Sant’Anna di Stazzema
Generalamnestie durch biologische Lösung

Kommentar zur rechtsgeschichtlichen Verarbeitung des Massakers von Sant’Anna di Stazzema in Italien und Deutschland von Rechtsanwältin Gabriele Heinecke, gehalten am 27. Januar 2014 in Esslingen am Neckar. Die Rechte für diesen Text liegen bei Frau Heinecke.

Gedenken ist dann sinnvoll, wenn es eine Bedeutung für die aktuelle Zeit hat. Nicht vergessen heißt, Fehler nicht zu wiederholen. Ich bin mir nicht sicher, ob Deutschland aus den Fehlern der Vergangenheit genügend gelernt hat. Das gilt insbesondere für die NS-Kriegsverbrechen, denen man sich nicht gestellt hat und nicht stellt, aber auch für die neuen Kriege, die geführt werden.

Zu Beginn dieser Veranstaltung ist aus der Rede des Bundespräsidenten Gauck zitiert worden, die er im letzten Jahr anlässlich seines Besuches in Sant’Anna di Stazzema gehalten hat. Enrico Pieri hat sich über den Besuch zu Recht gefreut. Allerdings hat der Bundespräsident mit Blick auf die Nichtverfolgung der für das Massaker Verantwortlichen gesagt, die Instrumente des Rechtsstaats reichten nicht aus, um Gerechtigkeit zu schaffen. Das stimmte nicht. Es ist die Unwahrheit.

Der 12. August 1944 in Sant’Anna di Stazzema

560 Tote, Säuglinge, Kinder, Frauen und Alte. Die angebliche „Partisanenbekämpfungsaktion“ in den Morgenstunden des 12. August 1944 in dem toskanischen Dorf Sant’Anna di Stazzema war in Wirklichkeit ein grausamer Akt gegen unbeteiligte Zivilbevölkerung. Ahnungs- und wehrlos waren sie, als die Einheiten der 16. SS-Panzergrenadierdivision „Reichsführer SS“ kamen, um das Dorf und die Bewohner zu vernichten. Die SS wütete furchtbar und gnadenlos. Jeder dieser gut ausgebildeten SS-Angehörigen wusste, dass keine Partisanen im Dorf waren. Und sie wussten, dass die Division ein Völkerrechtsverbrechen beging. Eine andere Interpretation konnte man nicht haben.

Enrico Pieri verlor an diesem Tag alles: seine Eltern, seine Geschwister, Onkel, Tanten, Cousins und Cousinen, insgesamt 27 Familienmitglieder. Eine amerikanische Militärkommission der nachrückenden Alliierten erhob kurze Zeit nach dem Massaker Zeugenbeweise, oft präzise Berichte über diesen Augustmorgen. Doch die Akten wurden in den folgenden Jahren kaum bearbeitet.

Warum?

Nachdem die Bundesrepublik Deutschland im Jahre 1955 die Bundeswehr gegründet hatte, der NATO beigetreten war und das erste Anwerbeabkommen mit Italien abgeschlossen hatte, waren Kriegsverbrecherprozesse gegen den NATO-Partner absolut nicht opportun. 695 Akten mit Ermittlungsmaterial gegen die deutschen Schlächter gab es. Unterlagen über die in der Toskana von SS und Wehrmacht begangenen Massaker, vor allem Zeugenvernehmungen, Dokumente und Fotos.

Die Unterlagen wurden 1960 im sogenannten „Schrank der Schande“ im Palazzo Cesi, dem Sitz der Militärstaatsanwaltschaft „vorläufig“ archiviert. Einige hundert gegen „Unbekannt“ geführte Akten wurden damals der italienischen Militärjustiz, 20 wurden der Bundesrepublik übergeben. Wie man weiß, geschah danach Jahrzehnte lang nichts. Dabei wird man mit Blick auf die Bundesrepublik Deutschland nicht sagen können, man habe von nichts gewusst. Es war bekannt, was die eigenen Soldaten, was die Einheiten der SS und der Wehrmacht in den Ländern Europas angerichtet hatten.

