Alle Beiträge von Moritz Sack

Große und kleine Fluchten

Liebe Leute,

geht das? Die alten Horizonte überschreiten, Lernen durch Versuch und Irrtum? Wir versuchen es und hoffen, dass die Irrtümer gering bleiben. Der 3. Oktober war ein AnStifterTag – der Tag der Einigkeit, der Verständigung auf den Schwerpunkt unserer Arbeit für die nächste Zeit: Flüchtlinge. Wir fürchten, dass dem großen Hallo dieser Tage die Feuersignale aus den Unterkünften folgen könnten. Die Populisten legen die Streichhölzer bereit, füttern die Ängste der Menschen, sprechen von Unzumutbarkeiten – nein, nicht in den Lagern da unten, wo Hundert und Hunderttausend ohne Würde hausen müssen, sondern hier, wo die Ursachen der großen Fluchten liegen. „Fluchtursachen“ ist da der passende Titel eines Zeitungsprojekts, mit dem wir tiefer schürfen wollen: Zuspruch & Beiträge sind willkommen.

Dazu folgt mehr: Eine von den AnStiftern unterstützte Gruppe reist zur Zeit durch den Balkan und hat schon erste Eindrücke auf ihrem Blog veröffentlicht – von wegen „sichere Herkunftsländer“. Pünktlich zur Aufdeckung weiterer Rechtsextremer als V-Leute geht’s am Montag, 19. Oktober um das Erbe der Gestapo im Verfassungsschutz. Am 14. November wollen wir mit Kulturschaffenden ein Zeichen des Protestes gegen Rechts und der Solidarität mit den Flüchtlingen setzen, am 20./21. November laden wir zum 2tätigen Demokratiekongress in den Württ. Kunstverein und ins Literaturhaus ein: „Neue Bürgerbewegungen – Neue Politik?“. Kommt! Wir machen die Betten, aber das ist nicht alles: Einen Benefiz-Abend übers Flüchten mit Peter Grohmann und Salvatore Panunzio (Klavier, Akkordeon) gibt’s am 8. November um 18 h im Esslinger Kabarett Galgenstricke – und für die FriedensGala am 6. Dezember können Sie ab sofort Karten kaufen.

Es wäre ein Zufall, wenn wir uns morgen bei der großen TTIP-Demonstration in Berlin sehen würden. Weiß man’s?

Peter Grohmann, Fritz Mielert & Dominik Blacha

P.S.: Am 31.10. treffen Sie aber auf jeden Fall Peter Grohmann und Dundu – der liebt Dich im Theaterhaus.

Freihandelsabkommen TTIP & CETA stoppen!

Das wichtigste gleich zuerst: bis 5.10. eine Karte für den Sonderzug zur TTIP-Demo in Berlin bestellen, damit sie noch rechtzeitig zu Hause ankommt!

Am 9.10. fährt dann nämlich ein Nachtzug von Stuttgart über Mannheim nach Berlin. Um 12 Uhr am 10.10. werden wir dann zusammen mit tausenden Menschen ein Zeichen gegen die Freihandelsabkommen TTIP und CETA setzen.

Zur Auffrischung nochmal ein paar der ca. 385 Gründe gegen TTIP im Video.

TTIP & CETA stoppen am 10. Oktober in Berlin

Weniger Parkplätze, mehr Park!

Jedes Jahr im September wandeln weltweit Menschen für einen Tag Parkplätze in Parks um. Der Park(ing) Day wirft so die Frage auf, wieviel Platz eigentlich dem motorisierten Verkehr zur Verfügung gestellt werden soll. In diesem Jahr hat die Initiative „Park(ing) Day Stuttgart“ an 15 Stellen gezeigt, wie der öffentliche Raum auch genutzt werden kann: für mehr Rasen, Lesebühnen oder Lastenfahrradgaragen.

Wer’s verpasst hat, hier ein Video, um sich aufs nächste Jahr zu freuen:

Parking Day Stuttgart - STNDPNKT im Gespräch

Umfrage zu Diskriminierungserfahrungen

Die Antidiskriminierungsstelle der Bundesregierung führt seit ein paar Tagen und bis Ende November eine Umfrage zu Diskriminierungserfahrungen durch. Der Fragebogen kann online ausgefüllt werden und dauert ca. 20-30 Minuten.
Da die Umfrage auf dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz basiert, können alle teilnehmen, die aufgrund ihres Alters, Behinderung, Krankheit, Herkunft, Geschlecht, sexuelle Identität oder Religion Nachteile erfahren haben.

Zur Umfrage „Diskriminierung in Deutschland 2015“

Joko und Klaas
Das wird man wohl noch sagen dürfen

Das wird man wohl noch sagen dürfen #mundaufmachen | Circus HalliGalli

Wie zeige ich Nazis an?

Hasskommentare im Internet, Brandanschläge und rechtsterroristische Krawalle vor Flüchtlingsunterkünften. Da stellt sich die Frage: Was tun gegen Menschenfeinde und Hasskriminalität? Wie zeige ich einen Nazi an?

Hier eine kurze – und hoffentlich ausreichende – Anleitung wie jede und jeder Anzeige erstatten kann:

  1. Gehe nicht davon aus, dass es sowieso nichts bringt. (z.B. SWR: Polizei ermittelt wegen Facebook-Hetze; Netz gegen Nazis: Endlich: Mehr saftige Strafen für Hate-Speech im Internet)
  2. Gehe nicht davon aus, dass andere schon Anzeige erstattet haben.
  3. Gehe nicht davon aus, dass die Polizei von allen Straftaten erfährt und selbst aktiv wird.
  4. Gehe nicht davon aus, dass jemand anderes Anzeige erstatten wird.
  5. Erstatte Anzeige bei der Polizei: persönlich auf einem Revier oder per Online-Strafanzeige. [Update] Die Verfolgung ist zeitkritisch, da die häufig notwendigen Verbindungsdaten in der Regel nach wenigen Tagen gelöscht werden. Eine Online-Anzeige ist deshalb vorzuziehen. [/Update]
  6. Über Online-Formulare können Strafanzeigen relativ einfach und schnell ausgefüllt werden. Jede und jeder ist berechtigt Anzeige zu erstatten. Sie sollte in dem Bundesland gestellt werden, in dem die Tat passiert ist. (Übersicht der Online-Strafanzeigen aller Bundesländer).
  7. Hasskommentare per Screenshot speichern; Links zu Zeitungsartikeln, Twitter-Nachrichten, etc. sammeln; Videos von Youtube können evtl. per Downloadhelper gesichert werden.
  8. Wenn du zweifelst, ob die Angelegenheit strafrechtlich relevant ist, informiere dich. Die Internetseite Recht gegen Rechts hat das Thema anschaulich und ausführlich aufbereitet. Z.B. der Hitlergruß ist strafbar; die Parole „Ausländer raus“ und Bezüge zum NSU-Terrortrio wurden bereits verurteilt. Im Zweifel also lieber Anzeige erstatten.
  9. Eine Anzeige kann zwar nicht zurückgezogen werden und eine falsche Verdächtigung ist ebenso strafbar, aber mit gesundem Menschenverstand kannst du das gut einschätzen.
  10. Tu es. Erstatte Anzeige. Hasskriminalität, Volksverhetzung, Verwendung von verfassungsfeindlichen Symbolen und Bedrohung ist strafbar!

