Dabei sei der Kern gar nicht ein Konflikt zwischen Ländern, sondern ein Konflikt zwischen Arm und Reich. Die Institutionen verträten die Interessen der Reichen und somit sei es nun wichtig als Zivilgesellschaft einen Kontrapunkt zu setzen. Löffler lieferte einen weiteren wichtigen Faktor in Bezug auf die Krise. Verursacht sei diese vor allem auch durch Lohndumping in Deutschland worden. Nur durch stark ansteigende Löhne in der Bundesrepublik sei das wirtschaftliche Ungleichgewicht innerhalb der Europäischen Union zu beseitigen.

Elke Schenk bekannte zu Beginn ihrer Rede „Ich schäme mich als deutsche Staatsbürgerin für die Ignoranz der Bundesregierung und weiter Teile des politischen Establishments, die sich seit Jahren als besserwisserischer Zuchtmeister Europas aufwerfen“. Sie kritisierte die Bundesregierung scharf für das erpresserische Festhalten am Schuldendienst südeuropäischer Länder und wies darauf hin, dass Deutschland selbst nie seine Schulden bezahlte habe. Es werde darüber hinaus oft unterschlagen, dass Griechenland heutzutage bei weitem nicht das einzige europäische Land mit kaum zu überwindenden Schulden-Problemen sei. In Spanien habe sich der Schuldenstand beispielsweise in den letzten Jahren verdoppelt, in Irland vervierfacht. Auch kritisierte Schenk die Medien, welche den Kurs der Bundesregierung großteils unterstützen oder sogar fordern würden. Sie skizzierte im Folgenden die Entdemokratisierung Europas. Die Entscheidungsträger der Institutionen, welche nicht demokratisch legitimiert seien und sich darüber hinaus weder politisch noch juristisch für ihre Taten verantworten müssten, kontrollierten die Regierungsarbeit in den Krisenländern durch ihre Vorgaben gänzlich. Um diesen Kurs weiterhin zu gewährleisten, sei nun der Sturz der griechischen Regierung unter deutscher Regie geplant worden. Schenk zitierte ein Interview mit Gesine Schwan, in welchem diese aussagt, dass Wolfgang Schäuble die griechische Regierung von Anfang an die Wand fahren lassen wollte, um „Ansteckungsgefahr“ in anderen europäischen Ländern zu verhindern. Das Angebot, welches Griechenland gemacht wurde, sei absichtlich unannehmbar gewesen. Doch Schenk unterstrich „Griechenland ist überall“. Der irreversible Kurs der Austeritätspolitik bringe Verschärfungen für alle Euro-Länder mit sich.

Alle drei Reden sind an dieser Stelle auch in Gänze zu lesen oder zu sehen.

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Anna Ioannidou: PDF der Rede

Bernhard Löffler: PDF der Rede

Elke Schenk:

Elke SCHENK, Rede OXI Solidarität 20150703

Erfolgreiche Abschiebungs-Blockade in Fellbach

In Fellbach haben in der Nacht auf Donnerstag über 100 Menschen auf einen kurzfristigen Aufruf hin die Abschiebung eines Gambiers verhindert. Am Mittwochnachmittag war durchgesickert, dass der junge Geflüchtete Modoulamin in der Nacht zurück nach Italien abgeschoben werden sollte. Dort war er nach seiner Flucht über das Mittelmeer angekommen und wegen des Dublin-III-Abkommens hatten die Behörden seinen in Deutschland gestellten Asylantrag abgelehnt. Die UnterstützerInnen, welche sich Mittwochnacht vor der Flüchtlingsunterkunft in der Fellbacher Bruckstraße eingefunden haben, sollen eine bunte Mischung aus Bürgerinitiativen, linken Gruppen, Geflüchteten aus der Unterkunft und deren Fellbacher Nachbarn gewesen sein. Die Stimmung war Berichten zufolge bestens, AnwohnerInnen brachten Kaffee und Brezeln. Um 3 Uhr fuhr dann auch der erste Polizeiwagen an der Unterkunft vorbei, 30 Minuten später kamen die PolizistInnen mit Verstärkung wieder, um die Abschiebung durchzuführen. Doch weder die Aufforderung die Blockade aufzulösen, noch der Versuch über den Hintergang durchzukommen, gelangen den OrdnungshüterInnen. So zogen die BeamtInnen erfolglos ab. AugenzeugInnen zufolge soll der Einsatzleiter Auer zum Abschied noch „Ihr habt die Schlacht gewonnen, aber den Krieg gewinnen wir!“ verkündet haben.

Dieser Fall verdeutlicht einmal mehr, dass das Dublin-III-Verfahren menschenunwürdig ist und erfolgreiche Integration verhindert. Vor zehn Monaten ist Modoulamin nach Deutschland gekommen. Er besucht Deutsch-Integrationskurse und arbeitet als Hilfshausmeister an der Hermann-Hesse-Realschule in Fellbach-Schmiden. Der Rektor der Schule soll sich ebenfalls an der Blockade beteiligt haben. Obendrein hat Modoulamin vor Kurzem eine Zusage für eine FSJ-Stelle im Fellbacher „Haus am Kappelberg“, einer Anlage für betreutes Wohnen von Senioren und Pflegeeinrichtung, bekommen. Nun wollen ihn die Behörden noch schnell nach Italien zurück verfrachten, denn auch das ist Teil der Dublin-III-Verordnung: wenn die deutschen Behörden Modoulamin sechs Monate nach seinem Asylantrag nicht nach Italien, dem europäischen Land welches er zuerst betreten hatte, abgeschoben haben, fällt die Zuständigkeit dann doch auf die Bundesrepublik. Am 1. Juli endet diese Frist.

Das der Dublin-III-Wahnsinn ein Ende hat, ist vorerst nicht abzusehen. Beim gestrigen EU-Gipfel konnte man sich nicht auf eine Quotenregel einigen. 40.000 Geflüchtete, welche sich momentan in Italien und Griechenland befinden, sollen auf andere EU-Staaten verteilt werden, um die Mittelmeer-Länder zu entlasten. Da osteuropäische Staaten ihre Beteiligung an einer möglichen Quotenregelung abgeblockt haben sollen, geschieht die Verteilung nun auf freiwilliger Basis. Der italienische Regierungschef Matteo Renzi soll seiner Enttäuschung folgendermaßen Ausdruck verliehen haben: „Wenn Ihr mit der Zahl von 40 000 nicht einverstanden seid, verdient Ihr es nicht, Europa genannt zu werden. Wenn das eure Idee von Europa ist, dann könnt ihr es für euch behalten. Entweder gibt es Solidarität – oder verschwendet nicht unsere Zeit.“ Eine Quotenregelung wäre sicherlich ein Fortschritt, wenn es darum geht, Länder wie Italien nicht die gesamte Last tragen zu lassen. Eine einigermaßen gleichmäßige Verteilung auf Europa ist sicherlich sinnvoll. Ein strenges Quotensystem scheint aber ebenfalls nicht die goldene Lösung darzustellen, wenn es um gelungene Integration sowie Wohlbefinden und Schutz der Geflüchteten geht. Folgt man diesen Zielen, müsste man es diesen freistellen, wo in Europa sie einen Asylantrag stellen. Allen die dieses Thema vertiefen möchten, sei das Büchlein „Im Namen der Menschlickeit. Rettet die Flüchtlinge!“ von Heribert Prantl empfohlen.