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Neues vom Betty-Rosenfeld-Projekt
Spurensuche vor Ort – eine Reportage

Betty Rosenfeld war die einzige Frau aus Stuttgart, die bei den Internationalen Brigaden kämpfte. Die Krankenschwester wurde deportiert und in Auschwitz ermordet. Michael Uhl hat dazu intensive Forschungen gemacht, Zeitzeugen und neues Archivmaterial gefunden – ein spannendes Geschichtsprojekt, das die AnStifter mit Ihrer Hilfe realisieren.

Verschafft Zugang zu den Quellen

Seit April befindet sich der Historiker Michael Uhl auf Forschungsreise in Spanien. 1994 war er im Bürgerkriegsarchiv des Archivo Histórico Nacional von Salamanca zum ersten Mal auf Betty Rosenfeld aufmerksam geworden. Per Zufall stieß er damals auf ein Dokument mit einem kleinen Foto der mutigen Frau aus Stuttgart. Nach langer Suche gelingt ihm an diesem Ort, der sich hinter der alten Kathedrale befindet und inzwischen Centro Documental de la Memoria Histórica heißt, wieder ein wichtiger Fund. In einer Akte flattert ihm ein Brief von Betty entgegen, höchstwahrscheinlich der einzige von ihr, der aus dem Spanischen Bürgerkrieg überliefert ist.

Das Bürgerkriegsarchiv Salamanca

Im Mai geht es weiter. Die nächste Etappe führt ihn – mit der Eisenbahn, wie es sich für einen zivilisierten Europäer gehört – von der zentralspanischen Region Castilla y León Richtung Südosten nach Murcia. Hier hatte Betty einst als Krankenschwester der Internationalen Brigaden verwundete Freiwillige gepflegt, die sich wie sie für die Verteidigung der demokratisch legitimierten Spanischen Republik einsetzten. Im Archivo Municipal von Murcia zeigt man dem Besucher aus Stuttgart alte Stadtkarten, Fotos und Zeitungen. Dann wieder raus in die Hitze, bis alle biographisch und historisch relevanten Orte lokalisiert sind. Vom Militärkrankenhaus, in dem Betty die meiste ihrer Zeit in Murcia arbeitete, ist heute nichts mehr übrig. An der Stelle, wo einst das Gebäude stand, befindet sich heute eine blanke Sandfläche, dahinter der alte Botanische Garten, durch den schon Betty wandelte. Immerhin steht noch ein anderes Gebäude, das ebenfalls provisorisch in ein Militärspital umgewandelt worden war. Ein junger Concierge mit Dreitagebart öffnet unserem Forscher die Tür, führt ihn durch das Treppenhaus. Nur die Dachterrasse, auf der sich Betty mit spanischen Kameradinnen hatte fotografisch ablichten lassen, sieht aus wie früher. In den Etagen darunter sind jetzt schicke Mietwohnungen untergebracht. Carlos, der Hausmeister, drückt Michael Uhl zum Abschied auf einem Zettel seine private Adresse in die Hand. Er möchte später auch ein Exemplar der Betty-Rosenfeld-Biographie. Niemand in Murcia, nicht einmal eine ausgewiesene Bürgerkriegsexpertin der Universität, ahnt, was sich in diesem Gebäude mitten in einer Flaniermeile Murcias während des Bürgerkriegs abgespielt hat. Die Sieger des Spanischen Bürgerkriegs haben seine Geschichte diktiert. Nach dem Tod des Diktators herrschte Schweigen, Verdrängen und Vergessen.

Denkmal auf dem Friedhof Gurs

Carmen, die Professorin, nimmt unseren Spurensucher mit in die Provinz zu einer Konferenz im Ort Alhama. Dort dreht sich alles um das Schicksal spanischer Republikaner aus Murcia, die im KZ Mauthausen ermordet wurden. Den einen oder anderen von ihnen dürfte Betty in Murcia gekannt haben. Unter den Besuchern sind Angehörige von Opfern. Der Bürgermeister von Alhama eröffnet die Konferenz. Er freut sich, dass auch aus Deutschland jemand gekommen sei.