Beerdigung einer vierfachen syrischen Mutter (34), die auf dem Weg nach Europa ertrunken ist

Beerdigung einer vierfachen syrischen Mutter (34), die auf dem Weg nach Europa ertrunken ist

Video der Kampagne Die Toten kommen des Zentrums für politische Schönheit.

Asyl ist ein Menschenrecht
Proteste vor Flüchtlingsgipfel

2015-07-27 15.12.56Im Stuttgarter Neuen Schloss berieten heute auf Einladung von Ministerpräsident Kretschmann 70 Vertreterinnen und Vertreter von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft über das weitere Vorgehen in der Flüchtlingspolitik. Doch wichtige Vertreter der Zivilgesellschaft waren ausgeschlossen. Und so organisierte der Flüchtlingsrat Baden-Württemberg als Dachverband der lokalen Flüchtlingshilfeorganisationen kurzerhand eine eigene Versammlung. Unter dem Motto “Humanität muss weiter Vorrang haben” versammelten sich ca. 100 Menschen vor dem Tagungsort. Das Medieninteresse war groß, noch vor Beginn der Veranstaltung befragten zahlreiche Fotografen, Kamerateams und Journalisten die anwesenden Demonstranten. mehr…

„Freiheit statt Angst“-Demonstration in Stuttgart

Freiheit statt Angst

„Freiheit statt Angst“ ist das Motto einer jährlichen Demonstration, die sich gegen den Überwachungswahn richtet. In diesem Jahr gab es eine bundesweite Demo-Tour, denn die Anlässe dafür werden vielfältiger und tiefgreifender, z.B. die deutsch-amerikanische Kooperation der Geheimdienste BND und NSA, die Legalisierung von Straftaten durch V-Personen oder die Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung.

Am letzten Samstag fand die Demo in Stuttgart statt. Cams21 hat sie begleitet und die Reden der FDP, der Linken und der Piraten-Partei aufgenommen. Es fehlen die Reden des Juso-Vertreters (die Jugendorganisation der SPD positioniert sich gegen die Vorratsdatenspeicherung und damit gegen den Parteibeschluss und Parteivorsitz) und von Anonymous vor Beginn des Demonstrationszugs.

18.07.2015 Freiheit statt Angst Tour #FSA in #Stuttgart

Debattenbeitrag zur Griechenland-Krise von Campact

Campact hat ein Video als Debattenbeitrag zur Griechenland-Krise produziert. Darin antworten Dr. Til van Treeck (Wirtschaftswissenschaftler Uni Duisburg-Essen), Margarita Tsomou (Herausgeberin Missy Magazin), Ulrike Hermann (Journalistin bei der taz), Harald Schumann (Autor und Journalist, Tagesspiegel), Prof. Dr. Gesine Schwan, (Politikwissenschaftlerin, Humboldt-Viadrina) auf die gerade gängigen Behauptungen.

Diese Fakten über Griechenland solltest Du kennen

Crowdfunding für Griechenland

Vor einer Woche hatte der junge Engländer Thom Feeney den „Greek Bailout Fund“ gestartet. Auf der Crowdfunding-Plattform IndieGogo konnten Menschen innerhalb einer Woche Geld zusichern, welches dem griechischen Volk zu Gute kommen sollte. Für bestimmte Beträge wurden Gegenleistungen versprochen. Für 3 € gab es beispielsweise eine Postkarte von Alexis Tsipras, für 5.000 € einen All-Inclusive-Urlaub in Athen. Alle angebotenen Produkte sollten in Griechenland produziert werden und von dort aus verschickt werden. Der Initiator verfolgte damit das Ziel, die griechische Wirtschaft auch auf diese Weise zu unterstützen. Das Kampagnen-Ziel lag bei 1,6 Milliarden Euro, wenn dieses nicht erreicht werden würde, sollten die Spender ihr Geld zurück erhalten. Auch im AnStifter-Blog wurde auf die Aktion hingewiesen. mehr…

Rechte Krawalle in Freital – Update

Vor knapp zwei Wochen hatte wir in diesem Blog über rechte Krawalle in der sächsischen Kleinstadt Freital berichtet. Das dortige Landratsamt hatte ein leerstehendes Hotel in Freital zu einer Unterkunft für Asylbewerber gemacht. Als es zur Erstaufnahmeeinrichtung für 280 Geflüchtete gemacht wurde, waren die Proteste gegen die Unterkunft eskaliert. Lutz Bachmann kam mehrere Male nach Freital und mobilisierte in PEGIDA-Kreisen, offen rechtsradikale Gruppen kamen Tag für Tag. Ihnen stellten sich allerdings auch täglich Unterstützer der Geflüchteten entgegen. Sie formierten sich als Schutzwall vor der Unterkunft, die HipHop-Band „Antilopen Gang“ spielte spontan ein Soli-Konzert für Geflüchtete und deren Unterstützer in Freital.

Am vergangenen Montag wurde nun in Freital zur Bürgerversammlung geladen. Zu Gast auf dem Podium war unter anderem der Sächsische Innenminister Markus Ulbig (CDU). Anwesend waren zudem auch Stadträte der AfD und der NPD, fern blieb dagegen der neu gewählte Bürgermeister Uwe Rumberg (CDU). Der Bürgermeister und die Gemeinderats-Fraktionvorsitzenden der SPD/Die Grünen, CDU, AfD und der Bürger für Freital hatten vorab eine Erklärung gegen Menschenfeindlichkeit verfasst.

