Warum wählen Menschen rechts?

Nicht nur in Deutschland, in ganz Europa gibt es einen starken Trend nach rechts. Hierzulande steht in erster Linie die AfD im Blickfeld. Wer allerdings nur auf diese politische Gruppierung schaut, der übersieht viel. Der Rechtsschwenk ist umfassender und schlägt sich nicht nur in Fremdenfeindlichkeit, sondern beispielsweise in der Vermarktung nahezu aller Lebens- und Politikbereiche nieder. Vor diesem Hintergrund ist die von der Hans-Böckler-Stiftung vorgelegte Untersuchung „Spurensuche nach Gründen für rechtspopulistische Orientierung“ interessant. Auch wenn sie sich auf die AfD konzentriert, so gräbt sie aber doch nach den Ursachen. Und diese gehen in ihrer Bedeutung über die Frage nach der Wahlentscheidung hinaus. Technischer Wandel, Globalisierung, Zuwanderung und Kriminalität verunsichern mehr und mehr. Soziale Gerechtigkeit ist ein zentraler Anspruch der Menschen. Deshalb wiegt schwer, dass sich Abstiegsängste und Sorgen vor dem Verlust der Kontrolle über persönliche und gesellschaftliche Lebensumstände ausbreiten. Kein Wunder, dass hier die AfD zu ernten versucht. Auch Gewerkschaftsmitglieder sind dagegen nicht immun; warum sollten sie das auch sein.

Was sind Punkte, die Menschen verunsichert, orientierungslos macht, sie in die Arme von Rattenfängern treibt? Schlagworte: Abstiegsangst, Angst vor Arbeitslosigkeit, Angst vor der Zukunft. Der DGB-Vorsitzende Reiner Hoffmann hat bei der Vorstellung der Studie in die richtige Richtung gedeutet: „Unsere Antwort kann nur lauten: Mehr Sicherheit im Betrieb mit Tarifverträgen und einer starken Mitbestimmung, und eine Ordnung auf dem Arbeitsmarkt, die Gute Arbeit fördert und sichert, also prekäre Beschäftigung wie Leiharbeit eingrenzt und sachgrundlose Befristung abschafft. Wer noch mehr Zeitarbeit will, mehr Befristung oder die Arbeitszeit deregulieren will, wer nicht mal die Begriffe Tarifvertrag und Mitbestimmung im Wahlprogramm verankert hat, hat nicht verstanden, was auf dem Spiel steht.“

Diese Zusammenfassung müsste jetzt natürlich noch ausdifferenziert werden, um die Dramatik der Lage zu beschreiben. Hier nur ein paar Stichworte: Die monatlichen Verkündigungen über die sinkende Arbeitslosigkeit bilden die Wirklichkeit nicht ab. Die Sicherheit, die Tarifverträge garantieren sollen, bröckelt: nur noch rund 35 Prozent der Betriebe sind an Tarifverträge gebunden. Die Unternehmerverbände arbeiten kräftig an der Schaffung „tariffreier Zonen“. Gelegenheitsjobs, Leiharbeit usw. sind keine Grundlage für eine sichere Lebensplanung. Industrie 4.0 wird auch nicht das Paradies, sondern viel Verunsicherung und Arbeitslosigkeit bringen.

Hier sind nicht zuletzt die Unternehmen und ihre Verbände in der gesellschaftlichen Pflicht. In der Summe befördern sie eine marktradikale Politik, „soziale Marktwirtschaft“ ist längst vergessen, ist nur noch Etikettenschwindel. Das bedeutet, dass sie ihrer politischen Pflicht zur Stabilisierung der Demokratie – wozu wesentlich soziale Sicherheit gehört – nicht in dem erforderlichen Maß nachkommen.

Und was machen die Gewerkschaften? Sie sind sich ihrer Aufgabe schon allein aufgrund ihrer historischen Erfahrungen bewusst. Sie betreiben politische Bildungsarbeit und schaffen soziale Sicherheit. Aber – und das muss hinzugefügt werden: Die Gewerkschaften haben an Kraft verloren. Dafür gibt es viele Erklärungen. Der politische Druck hat zugenommen. In den Büros müssen viel mehr Einzelfälle bearbeitet werden… Ein Grund ist besonders wichtig: Die Folgen der Agenda 2010 haben heftig an den Kräften der Gewerkschaften gezehrt. Und das war eine Entscheidung der Politik Hand in Hand mit den Unternehmerverbänden – und genau so gewollt.

Aus Wahl-Nachbefragungen ist bekannt, dass Gewerkschaftsmitglieder überwiegend SPD wählen und ziemlich selten AfD. Das kann allerdings nur bedingt beruhigen. Die Gewerkschaften müssen dringend die Politik der letzten ein, zwei Jahrzehnte selbstkritisch unter die Lupe nehmen. So schwer das Alltagsgeschäft und die allgemeine Politik drücken und so sehr die Beeinflussung durch die unternehmerische „Öffentlichkeitsarbeit“ in Schulen und Zeitungen Verwirrung stiftet – die Gewerkschaften müssen mit klarer Sprache, deutlicher Positionsbestimmung wieder stärker für die Sicherung der Demokratie und die Schaffung sozialer Sicherheit kämpfen, ja: kämpfen.

Die Autoren der Studien ziehen als Fazit: Die Auswertung liefert konkrete Anhaltspunkte für politisches Handeln. Sie zeigt, welche Einstellungen und soziale Lebenslagen die rechtspopulistische Orientierung verstärken und damit das rechte Lager vergrößern – und dass dabei ein Gefühl des „Ausgeliefertseins“ am Arbeitsplatz eine große Rolle spielt. Genauso lassen sich aber auch Faktoren identifizieren, die vor Rechtspopulismus „schützen“ und damit Demokratie und Zusammenhalt in der Gesellschaft wie auch in der Arbeitswelt stärken. Menschen, die mit ihrem eigenen Leben zufrieden sind, wählen seltener AfD. Deutlich hervorstechende „Haltepunkte“ sind auch eine hohe Zustimmung zu Werten wie Weltoffenheit und Toleranz, Solidarität der Menschen untereinander und sozialer Gerechtigkeit. Nicht zuletzt ist es ehrenamtliches Engagement, das die Wahrscheinlichkeit verringert, in die Nähe von Rechten zu geraten.

Hermann Zoller

*Richard Hilmer, Bettina Kohlrausch, Rita Müller-Hilmer, Jérémie Gagné: Einstellung und soziale Lebenslage. Eine Spurensuche nach Gründen für rechtspopulistische Orientierung, auch unter Gewerkschaftsmitgliedern, Working Paper der Forschungsförderung in der Hans-Böckler-Stiftung Nummer 44, Juli 2017. Download: https://www.boeckler.de/pdf/p_fofoe_WP_044_2017.pdf

Kerndaten aus der Studie in den Grafiken der Präsentation zur Pressekonferenz: https://www.boeckler.de/pdf/pm_fofoe_2017_08_09.pdf