Zurück in Salamanca. Der Marktplatz ist gesperrt. Über dem alten Rathaus weht die rot-gelb-violette Fahne der Republik. Man drehe gerade eine Szene für einen Spielfilm über den Spanischen Bürgerkrieg, erklärt ein Polizist. Das Thema ist auf einmal wieder im Gespräch. Anfang Juni kam infolge eines geglückten Misstrauensvotums in Madrid die sozialistische Partei wieder an die Regierung. Der junge Ministerpräsident Pedro Sánchez, dessen Parteigenossen (Partido Socialista Obrero Español) im Gegensatz zu den deutschen Sozialdemokraten mit erhobener Faust noch die Internationale singen, nimmt das 2007 von seiner Partei eingeführte Gesetz Ley de la Memoria Histórica wieder in Angriff. Das Gesetz verfolgt das Ziel, das Franco-Regime zu verurteilen und alle Opfer des Bürgerkriegs und der Diktatur zu rehabilitieren. Man hatte damals damit begonnen, franquistische Symbole aus öffentlichen Plätzen zu entfernen. Massengräber wurden freigelegt, die exhumierten Opfer per DNAAnalyse identifiziert, die Überreste von ihren Familienangehörigen würdevoll bestattet. Die Umsetzung geriet 2011 ins Stocken. Nach einem Regierungswechsel drehte der neue Regierungschef Mariano Rajoy den Geldhahn zu. Seine konservative Volkspartei (Partido Popular) ist zu sehr in Francos Erbe verstrickt, als dass ihr die Entfernung von Reliquien des Franco-Regimes am Herzen liegen könnte. Doch jetzt gerät der PP ins Schwitzen: Sánchez kündigte an, dass auch die Gebeine des Diktators Franco endlich aus dem Valle de los Caídos (Tal der Gefallenen) nördlich von Madrid verschwinden und das monumentale Gelände, das von republikanischen Zwangsarbeitern aus Stein gehauen worden war und bist heute im Zeichen eines überdimensional-gespenstischen Kreuzes unter der Obhut eines katholischen Abtes steht, neue Formen annehmen müsse. Auch die rechtslastige Stiftung Franciso Franco, die noch immer vom spanischen Staat Zuwendungen erhält, soll illegalisiert werden. Gegen die geplanten Maßnahmen demonstrierten vor kurzem 1.500 Altfranquisten im Valle de los Caídos. Einige von ihnen erhoben den Arm zum faschistischen Gruß. Australische Touristen, die sich eigentlich ein anderes Bild von Spanien machen wollten, reagierten irritiert.

Friedhof Gurs – Grabsteine

Im Juni führt die Spurensuche über die Pyrenäengrenze. In Südfrankreich verbrachte Betty als staatenloser Flüchtling einige Wochen in der Ortschaft Oloron Sainte Marie. Zum Schluss musste sie dort im Camp Gurs hinter Stacheldraht auf ihre Deportation nach Auschwitz warten. Zwischenstopp in San Sebastián. Vor dem Bahnhof stehen dutzende afrikanische Flüchtlinge, die mit dem Boot Aquarius nach Europa gelangt sind. Die neue spanische Regierung hat sie aufgenommen, die Regionalregierungen der autonomen Regionen Baskenland und Katalonien logistische Hilfe angeboten. Verloren stehen die Flüchtlinge mit ihren Rot-Kreuz-Bändchen am Handgelenk im Regen. Niemand war gekommen, um sie abzuholen. Aber sie wollen eh nicht bleiben. Wie weit es denn bis nach Paris sei, fragt einer von ihnen auf Französisch.

In Oloron sucht unser Geschichtsdetektiv die Orte auf, wo Betty als Flüchtling hauste, jede andere Bezeichnung ginge an der Realität vorbei. Dann hurtig weiter zum Gelände des ehemaligen Internierungslagers im abgelegenen Ort Gurs. Kein Bus weit und breit. Eine aus Marokko stammende Taxifahrerin bietet ihre Dienste an. Auf ihrem schwarzen Mercedes steht in Schreibschrift „Myriam-Taxi“. Was ihren Fahrgast denn herführe, erkundigt sie sich. Sie zeigt sich sichtlich bewegt über die Antwort. Während der Fahrt erinnert sie sich, dass in Gurs eine alte Frau lebe, die noch einiges über das Lager wisse. Sie sucht in ihrem Handy, findet aber keine Telefon-Nummer. Myriam gibt nicht auf, ruft im Taxi zuhause den Bürgermeister an. Monsieur le maire muss passen, kennt aber eine Organisation, die weiterhelfen könne. Während der Forscher das Gelände begeht, wartet Myriam außen mit ihrer kleinen Tochter. Das Freiluftmuseum besteht in erster Linie aus frei zugänglichen Wiesenflächen mit Hinweisschildern. Die alten Holzbaracken des Lagers sind verschwunden, nur eine originalgetreue Nachbildung dient als Modell zur Orientierung auf dem inzwischen von Sträuchern und Bäumen zugewachsenen Terrain.