Zu den ersten Tumulten kam es schon vor der Versammlung. Vor dem Freitaler Kulturhaus kam es zu Unruhen, weil der Saal zu klein war und nicht alle Bürger in die Versammlung gelassen werden konnten. In der Versammlung waren Bild- und Tonaufnahmen untersagt, Medienvertreter durften aber in den Saal. Sie berichten von einer aufgeheizten Atmosphäre. Versammlungsteilnehmer, welche sich für die Asylbewerber stark machten, seien von den Gegnern niedergebrüllt worden. Als eine Frau sagte, dass sie sich für Freital schäme, soll ihr das Mikrophon abgedreht worden sein. Das ZDF interviewte am Rande der Versammlung einige Freitaler Bürger. Diese Bilder machen unangenehm deutlich, wie sehr die Stimmung in Teilen der Bevölkerung von Vorurteilen und Fremdenfeindlichkeit geprägt ist.

Für Aufsehen hatte auch Justus Ulbricht, der Moderator der Versammlung von der sächsischen Landeszentrale für politische Bildung, gesorgt. Dieser wird in der Sächsischen Zeitung mit den Worten zitiert: „Es gibt ja inzwischen einen überregionalen Anti-Asyl-Zirkus genau wie einen Pro-Asyl-Zirkus.“ Die Landeszentrale hat sich von dieser Aussage mittlerweile distanziert und entschuldigte sich bei den Menschen, welche sich für Geflüchtete einsetzen.

Im Zusammenhang mit den neuesten Entwicklungen in Freital führte der Deutschlandfunk ein interessantes Interview mit dem Historiker Wolfgang Benz. Dieser analysiert die Vorgeschichte der „Tragödie von Freital“ und erklärt wo die Verfehlungen der sächsischen Landesregierung im Umgang mit den fremdenfeindlichen Bewegungen im Land lagen und liegen.

Der Blog Perlen aus Freital sammelt Entgleisungen der Gegner der Asylunterkunft in den sozialen Netzwerken. Die Vice hat die besonders drastischen Beispiel in ein Top-10-Ranking gebracht.

NSU-Untersuchungsausschuss
Institutioneller Rassismus oder „Es soll nicht in die Breite ermittelt werden“

Beim gestrigen Termin des baden-württembergischen Untersuchungsausschuss ging es um den Fall der beiden Polizisten beim Ku-Klux-Klan (KKK) in Schwäbisch Hall.
Zunächst sagte die Ex-Frau Yvonne F. des Gründers Achim S. aus. Sie bestätigte viele bereits bekannte Aussagen. Es habe Aufnahmezeremonien und Kutten gegeben. Achim S. sei seit 1993 V-Person des Verfassungsschutz gewesen, das Ende seiner Tätigkeiten sei ihr nicht bekannt. Die Gruppe, die sich mehrmals bei ihr zuhause getroffen habe, war ca. 8-9 Personen groß, darunter die beiden Polizisten. Beim KKK seien gewesen: Steffen B., Thomas R. (V-Mann „Corelli“), Jenny, Philipp, Timo H., Jörg W., später ein Matthias W. aus Bayern. Einmal sei ein Franzose dabei gewesen. Yvonne F. kennt Nelly R., die wieder im Publikum saß, über die frühere NPD-Mitgliedschaft von Achim S. Sie identifizierte auf vorgelegten Fotos den Rechtsradikalen Markus F. und den NPD-Landesvorsitzenden Alexander Neidlein.

Sie nannte den V-Mann-Führer von Achim S., der im Anschluss „öffentlich“ aussagte, d.h. durch eine Tonschaltung vom Nebenraum in den Plenarsaal übertragen wurde.

Harald Schaffel (Deckname) sei von 1975 bis 2013 beim Landesamt für Verfassungsschutz gewesen. Er habe im Juli 2000 vom KKK erfahren. Im März 1999 wurde zwar durch eine Zeugenvernehmung der Polizei der KKK bekannt, Schaffel habe jedoch erst davon vor wenigen Wochen durch einen Zeitungsartikel der StN erfahren. Schaffel antwortete mehrmals auf Fragen der Abgeordneten, dass er über innerdienstliche Strukturen keine Auskunft geben könne. Auch auf Fragen, die seinen Erkenntnisstand betrafen. (Ob er nun für die Informationsauswertung oder die Beschaffung zuständig war, beantwortete er widersprüchlich.) Auf die Frage, ob er der V-Mann von Achim S. gewesen sei, gab er keine Auskunft in „öffentlicher“ Sitzung. Die Befragung wurde in längerer nicht-öffentlicher Sitzung fortgeführt.

Timo H. ist Polizist der Bereitschaftspolizei und war Mitglied im Ku-Klux-Klan. Er habe im September 2001 über Jörg W. Kontakt zu der Gruppe bekommen, weil er mit ihm befreundet gewesen sei und sein „soziales Umfeld erweitern“ wollte. Über den KKK habe er wenig gewußt, ein bisschen aus Filmen und dass weiße Mützen getragen werden. Warum er Mitglied geworden sei, sei ihm heute völlig unerklärlich, er habe damals noch nicht die nötige Reife besessen. Als das Aufnahmeritual stattfand, habe er vorher nichts davon gewußt. Er sei mit verbundenen Augen in einen Gewölbekeller geführt worden, habe die Urkunde unterschrieben und mit einen Daumenabdruck aus Blut markiert. Ihm wird ein Flugblatt des KKK vorgehalten, das rassisitische Äußerungen enthält. Dieses Flugblatt kenne er. Er gehe von 7 Mitgliedern im KKK aus, von einer Sektion für Polizeibeamte wisse er nichts. Mitgliedsbeitrag habe er keinen bezahlt.
Auf Nachfrage warum er beigetreten sei, wiederholte er, dass er eine Gruppe gesucht habe und sagte wörtlich: „Die Leute waren sympathisch.“ Einen Thomas R. (Corelli) kenne er nicht. Timo H. streitet die Vorwürfe von Jörg W. ab, dass er aus eigenem Antrieb in den KKK eingetreten sei und mit Steffen B. gut befreundet war. Er sei durch Jörg W. dort hineingeraten.

