Workshop
Extrem demokratisch – Argumente gegen das Extremismuskonzept

Am vergangenen Freitag fand im Stuttgarter Hospitalhof der Workshop „Extrem demokratisch – Argumente gegen das Extremismuskonzept“ statt. Veranstaltet wurde dieser Fachtag von der Fritz-Erler-Forum Baden-Württemberg (Friedrich-Ebert-Stiftung), der Landesarbeitsgemeinschaft Offene Jugendbildung Baden-Württemberg und dem Stadtjugendring Stuttgart. Alexander Schell vom Stadtjugendring erklärte eingangs wie es zur Veranstaltung kam. Der Stadtjugendring habe unter anderem die Aufgabe die Demokratie zu verteidigen und zu fördern, was auch ein entschiedenes Vorgehen gegen Rechtsextremismus bedeute. In der Vergangenheit habe sich der Stadtjugendring des öfteren den Vorwurf anhören müssen, dass man nur einseitig den Rechtsextremismus bekämpfe, den Linksextremismus aber nicht beachte. So war es höchste Zeit, sich einmal genauer mit Extremismuskonzepten zu beschäftigen, hierfür sollte der Workshop dienen. Als Referenten waren Prof. Dr. Astrid Messerschmidt von der TU Darmstadt sowie Martin Hünemann und Max Fuhrmann eingeladen. Die Inhalte der Vorträge und Workshops sind im Folgenden zusammengefasst.

Den Vormittag bestritt Frau Messerschmidt mit ihrem Vortrag „Rechtsextremismus, Rechtspopulismus aus der Sicht rassismuskritischer Bildung“. Sie erklärte eingangs, dass der Begriff „Extremismus“ meist als Distanzierungsformel diene. Niemand würde sich selbst als Extremist bezeichnen. Frau Messerschmidt versteht unter Extremismus einen organisierten nationalistischen Rechtsextremismus, einen dazu äquivalenten Linksextremismus gebe es in Deutschland nicht. Ein solcher sei inhaltlich nicht bestimmbar, es gebe lediglich vereinzelt Akteure, die scheinbar linksmotivert extremistisch handeln. Die zwanghafte Versuchung, einen Linksextremismus neben den Rechtsextremismus zu stellen, sei vor allem historisch bedingt. Immer wieder würde der Versuch unternommen die DDR als linke Schreckensherrschaft mit dem 3. Reich gleichzusetzen. Zudem gebe es ein nachwirkendes Trauma, welches in den 70er-Jahren von der RAF ausgelöst wurde. Ein wichtiger Unterschied sei zudem, dass sich rechte Bewegungen stets auf die angenommene Ungleichwertigkeit von Menschen beziehen. Frau Messerschmidt beschäftigt sich in ihrer Arbeit meist eher mit Rechtspopulismus, welchen sie als „bürgerlichen Extremismus“ bezeichnet, als mit expliziten Rechtsextremismus. Unter Rechtspopulismus seien in erster Linie Bestrebungen zur Wohlstandsverteidigung und zur Wahrung einer nationalen Kulturgemeinschaft zu verstehen. Kern des bürgerlichen Populismus sei die kulturelle Abgrenzung, biologische Argumente zur Identitätssetzung seien dagegen nicht mehr so aktuell. Rechtsextremismus und Rechtspopulismus können durchaus vermischt auftreten, so Messerschmidt. Ein Beispiel liefere hier die sogenannte „PEGIDA“. In der Dresdner Bewegung gebe es neben einem Gros von Rechtspopulisten auch explizit rechtsextreme Untergruppen.

Als Professorin beschäftigt sich Frau Messerschmidt vor allem mit Bildungsfragen, so war die „rassismuskritische Bildung“ auch der Schwerpunkt im weiteren Verlauf ihres Vortrages. Rassismuskritik sei nicht mit Anti-Rassismus gleichzusetzen. Das Konzept wende sich zunächst gegen die Wahrnehmung von Rassismus als Randerscheinung. Es gehe davon aus, dass Alltagsrassismus ein sehr verbreitetes Phänomen sei und dass viele Menschen Rassismuserfahrungen machen würden. Es gebe in Deutschland keinen expliziten Staatsrassismus, also einen Rassismus der fest in der Verfassung verankert wäre. Ein institutioneller Rassismus sei aber in staatlichen Einrichtungen dennoch durchaus vorhanden, unter anderem in der Schule und bei der Polizei. In Deutschland sei es vor allem ein Problem, dass es eine sehr starke Abwehrhaltung gegen den Begriff Rassismus gebe, eine wichtige Debatte werde durch eine solche Blockadehaltung verhindert. Hier setze die rassismuskritische Bildung an. Sie fördere die Wahrnehmung von Rassismus und das Anstoßen von Debatten sowie schlussendlich Veränderungen. Pädagogik solle hier ausdrücklich auch als Teil des Problems betrachtet werden und nicht nur als Teil der Lösung. Als Beispiel diene hier der Kolonialismus, welcher in der Bildung meist nur eine sehr kleine bis überhaupt keine Rolle spiele. In der rassismuskritischen Bildung sei die Beschäftigung mit dem Kolonialismus eine sehr wichtige Grundlage. Ein weiteres Defizit weiße die Bildung in der Auseinandersetzung mit Migration auf. Migration im historischen und gegenwärtigen Kontext werde meist nicht angemessen behandelt. So würden immer wieder Spaltungen und Zugehörigkeitsordnungen vorgenommen. Weitere Defizite sieht Messerschmidt in der Auseinandersetzung mit Anti-Semitismus und Anti-Ziganismus.