Hinter den Mauern des Friedhofs des ehemaligen Lagers entdeckt unser Forscher das Grab einer Tante Bettys. Die Tante war 1940 zusammen mit anderen Juden aus Baden hierher deportiert worden. Die alte Frau hatte ihre Deportierung nicht überlebt. Es regnet in Strömen. Der Schlamm hatte den Internierten im Lager sehr zu schaffen gemacht. Myriam spendiert einen Papp-Becher Kaffee in einem rustikalen Reithof gegenüber. Am nächsten Morgen dann ein Treffen mit dem Vorsitzenden der Organisation Terres de Mémoire(s) et de Luttes. Er nennt sich Raymond, spricht fließend Spanisch. Seine Eltern waren Republikaner aus Asturien, Nordspanien. Sie hatten sich nach dem Spanischen Bürgerkrieg im KZ Gurs unter wenig romantischen Bedingungen kennengelernt. Seine Organisation versuche, diese Menschen dem Vergessen zu entreißen, erklärt er. Seine Zigarette glüht auf, als ihm Michael Uhl einen alten Brief von Betty aus Oloron vorlegt. Er nimmt den Mann aus Stuttgart in seinem Auto mit zum Stadtarchiv im Rathaus, erzählt, dass er jahrelang im Stadtrat saß. Kein Thema, man werde sich dort für das Betty-Rosenfeld-Projekt einsetzen.

Die Rückreise nach San Sebastián verzögert sich. Die französische Bahn streikt, der kleine Bahnhof von Oloron ist verschlossen. Wie in alten Zeiten, begeistert sich Raymond über den Elan der Gewerkschaft. Unser Forscher reagiert verhaltener, malt sich aus, im Stadtpark die Nacht zu verbringen. Aber wenigstens mit der Pension hat er Glück. In seinem Zimmer tippt er auf seinem Laptop eine E-Mail an Bettys Nichten in den USA, berichtet von der Spurensuche in Spanien und Frankreich. Sie antworten sofort, nehmen wie immer Anteil am Geschehen. Er telefoniert über Skype mit einer Kollegin in Israel, schaut sich per Download aus Berlin und Moskau eingetroffene digitalisierte Dokumente an. Zwischendurch eine E-Mail von einem Verwandten von Betty aus Südamerika. Heinz Rosenfeld, der Sohn ihres Cousins aus Stuttgart, habe sich vor einigen Jahren in Argentinien das Leben genommen. Das tragische Schicksal von Betty Rosenfeld und ihrer Familie verdichtet sich wie ein Puzzle. Es bleiben Lücken, die niemand mehr wird schließen können.

Dennoch: Unser Forscher leistet ganze Arbeit. Er hat mit der Niederschrift begonnen, auf sein Ergebnis darf man gespannt sein. Die Forschungsreisen und Materialien (Ein einzelner Scan kostet je nach Archiv zwischen 30 Cent und 10 Euro) sind mit hohen Unkosten verbunden, die Michael Uhl freiberuflich aus eigenem Beutel begleicht.

Wir rufen alle Menschen, die mit dem Betty-Rosenfeld-Projekt sympathisieren, zur Spende auf. Betty Rosenfeld riskierte und verlor für unsere Freiheit damals ihr Leben. Ihre Würdigung hätte heute Unterstützung verdient. Kleckert nicht, klotzt!

Spendenkonto
GLS-Bank
IBAN: DE31 4306 0967 7000 5827 01
BIC: GENODEM1GLS
Kennwort: Betty Rosenfeld

Die Reportage als pdf-Datei herunterladen: BRP Anstifter Reportage

Auch in kalten Zeiten
Wir bleiben solidarisch!

Liebe Leute,                                                                                                                    mit Blick auf die Kriege, auf Hunger und Not sagt der heute 91-jährige Soziologe Zygmunt Baumann: „Es gibt keinen anderen Ausweg aus der Krise, in der sich die Menschheit befindet, als die Solidarität.“ Diesem Satz fühlen wir uns verpflichtet, wie auch der FriedensPreis und die Arbeit der AnStifter ganz praktisch unsere Idee beschreibt, unsere Arbeitsbasis. Danke, dass Sie diese Arbeit möglich machen!