Timo H. wurde auch zum Mord an Michele Kiesewetter und dem Mordversuch an Martin A. befragt, da er der Gruppenführer von beiden am Tattag war. Zunächst erklärte er verschiedene Begrifflichkeiten und Abkürzungen aus dem Polizeialltag. Die Frage der Dienstpläne wurde erörtert. H. meinte, dass die Dienstpläne in der Kaserne aushängen, daher hätte jeder wissen können, wann Kiesewetter im Einsatz sei, aber nicht genau wo, da die Streifen an diesem Tag in Heilbronn nicht genau auf ein Gebiet begrenzt waren. Dienste seien oft nur für die nächsten drei Tage festgelegt.
Auf die Frage, ob er sich an einen Einsatz in der Diskothek Luna erinnere, antwortete H.: Er glaube, dass dort eine Razzia durchgeführt wurde, bei der es um Drogenhandel und Organisierte Kriminalität ging. Es sei möglich, dass Kiesewetter daran beteiligt war. (Anmerkung: Michele Kiesewetter wurde mehrmals als verdeckte Ermittlerin im Drogenmilieu eingesetzt. Bei einem Einsatz wurde sie höchstwahrscheinlich als Polizistin enttarnt.)

Als nächster Zeuge wurde Ernst H., der ehemalige Vorgesetzte von Timo H., geladen. Er hatte gegen den Polizist und KKK-Mitglied die Disziplinarmaßnahme eines Verweises ausgesprochen, der keine dienstlichen Konsequenzen hat. Ernst H. habe im Juli 2004 den Vorgang auf seinen Schreibtisch bekommen, kurz zuvor sei er angerufen worden, dass da etwas unangehnehmes auf ihn zukomme. Die Erkenntnisse seien aus einer G10-Maßnahme gewonnen worden. Die Vorgabe aus dem Innenministerium sei gewesen, schnell zu ermitteln und sich mit der Polizeidirektion Stuttgart, der Dienststelle von Jörg W., abzustimmen. Er habe zwei Seiten und ein Bild zugeschickt bekommen. Timo H. habe sich schriftlich durch einen Anwalt geäußert. Ernst H. habe den Eindruck gehabt, dass Jörg W. die treibende Kraft gewesen sei. Außerdem habe sich Timo H. in den knapp drei Jahren seit der Mitgliedschaft tadellos verhalten und sei nicht mehr auffällig geworden. Nach der Aktenlage habe vieles für Timo H. gesprochen. Eine Entfernung aus dem Dienst sei nicht verhältnismäßig gewesen. Aus rechtlichter Sicht sei keine andere Entscheidung möglich gewesen, insbesondere weil es vor einem Arbeitsgericht Bestand haben müsste. Ernst H. habe Timo H.s Akte nach Stuttgart geschickt, von dort sei die Rückmeldung gekommen, dass sich keine Widersprüche in der Aussage ergeben. Man habe Timo H. nicht härter bestrafen wollen als Jörg W. daher sei es zu dieser milden Strafe gekommen. In diesen Fall seien nur zwei oder drei Personen befragt worden. Die Vorgabe war, dass nicht in die Breite ermittelt werden solle, sondern nur in einem kleinen Personenkreis. Die Entscheidung wurde durch das Innenministerium und den Bereitsschaftspolizei-Präsidenten Hr. G. geprüft und bestätigt. Der Vorwurf, dass die Aussagen der beiden Polizisten nicht gekreuzt wurden, stimme nicht, da dies bei der Polizei in Stuttgart passiert sei und er eine entsprechende Rückmeldung bekommen habe.

Schließlich wurde noch Dr. Martin Schairer befragt. Er war von 1999 bis 2006 Polizeipräsident der Stadt Stuttgart und damit zuständig für das Disziplinarverfahren gegen Jörg W. Seit 2006 ist er Bürgermeister für Recht, Sicherheit und Ordnung der Stadt Stuttgart. Martin Schairer gab zu Beginn an, dass er Erinnerungslücken habe, da der Vorgang schon länger zurückliege. Er wisse nur noch, dass er mit dem Ergebnis unzufrieden gewesen sei, und die Gefahr bestand, dass das Ansehen der Polizei beschädigt werde. Auf den Vorhalt, dass es Vorgaben über die Ermittlungsarbeit gegeben habe, sagte er, dass es sich das nicht vorstellen könne und es ihn in seiner Ehre verletzt hätte. Er sei mit den unmittelbaren Ermittlungen nicht betraut gewesen, diese haben unter ihm stehende Beamte ausgeführt. Martin Schairer wurde die Frage gestellt, warum man bei einem „Wiederholungstäter“ wie Jörg W. (er war im Dienst durch rassistische Sprüche aufgefallen) nicht zu einem schnelleren oder anderen Ergebnis gekommen sei. Er antwortete, dass er rechtlich etwas gemacht hätte, wenn es möglich gewesen wäre. Er könne sich an Einzelheiten nicht erinnern. Ihm wurde vorgehalten, dass die Bestätigung des Innenministeriums über die Bestrafung durch einen Verweis im März 2005 vorlag. Die von ihm unterzeichnete Verfügung aber erst im November 2005 erteilt wurde. In der Zwischenzeit war die 3-Jahres-Frist für diese Disziplinarmaßnahme abgelaufen, weshalb nur eine Rüge erteilt werden konnte. Auf die Frage, warum der Fall Timo H. dann schneller bearbeitet wurde als Jörg W., wußte Schairer keine Antwort. Er sagte u.a. wörtlich: „Bei mir liegt nichts länger als zwei Tage rum.“ Es sei der einzige Fall von Rechtsextremismus in seiner Dienstzeit gewesen. Bei anderen disziplinarrechtlich relevante Fällen seien Personalgespräche geführt worden, da sie mit „charakterlichen Schwierigkeiten“ zu tun gehabt hätten. Der Fall des Polizisten beim Ku-Klux-Klan sei in der Behörde als „Skurilität“ betrachtet worden.