Im Weiteren beschäftigte sich Frau Messerschmidt in ihrem Vortrag mit den NSU-Morden. Die Morde selber wären explizit rechtsextreme Taten gewesen, dennoch sage die Mordserie auch etwas über Alltagsrassismus aus. Dieser offenbare sich beispielsweise bei der Wahl der Opfer, diese wären nach alltäglichen rassistischen Gruppenzuteilungen gewählt worden. Auch im Zuge der Ermittlungen wurde laut Messerschmidt Alltagsrassismus sichtbar. So suchte in Bayern eine „Sonderkommission Bosporus“ nach Tätern, eine überaus kritische Bezeichnung. Am Ende ihres Vortrages nannte die Referentin aktuelle Herausforderungen der rassismuskritischen Bildung. Dazu gehöre beispielsweise die Auseinandersetzung mit „antipluralistischen Ressentiments“ und „akzeptierten Feindseligkeiten“ (Bsp: „Niemand soll in unsere Sozialsysteme einwandern“). Problematisch seien zudem unter anderem autoritäre Bedürfnisse und die Sehnsucht nach einer heilen nationalen Identität.

Am Nachmittag gestalteten Martin Hünemann und Max Fuhrmann, welche unter anderem im „Netzwerk für Demokratie und Courage“ sowie bei der Plattform „Extrem demokratisch“ aktiv wurden. Auch dieser Block wurde mit einem theoretischen Input unter dem Titel „Grundlagen der Extremismuskritik“ gestartet. Hünemann und Fuhrmann stellten drei verschiedene Herangehensweise an den Extremismusbegriff vor. Zunächst gebe es den amtlichen Umgang mit dem Begriff Extremismus. Grundlage hierfür sei die freiheitliche demokratische Grundordnung in der Verfassung, die darauf basierende Bestimmung von Extremisten solle dem Staatsschutz dienen. Diese Bestimmung sei allerdings sehr kritisch zu betrachten. Es würden meist sehr fragwürdige Statistiken erstellt. Dies offenbare sich beispielsweise in der Bestimmung von linksextremistisch motivierten Straftaten. Diese würden von den verschiedenen Landesanstalten für Verfassungsschutz mit sehr unterschiedlichen Maßstäben erfasst. Zudem würden Klassifizierungen meist auch mit politischer Motivation angestellt. Unterschiedliche Phänomene würden auf kritische Weise zusammengefasst. Es sei Vorsicht beim Verfassungsschutz als Experte geboten. Eine zweite Herangehensweise an den Extremismusbegriff liefere die Extremismustheorie. Diese veranschauliche den Begriff mit einem Hufeisen. Der untere und mittlere Teil des Hufeisens stelle die demokratische Mitte dar. Auf der linken und rechten Seite würden die beiden extremistischen Pole abgebildet. Links- und Rechtsextremismus würden hier also nebeneinander auf eine Ebene gestellt, zudem bewegen sie sich nach diesem Bild aufeinander zu. Dieses Modell diene vor allem der „Feindbestimmung“. Wie im amtlichen Umgang mit dem Extremismusbegriff würden hier unterschiedliche Phänomen vermischt. Hünemann und Fuhrmann konstantierten, dass der Linksextremismus als Kategorie in Frage zu stellen sei. Zudem stellten sie fest, dass weder die amtliche Bestimmung, noch die Extremismustheorie als Grundlage für pädagogische Prävention dienen können. Eine Alternative böte die dritte Herangehensweise, die Rechtsextremismus-Forschung. Sie fundiere auf Untersuchungen auf der Einstellungsebene (Bsp.: wie entsteht rassistisches Gedankengut?) und der Handlungsebene (Bsp.: warum wählt jemand die NPD?). So würden soziale Verteilung und Ursachen von Rechtsextremismus untersucht. Eine Intervention in der „Mitte“ der Gesellschaft werde so möglich gemacht. Das Fazit: Rechts- und Linksextremismus als Kategorien seien nicht zielführend. Konkrete Einstellungen, so zum Beispiel Rassismus, Autoritarismus oder Antisemitismus, müssten untersucht werden. Diese Aussage deckt sich mit den Ausführungen von Frau Messerschmidt.

Im zweiten Teil des Workshop-Nachmittags kam es schließlich zur praktischen Übung. Zunächst sollten sich Kleingruppen mit Parolen zum Thema Extremismus auseinandersetzen. Zwei Beispiele: „Warum grenzt sich Ihre Organisation nur vom Rechtsextremismus, nicht aber vom Linksextremismus ab?“ oder „Auf Demonstrationen sind doch immer die linken Extremisten das Problem, nie aber die Rechten!“. An dieser Stelle war zu erkennen, dass viele Workshop-Teilnehmer in diesem Thema leidgeprüft waren, was den Workshop durchaus belebte. Zum Abschluss gab es ein Argumentationstraining für die Teilnehmer. Mittels der sogenannten „Fünf-Satz-Technik“ wurde die argumentative Reaktion auf die behandelten Parolen geübt.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass FES, LAGO und SJR einen durchaus gelungenen Fachtag organisiert haben. Sowohl Frau Prof. Dr. Messerschmidt, wie auch Herr Hünemann und Herr Fuhrmann stellten hochinteressante Fakten vor, welche zweifelsohne für alle Tagungsteilnehmer eine Bereicherung darstellten. Der Schwerpunkt des Workshops lag definitiv auf theoretischem Input, was aber ausdrücklich positiv zu bewerten ist. Ein so gewonnenes fundiertes Fachwissen zur Thematik wird den Teilnehmern in Zukunft helfen, auf die eingangs erwähnten Vorwürfe zu reagieren.