Tatsächlich war es in der römischen Militärstaatsanwaltschaft ein offenes Geheimnis, dass die über die NS-Verbrechen geführten Akten im Keller lagerten. Und als der Staatsanwalt Intelisano im Jahre 1994 in dem Strafverfahren gegen den deutschen Kriegsverbrecher Priebke Beweismaterial suchte, war es darum kein Zufall, dass er auf den Schrank stieß.

In der Folge wurden in Italien die Akten an die zuständigen Militärstaatsanwaltschaften verteilt. Während die Staatsanwaltschaft in La Spezia unter Hochdruck mit der Auswertung der ihnen zugeteilten Akten und neuen Untersuchungen begann, geschah in Deutschland immer noch nichts. Erst Ende 1996 wurden schleppend bei der Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen in Ludwigsburg Ermittlungen aufgenommen. Schwung in die Ermittlungen kam hier erst im Jahre 2002. Denn aus Italien, insbesondere von dem Militärstaatsanwalt Marco De Paolis, kamen pausenlos Amtshilfeersuchen an die deutschen Ermittlungsbehörden zur Vernehmung von Zeugen und Beschuldigten. Die Zentrale Stelle gab das Verfahren Sant’Anna im Jahr 2002 an die Staatsanwaltschaft Stuttgart ab. Es richtete sich gegen 14 Beschuldigte. In Stuttgart jedoch stockte das Verfahren erneut. Mit Ermittlungen, die in der Sache nicht weiter führten, wurde wertvolle Zeit vertan.

10 Mal lebenslänglich in Italien im Jahre 2005

In Italien dagegen erhob die Militärstaatsanwaltschaft Anklage und es kam in La Spezia nach einjähriger Verhandlung am 22. Juni 2005 zu einem Urteil. Zehn Angehörige der 16. Division der Waffen-SS waren angeklagt. Keiner von ihnen war zum Prozess erschienen. Da nach dem italienischen Prozessrecht die Durchführung dieser Strafverfahren in Abwesenheit erlaubt war, wurden die durch Pflicht- und Wahlverteidiger verteidigten Angeklagten wegen hundertfachen Mordes in Sant’Anna di Stazzema zu lebenslänglicher Haft verurteilt.
Das Militärgericht hatte alle verfügbaren Beweismittel herangezogen, die Soldbücher ausgewertet und Auskunft bei der Wehrmachtsauskunftsstelle in Berlin und dem sogenannten „Krankenlager“ eingeholt. So konnte nachgewiesen werden, in welcher Funktion und bei welcher Einheit die jeweils angeklagte Person gewesen war.

Durch Befragung von Zeugen und Historikern, durch Geständnisse ehemaliger SS-Angehöriger und aufgrund der von den Alliierten erhobenen Beweise konnte nachvollzogen werden, welche Einheiten vor Ort eingesetzt waren und wer aufgrund seines Ranges die verbrecherischen Befehle zumindest weitergegeben haben musste. Das Geschehen wurde bis ins Detail aufgeklärt.

Staatsanwaltschaft Stuttgart: Schnellschuss aus der Hüfte

Die Staatsanwaltschaft Stuttgart reagierte noch am Tag der Urteilsverkündung öffentlich und erklärte, es handele sich um einen „Schnellschuss aus der Hüfte“. Die 10 verurteilten ehemaligen Angehörigen der 16. Waffen-SS Panzergrenadierdivision „Reichsführer SS“ seien willkürlich herausgepickt und pauschal verurteilt worden. Eine Auseinandersetzung mit dem Inhalt des Urteils fand allerdings nicht statt.