Der Verfassungsschutz schlägt zurück – und ist erfolgreich

Weil immer wieder vertrauliche Informationen aus dem Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) gelangen, hat das Amt nun Strafanzeige in drei solchen Fällen erstattet. Zwei Verfahren hat die Generalbundesanwaltschaft an sich genommen. U.a. geht es um die Veröffentlichung des Wirtschaftsplans des BfV durch netzpolitik.org.
Auch an anderer, viel wichtigerer Stelle hat das Amt einen Erfolg zu verzeichnen. Seit gestern ist es legal als V-Person des Inlandsgeheimdienstes Straftaten zu begehen. Mit der Mehrheit von CDU und SPD wurde die Verfassungsschutzreform beschlossen, welche angeblich eine Konsequenz aus dem Versagen der Behörden ist, die NSU-Mordserie aufzuklären. Sarkastisch könnte man sagen: Natürlich ist das konsequent, wenn etwas legalisiert wird, was sowieso schon längst übliche Praxis war. Doch es ist eine falsche und schlechte Reform, die ernsthafte Konsequenzen hat.
Denn noch am Montag wurde der Verfassungsschutzbericht 2014 vorgestellt. Darin steht, dass die Anzahl der fremdenfeindlichen Gewaltaten um 24% innerhalb eines Jahres zugenommen hat. Nach der Logik des Verfassungsschutzes werden nun also mehr V-Personen im Bereich des Rechtsextremismus und -terrorismus angeworben, die jetzt aber legal Straftaten verüben dürfen. Vielleicht bewerben sich jetzt aber auch Rechtsextreme gleich beim Inlandsgeheimdienst, um dann den Hitlergruß zeigen zu dürfen und (unbewohnte) Flüchtlingsheime anzünden zu dürfen.
Zum Beispiel könnte auch jemand auf die Idee kommen einen Ku-Klux-Klan-Ableger zu gründen, um rassistisches Gedankengut zu verbreiten. Das kommt ihnen bekannt vor? Richtig, das gab es schon in Baden-Württemberg Anfang der 2000er Jahre. Achim S. und Thomas „Corelli“ R. waren beide V-Personen des Inlandsgeheimdienstes und haben maßgeblich eine KKK-Gruppe aufgebaut. Bekannt wurde der Fall, weil ein Verfassungsschutzmitarbeiter interne Details an Achim S. verraten hat und weil mindestens zwei Polizisten bei dieser KKK-Gruppe aktiv waren, die weder strafrechtliche noch dienstliche Folgen zu spüren bekommen haben.
Am Montag wird dieser Fall wieder Thema im NSU-Untersuchungsausschuss sein. Als Zeugen sind geladen: ein Verfassungsschutz-Mitarbeiter; die Ex-Frau von Achim S.; der Polizist und Ex-KKK-Mitglied Timo H. und der amtierende Stuttgarter Bürgermeister Martin Schairer, der für das Disziplinarverfahren gegen ihn verantwortlich war. Die Befragungen starten am Montag, um 9.30 Uhr, im Plenarsaal des Landtags am Schlossplatz. Der nächste Termin des NSU-Untersuchungsausschusses ist am Freitag. Die Tagesordnung wird wahrscheinlich am Montag bekannt gegeben.

Greek Bailout Fund – Let’s make it 1.600.000.000 EUR!

@GreekBailout #crowdfundgreek #greferendum #greece

greekbailoutfund

Die Crowdfunding-Aktion Greek Bailout Fund (Griechischer Rettungs-Fonds) hat heute nach nur drei Tagen über 1 Million Euro an Spendenzusagen erhalten. Die Aktion läuft noch sechs Tage, in denen 1,6 Milliarden zusammenkommen sollen. Sollte die Summe nicht erreicht werden, bekommen die Spender und Spenderinnen ihr Geld zurück.

Für ein solidarisches Europa!

Das europäische Netzwerk „Alter Summit“ ging aus einem alternativen EU-Gipfel in Athen 2013 hervor. Dutzende Organisationen haben sich damals dem Manifest für ein demokratisches, soziales, ökologisches und feministisches Europa angeschlossen. Nun wurde eine Petition mit dem Titel „Nein zur Sparpolitik ! Ja zur Demokratie !“ gestartet, die bis zum griechischen Referendum am Sonntag läuft.

Die griechische Bevölkerung soll nun zwar über die EU-Vorschläge abstimmen dürfen (der genaue Inhalt ist noch nicht bekannt), aber die restliche europäische Bevölkerung hat keine Möglichkeit der Abstimmung über die in ihrem Namen gemachten Vorschläge.

In den Medien wird oft von Hilfsprogrammen geredet, was ein unerträglicher Euphemismus für Kredite + Zinsen ist. Ich persönlich verzichte gerne auf die Zinsen der Kredite. Mindestens. Eher mehr. Dass ein Schuldenschnitt eine notwendige und hilfreiche Angelegenheit ist, müsste in Deutschland bereits bekannt sein. Auf der Londoner Schuldenkonferenz 1953 wurde Deutschland ein Großteil der Schulden erlassen. (Frankfurter Rundschau, 4.2.2012: Wie Griechenland bei der Rettung Deutschlands half). Nun fordert auch der Ökonom Thomas Piketty im Interview mit der ZEIT eine Schuldenkonferenz.

Bis Sonntag können wir zumindest durch den Erfolg der europäischen Petition ein Zeichen setzen. Unterschreibt! Teilt! Sagt weiter! Petition „Nein zur Sparpolitik ! Ja zur Demokratie !“

P.S.: Heute abend wird Anna Joanidou von der Griechischen Gemeinde Stuttgart auf der Montagsdemo sprechen.

transform Stuttgart! – Karawane des Wandels

Stuttgart Open Fair will die Welt verändern und fängt damit in Stuttgart an. Auf der Karawane des Wandels zwischen Bismarckplatz und Schillerplatz am 11. Juli werden Aktionen angeboten und Ideen präsentiert. Wer noch mitmachen möchte, kann sich bis 1. Juli beim SOFa melden: www.stuttgartopenfair.de

Erfolgreiche Abschiebungs-Blockade in Fellbach

In Fellbach haben in der Nacht auf Donnerstag über 100 Menschen auf einen kurzfristigen Aufruf hin die Abschiebung eines Gambiers verhindert. Am Mittwochnachmittag war durchgesickert, dass der junge Geflüchtete Modoulamin in der Nacht zurück nach Italien abgeschoben werden sollte. Dort war er nach seiner Flucht über das Mittelmeer angekommen und wegen des Dublin-III-Abkommens hatten die Behörden seinen in Deutschland gestellten Asylantrag abgelehnt. Die UnterstützerInnen, welche sich Mittwochnacht vor der Flüchtlingsunterkunft in der Fellbacher Bruckstraße eingefunden haben, sollen eine bunte Mischung aus Bürgerinitiativen, linken Gruppen, Geflüchteten aus der Unterkunft und deren Fellbacher Nachbarn gewesen sein. Die Stimmung war Berichten zufolge bestens, AnwohnerInnen brachten Kaffee und Brezeln. Um 3 Uhr fuhr dann auch der erste Polizeiwagen an der Unterkunft vorbei, 30 Minuten später kamen die PolizistInnen mit Verstärkung wieder, um die Abschiebung durchzuführen. Doch weder die Aufforderung die Blockade aufzulösen, noch der Versuch über den Hintergang durchzukommen, gelangen den OrdnungshüterInnen. So zogen die BeamtInnen erfolglos ab. AugenzeugInnen zufolge soll der Einsatzleiter Auer zum Abschied noch „Ihr habt die Schlacht gewonnen, aber den Krieg gewinnen wir!“ verkündet haben.