Viele Menschen bleiben gelassen, wenn Flüchtlinge ganz sicher nach Afghanistan abgeflogen werden, den freien Handel juckt es nicht, wenn Nato-Partner Türkei bürgerliche Freiheiten abmontiert. Geben wir daher in diesen Zeiten jene eine Stimme, die nicht sprechen können, die in Aleppo in den Kellern der Angst hocken, den Gefolterten, Gefangenen, Geflohenen weltweit.

Über die Grenzen hinweg brauchen dringlich eine demokratische Polarisierung unserer europäischen Gesellschaften. Wir brauchen im Lande von Christian Friedrich Daniel Schubart, Schiller, Hecker und Hegel eine höhere Sehschärfe für den großen Ruck nach rechts. Wir brauchen den scharfen Blick für die neuen Koalitionen, die die sogenannte Mitte mit dem rechten Rand eingeht. Wir brauchen den scharfen Blick kritischer Menschen.

Wir starten mit neuen Kräften*)!!!                                                                                  Am Do, 5. Januar 2017 laden wir mit dem DGB zum Neujahrsempfang ins Willi-Bleicher-Haus (17 h, Willi-Bleicher-Str. 20) und zur Eröffnung einer Ausstellung gesellschaftskritischer Plakate und am 12.1. mit dem Hannah-Arendt-Institut für politische Gegenwartsfragen zur Diskussion mit Prof. Dr. Michael Hartmann über die Kluft zwischen Arm & Reich – und wie das den Rechtspopulismus befeuert ( 19:30 h Würt. Kunstverein). Eine parteiübergreifende Pflichtveranstaltung! Alle Veranstaltungen und mehr dazu auf www.die-anstifter.de, unsere Homepage.

Ruhe zwischen den Stürmen!                                                                                          Im „Jahres-End-Letter“ erzählen wir Ihnen über unsere Wechsel in Ämter und Würden, neue Kräfte, alte Sorgen und den Aufwind in der DenkMacherei. Stärken Sie uns den Rücken – und den Geldbeutel. Helfen Sie beim AnStiften, damit wir weltoffen, selbstkritisch und unabhängig bleiben!

Herzlich grüßen                                                                                                                   Dr. Annette Ohme-Reinicke (die Neue im Vorstand), Ebbe Kögel und Peter Grohmann (ganz der Alte)
Elka Edelkott (die Neue), Evy Kunze und Fritz Mielert

Peter Grohmann wetterte aktuell über „Avanti Popolo!“ und „Alles Verbrecher“       Ein feiner Adventskalnder: Türchen öffnen!http://reich-und-arm.eu/  

Nach nur 69 Jahren
Auschwitz-Wachleute endlich verhaftet

69 Jahre nach der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau wurden heute drei ehemalige Wachmänner in Baden-Württemberg verhaftet. Die drei 88, 92 und 94 Jahre alten Männer kommen aus dem Enz-Kreis und dem Rhein-Main-Gebiet und befinden sich nun im Justizvollzugskrankenhaus in Hohenasperg in Untersuchungshaft. Weitere Hausdurchsuchungen gab es in Hessen und Nordrhein-Westfalen. Ihnen wird Beihilfe zum Mord vorgeworfen.

Das alles kommt spät, aber besser spät als nie. Endlich setzt sich die Auffassung durch, dass auch Wachmänner an den Ermordungen beteiligt waren, selbst wenn ihnen eine individuelle Tat nicht nachgewiesen werden kann.

Spiegel Online berichtet über die Verhaftungen und zitiert Pressesprecherin Claudia Krauth von der Staatsanwaltschaft Stuttgart: „Bei den dreien sehen wir einen dringenden Tatverdacht. Das Ziel ist nachzuweisen, dass sie in Auschwitz waren und dass sie Beihilfe zum Mord geleistet haben.“

Der erwachende Eifer der Stuttgarter Staatsanwaltschaft ist erfreulich. Zu hoffen ist auch, dass sie endlich dieselbe Aktivität bei den SS-Mördern des Massakers in Sant‘ Anna di Stazzema zeigt, auch wenn die Anwältin der Hinterbliebenen diese Hoffnung nicht teilt.

Fander/Eingeklemmt

Passend zur Meldung, dass die Ludwigsburger Zentralstelle zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen Vorermittlungen gegen 50 frühere KZ-Aufseher des Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau einleiten will, hat Vaclav Reischl ein schönes Filmchen über das Theaterstück Fander/Eingeklemmt von Udo Rabsch online gestellt.

Ein Clip von Vaclav Reischl