Dieser Fall verdeutlicht einmal mehr, dass das Dublin-III-Verfahren menschenunwürdig ist und erfolgreiche Integration verhindert. Vor zehn Monaten ist Modoulamin nach Deutschland gekommen. Er besucht Deutsch-Integrationskurse und arbeitet als Hilfshausmeister an der Hermann-Hesse-Realschule in Fellbach-Schmiden. Der Rektor der Schule soll sich ebenfalls an der Blockade beteiligt haben. Obendrein hat Modoulamin vor Kurzem eine Zusage für eine FSJ-Stelle im Fellbacher „Haus am Kappelberg“, einer Anlage für betreutes Wohnen von Senioren und Pflegeeinrichtung, bekommen. Nun wollen ihn die Behörden noch schnell nach Italien zurück verfrachten, denn auch das ist Teil der Dublin-III-Verordnung: wenn die deutschen Behörden Modoulamin sechs Monate nach seinem Asylantrag nicht nach Italien, dem europäischen Land welches er zuerst betreten hatte, abgeschoben haben, fällt die Zuständigkeit dann doch auf die Bundesrepublik. Am 1. Juli endet diese Frist.

Das der Dublin-III-Wahnsinn ein Ende hat, ist vorerst nicht abzusehen. Beim gestrigen EU-Gipfel konnte man sich nicht auf eine Quotenregel einigen. 40.000 Geflüchtete, welche sich momentan in Italien und Griechenland befinden, sollen auf andere EU-Staaten verteilt werden, um die Mittelmeer-Länder zu entlasten. Da osteuropäische Staaten ihre Beteiligung an einer möglichen Quotenregelung abgeblockt haben sollen, geschieht die Verteilung nun auf freiwilliger Basis. Der italienische Regierungschef Matteo Renzi soll seiner Enttäuschung folgendermaßen Ausdruck verliehen haben: „Wenn Ihr mit der Zahl von 40 000 nicht einverstanden seid, verdient Ihr es nicht, Europa genannt zu werden. Wenn das eure Idee von Europa ist, dann könnt ihr es für euch behalten. Entweder gibt es Solidarität – oder verschwendet nicht unsere Zeit.“ Eine Quotenregelung wäre sicherlich ein Fortschritt, wenn es darum geht, Länder wie Italien nicht die gesamte Last tragen zu lassen. Eine einigermaßen gleichmäßige Verteilung auf Europa ist sicherlich sinnvoll. Ein strenges Quotensystem scheint aber ebenfalls nicht die goldene Lösung darzustellen, wenn es um gelungene Integration sowie Wohlbefinden und Schutz der Geflüchteten geht. Folgt man diesen Zielen, müsste man es diesen freistellen, wo in Europa sie einen Asylantrag stellen. Allen die dieses Thema vertiefen möchten, sei das Büchlein „Im Namen der Menschlickeit. Rettet die Flüchtlinge!“ von Heribert Prantl empfohlen.

Rechte Krawalle in Freital

In den Medien meist nur am Rande erwähnt, spielen sich in der sächsischen Kleinstadt Freital seit Monaten besorgniserregende Szenen ab, welche sich diese Woche weiter zuspitzen. Das zuständige Landratsamt hatte das leerstehende „Hotel Leonardo“ im beschaulichen Freital vor einigen Monaten angemietet, um es in eine Unterkunft für Asylbewerber umzuwandeln. Eigentlich waren kleinere dezentrale Unterkünfte anvisiert, man fand aber nicht genügend Räumlichkeiten im Landkreis. Bereits in der ersten Woche kam es zu Demonstrationen und Ausschreitungen. Freital gilt als Hochburg der sogenannten Pegida, Lutz Bachmann lebt im Nachbarort. Es gründete sich die Asyl-feindliche Plattform „Freital wehrt sich – Nein zum Hotelheim“ und später sogar eine sogenannte „Bürgerwehr 360“, welche in öffentlichen Bussen patrouillieren will. Es gab mehrere große Demonstrationen gegen die Unterbringung, vor allem kam es aber schon mehrere Male zu gewaltsame Übergriffen auf Asylbewerber und Menschen, welche sich für diese einsetzen. Das „Netz-gegen-Nazis“ trug die Übergriffe zusammen. Von Beleidigungen, Steinwürfen, Feuerwerkskörpern bis hin zu Körperverletzungen ist in der Liste alles zu finden.

Vergangene Woche war dann Bundesinnenminister Thomas de Maizière höchstpersönlich beim Bürgerforum zum Thema Asyl in Freital zu Gast. Begleitet wurde die Veranstaltung mit massiven Protesten von AfD, NPD und selbsternannten „besorgten Bürgern“. Matthias Meisner und Lars Radau schrieben nun im Tagesspiegel „Drei Tage später wurde dann klar, dass der Bundesinnenminister zumindest eines bei seinem Besuch in Freital nicht erreicht hat: Willkommenskultur zu vermitteln“. Am vergangenen Montag wurde bekannt, dass vorübergehend weitere 280 Asylbewerber zur Erstaufnahme nach Freital kommen sollten. Spontan rotteten sich am Abend ca. 100 Asyl-Feinde direkt vor der Unterkunft zusammen. Lutz Bachmann hatte unter anderem via Facebook dazu aufgerufen. Ebenfalls anwesend waren ungefähr 40 Befürworter des Heims und 13 Polizisten. Feuerwerkskörper wurden gezündet, laut Augenzeugen der Facebook-Seite „PEGIDA#watch“ auch Steine in Richtung Unterkunft geworfen. Die Autoren der Seite kritisieren insbesondere das schwache Polizei-Aufgebot, welches wohl nicht in der Lage gewesen sein soll, im Ernstfall einzugreifen. Dies soll sich aber in den Folgetagen gebessert haben. Die Gegner der Unterbringung mobilisieren seither täglich. Stets kommen auch Gegendemonstranten. Die beiden Gruppen werden durch die Polizei voneinander abgeschirmt. Diese bewacht die „Hotel Leonardo“ mittlerweile rund um die Uhr. Alles in allem wirkt es auf jeden Fall ein bisschen beruhigend, dass sich in Freital ganz offenbar auch Menschen dafür engagieren, dass die eintreffenden Asylbewerber möglichst geschützt in ihrer Unterbringung ankommen können und sie dort freundlich Willkommen heißen. Diese Unterstützer setzen dabei teilweise ihre eigene Sicherheit aufs Spiel. Dienstagnacht wurde ein Auto mit Gegendemonstranten durch einen Verfolger mit einem Baseballschläger angegriffen, ein Insasse erlitt Verletzungen.

Grüne und Linke reagierten in Sachsen mit Vorwürfen in Richtung schwarz-roter Landesregierung. Es ist von „Missmanagement“ des Innenministers Markus Ulbig (CDU) die Rede, welcher Flüchtlinge gefährde. Sachsens Ausländerbeauftragter Geert Mackenroth (CDU) äußerte inzwischen Kritik in Richtung der Organisatoren: „Manche Formulierungen der Rädelsführer enthalten zumindest zwischen den Zeilen Aufrufe zu Gewalt gegen Personen und Sachen“. Die Bundesregierung hat die Proteste in Freital mittlerweile klar kritisiert.

Workshop
Extrem demokratisch – Argumente gegen das Extremismuskonzept

Am vergangenen Freitag fand im Stuttgarter Hospitalhof der Workshop „Extrem demokratisch – Argumente gegen das Extremismuskonzept“ statt. Veranstaltet wurde dieser Fachtag von der Fritz-Erler-Forum Baden-Württemberg (Friedrich-Ebert-Stiftung), der Landesarbeitsgemeinschaft Offene Jugendbildung Baden-Württemberg und dem Stadtjugendring Stuttgart. Alexander Schell vom Stadtjugendring erklärte eingangs wie es zur Veranstaltung kam. Der Stadtjugendring habe unter anderem die Aufgabe die Demokratie zu verteidigen und zu fördern, was auch ein entschiedenes Vorgehen gegen Rechtsextremismus bedeute. In der Vergangenheit habe sich der Stadtjugendring des öfteren den Vorwurf anhören müssen, dass man nur einseitig den Rechtsextremismus bekämpfe, den Linksextremismus aber nicht beachte. So war es höchste Zeit, sich einmal genauer mit Extremismuskonzepten zu beschäftigen, hierfür sollte der Workshop dienen. Als Referenten waren Prof. Dr. Astrid Messerschmidt von der TU Darmstadt sowie Martin Hünemann und Max Fuhrmann eingeladen. Die Inhalte der Vorträge und Workshops sind im Folgenden zusammengefasst.

Den Vormittag bestritt Frau Messerschmidt mit ihrem Vortrag „Rechtsextremismus, Rechtspopulismus aus der Sicht rassismuskritischer Bildung“. Sie erklärte eingangs, dass der Begriff „Extremismus“ meist als Distanzierungsformel diene. Niemand würde sich selbst als Extremist bezeichnen. Frau Messerschmidt versteht unter Extremismus einen organisierten nationalistischen Rechtsextremismus, einen dazu äquivalenten Linksextremismus gebe es in Deutschland nicht. Ein solcher sei inhaltlich nicht bestimmbar, es gebe lediglich vereinzelt Akteure, die scheinbar linksmotivert extremistisch handeln. Die zwanghafte Versuchung, einen Linksextremismus neben den Rechtsextremismus zu stellen, sei vor allem historisch bedingt. Immer wieder würde der Versuch unternommen die DDR als linke Schreckensherrschaft mit dem 3. Reich gleichzusetzen. Zudem gebe es ein nachwirkendes Trauma, welches in den 70er-Jahren von der RAF ausgelöst wurde. Ein wichtiger Unterschied sei zudem, dass sich rechte Bewegungen stets auf die angenommene Ungleichwertigkeit von Menschen beziehen. Frau Messerschmidt beschäftigt sich in ihrer Arbeit meist eher mit Rechtspopulismus, welchen sie als „bürgerlichen Extremismus“ bezeichnet, als mit expliziten Rechtsextremismus. Unter Rechtspopulismus seien in erster Linie Bestrebungen zur Wohlstandsverteidigung und zur Wahrung einer nationalen Kulturgemeinschaft zu verstehen. Kern des bürgerlichen Populismus sei die kulturelle Abgrenzung, biologische Argumente zur Identitätssetzung seien dagegen nicht mehr so aktuell. Rechtsextremismus und Rechtspopulismus können durchaus vermischt auftreten, so Messerschmidt. Ein Beispiel liefere hier die sogenannte „PEGIDA“. In der Dresdner Bewegung gebe es neben einem Gros von Rechtspopulisten auch explizit rechtsextreme Untergruppen.

Als Professorin beschäftigt sich Frau Messerschmidt vor allem mit Bildungsfragen, so war die „rassismuskritische Bildung“ auch der Schwerpunkt im weiteren Verlauf ihres Vortrages. Rassismuskritik sei nicht mit Anti-Rassismus gleichzusetzen. Das Konzept wende sich zunächst gegen die Wahrnehmung von Rassismus als Randerscheinung. Es gehe davon aus, dass Alltagsrassismus ein sehr verbreitetes Phänomen sei und dass viele Menschen Rassismuserfahrungen machen würden. Es gebe in Deutschland keinen expliziten Staatsrassismus, also einen Rassismus der fest in der Verfassung verankert wäre. Ein institutioneller Rassismus sei aber in staatlichen Einrichtungen dennoch durchaus vorhanden, unter anderem in der Schule und bei der Polizei. In Deutschland sei es vor allem ein Problem, dass es eine sehr starke Abwehrhaltung gegen den Begriff Rassismus gebe, eine wichtige Debatte werde durch eine solche Blockadehaltung verhindert. Hier setze die rassismuskritische Bildung an. Sie fördere die Wahrnehmung von Rassismus und das Anstoßen von Debatten sowie schlussendlich Veränderungen. Pädagogik solle hier ausdrücklich auch als Teil des Problems betrachtet werden und nicht nur als Teil der Lösung. Als Beispiel diene hier der Kolonialismus, welcher in der Bildung meist nur eine sehr kleine bis überhaupt keine Rolle spiele. In der rassismuskritischen Bildung sei die Beschäftigung mit dem Kolonialismus eine sehr wichtige Grundlage. Ein weiteres Defizit weiße die Bildung in der Auseinandersetzung mit Migration auf. Migration im historischen und gegenwärtigen Kontext werde meist nicht angemessen behandelt. So würden immer wieder Spaltungen und Zugehörigkeitsordnungen vorgenommen. Weitere Defizite sieht Messerschmidt in der Auseinandersetzung mit Anti-Semitismus und Anti-Ziganismus.

Im Weiteren beschäftigte sich Frau Messerschmidt in ihrem Vortrag mit den NSU-Morden. Die Morde selber wären explizit rechtsextreme Taten gewesen, dennoch sage die Mordserie auch etwas über Alltagsrassismus aus. Dieser offenbare sich beispielsweise bei der Wahl der Opfer, diese wären nach alltäglichen rassistischen Gruppenzuteilungen gewählt worden. Auch im Zuge der Ermittlungen wurde laut Messerschmidt Alltagsrassismus sichtbar. So suchte in Bayern eine „Sonderkommission Bosporus“ nach Tätern, eine überaus kritische Bezeichnung. Am Ende ihres Vortrages nannte die Referentin aktuelle Herausforderungen der rassismuskritischen Bildung. Dazu gehöre beispielsweise die Auseinandersetzung mit „antipluralistischen Ressentiments“ und „akzeptierten Feindseligkeiten“ (Bsp: „Niemand soll in unsere Sozialsysteme einwandern“). Problematisch seien zudem unter anderem autoritäre Bedürfnisse und die Sehnsucht nach einer heilen nationalen Identität.

Am Nachmittag gestalteten Martin Hünemann und Max Fuhrmann, welche unter anderem im „Netzwerk für Demokratie und Courage“ sowie bei der Plattform „Extrem demokratisch“ aktiv wurden. Auch dieser Block wurde mit einem theoretischen Input unter dem Titel „Grundlagen der Extremismuskritik“ gestartet. Hünemann und Fuhrmann stellten drei verschiedene Herangehensweise an den Extremismusbegriff vor. Zunächst gebe es den amtlichen Umgang mit dem Begriff Extremismus. Grundlage hierfür sei die freiheitliche demokratische Grundordnung in der Verfassung, die darauf basierende Bestimmung von Extremisten solle dem Staatsschutz dienen. Diese Bestimmung sei allerdings sehr kritisch zu betrachten. Es würden meist sehr fragwürdige Statistiken erstellt. Dies offenbare sich beispielsweise in der Bestimmung von linksextremistisch motivierten Straftaten. Diese würden von den verschiedenen Landesanstalten für Verfassungsschutz mit sehr unterschiedlichen Maßstäben erfasst. Zudem würden Klassifizierungen meist auch mit politischer Motivation angestellt. Unterschiedliche Phänomene würden auf kritische Weise zusammengefasst. Es sei Vorsicht beim Verfassungsschutz als Experte geboten. Eine zweite Herangehensweise an den Extremismusbegriff liefere die Extremismustheorie. Diese veranschauliche den Begriff mit einem Hufeisen. Der untere und mittlere Teil des Hufeisens stelle die demokratische Mitte dar. Auf der linken und rechten Seite würden die beiden extremistischen Pole abgebildet. Links- und Rechtsextremismus würden hier also nebeneinander auf eine Ebene gestellt, zudem bewegen sie sich nach diesem Bild aufeinander zu. Dieses Modell diene vor allem der „Feindbestimmung“. Wie im amtlichen Umgang mit dem Extremismusbegriff würden hier unterschiedliche Phänomen vermischt. Hünemann und Fuhrmann konstantierten, dass der Linksextremismus als Kategorie in Frage zu stellen sei. Zudem stellten sie fest, dass weder die amtliche Bestimmung, noch die Extremismustheorie als Grundlage für pädagogische Prävention dienen können. Eine Alternative böte die dritte Herangehensweise, die Rechtsextremismus-Forschung. Sie fundiere auf Untersuchungen auf der Einstellungsebene (Bsp.: wie entsteht rassistisches Gedankengut?) und der Handlungsebene (Bsp.: warum wählt jemand die NPD?). So würden soziale Verteilung und Ursachen von Rechtsextremismus untersucht. Eine Intervention in der „Mitte“ der Gesellschaft werde so möglich gemacht. Das Fazit: Rechts- und Linksextremismus als Kategorien seien nicht zielführend. Konkrete Einstellungen, so zum Beispiel Rassismus, Autoritarismus oder Antisemitismus, müssten untersucht werden. Diese Aussage deckt sich mit den Ausführungen von Frau Messerschmidt.

Im zweiten Teil des Workshop-Nachmittags kam es schließlich zur praktischen Übung. Zunächst sollten sich Kleingruppen mit Parolen zum Thema Extremismus auseinandersetzen. Zwei Beispiele: „Warum grenzt sich Ihre Organisation nur vom Rechtsextremismus, nicht aber vom Linksextremismus ab?“ oder „Auf Demonstrationen sind doch immer die linken Extremisten das Problem, nie aber die Rechten!“. An dieser Stelle war zu erkennen, dass viele Workshop-Teilnehmer in diesem Thema leidgeprüft waren, was den Workshop durchaus belebte. Zum Abschluss gab es ein Argumentationstraining für die Teilnehmer. Mittels der sogenannten „Fünf-Satz-Technik“ wurde die argumentative Reaktion auf die behandelten Parolen geübt.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass FES, LAGO und SJR einen durchaus gelungenen Fachtag organisiert haben. Sowohl Frau Prof. Dr. Messerschmidt, wie auch Herr Hünemann und Herr Fuhrmann stellten hochinteressante Fakten vor, welche zweifelsohne für alle Tagungsteilnehmer eine Bereicherung darstellten. Der Schwerpunkt des Workshops lag definitiv auf theoretischem Input, was aber ausdrücklich positiv zu bewerten ist. Ein so gewonnenes fundiertes Fachwissen zur Thematik wird den Teilnehmern in Zukunft helfen, auf die eingangs erwähnten Vorwürfe zu reagieren.