Als ich 2005 die Vertretung für Enrico Pieri übernahm und einen Antrag auf Einsicht in die Akten stellte, wurde dies von dem OStA Häußler zurückgewiesen. Er argumentierte, über 60 Jahre nach dem Massaker könne der Ermittlungserfolg gefährdet sein, wenn die Opfer Einsicht nähmen. So etwas hatte ich bis dahin nicht erlebt und ich stellte bei dem Landgericht meinen ersten Antrag auf Erzwingung der Akteneinsicht. Es dauerte ein Jahr, bis ich die Akten zu sehen bekam.

Denkwürdig war auch die klare Haltung des OStA Häußler anlässlich meines ersten Telefonats mit ihm. Mit Blick auf eine Entscheidung des Bundesgerichtshofes im Fall Friedrich Engel aus dem Jahre 2004 wegen der Geiselerschießungen am Turchino-Pass (1944) erklärte Häußler, das Mordmerkmal der Grausamkeit ließe sich nicht nachweisen. Der Bundesgerichtshof hatte in jener Entscheidung neben der objektiven Grausamkeit eine besondere subjektive Grausamkeit gefordert, bei der es dem Täter auf das besonders qualvolle Sterben des Opfers gerade ankommt. Andere Mordmerkmale wollte der Staatsanwalt nicht prüfen und erklärte schon im Juni 2005, es werde von ihm keine Anklage geben.

Das Urteil von La Spezia wurde im Jahr 2007 in Italien rechtskräftig und vollstreckbar. Die Militärstaatsanwaltschaft La Spezia stellte Anträge auf Auslieferung der Verurteilten. Da sich deutsche Staatsangehörige nicht ausliefern lassen müssen und keiner der Betroffenen seiner Auslieferung nach Italien zugestimmt hat, wurden die Anträge zurückgewiesen. Daraufhin wurden von der Militärstaatsanwaltschaft über das italienische Ministerium der Justiz Anträge auf Übernahme der Vollstreckung der italienischen Urteile gegen die in Deutschland lebenden Verurteilten gestellt. Sie sind bis zum heutigen Tage unbearbeitet.

„Mangelnder Tatverdacht“ in Stuttgart nach zehnjähriger Ermittlung

Nach zehnjähriger Ermittlung stellte die Staatsanwaltschaft Stuttgart das Ermittlungsverfahren gegen die ehemaligen SS-Angehörigen am 26. September 2012 mangels Tatverdachts ein. Zu diesem Zeitpunkt lebten von den ehemals 14 Beschuldigten nur noch sieben.

Staatsanwalt Häußler räumte zwar ein, dass das äußere Tatgeschehen des Massakers aufgeklärt sei und dass es sich tatsächlich um ein Kriegsverbrechen gehandelt habe. In den zehn Jahren der deutschen Ermittlungen sei es nicht gelungen, einen individuellen Schuldnachweis für den Mordtatbestand zu führen. Allein die Zugehörigkeit zu einer an dem Massaker beteiligten Einheit genüge nicht, denn es gebe keine Nachweise einer vorher geplanten und befohlenen Vernichtungsaktion gegen die Zivilbevölkerung. Möglicherweise sei es „nur“ um die Bekämpfung von Partisanen und die Ergreifung arbeitsfähiger Männer gewesen. Das Massaker könnte sozusagen „spontan“ vor Ort „passiert“ sein.

Dieser Auslegung des Sachverhalts widerspricht ein öffentliches Geständnis, das bereits im Jahr 1999 der Beschuldigte und ehemalige SS-Unterscharführer Horst Eggert in der Süddeutschen Zeitung abgelegt hatte. Er berichtete, der Befehl zum „Bandeneinsatz“sei schon am Abend vorher ergangen. Der habe gelautet, man befinde sich im Partisanengebiet und jeder, den man treffe, sei zu erschießen, auch Frauen. Er selbst habe in Sant’Anna die Tür zu einem Stall geöffnet, in dem sich 20-25 Zivilisten befunden hätten. Er habe Kameraden gerufen, die hätten – „drrrrrr“ – mit dem Maschinengewehr in den Stall hineingehalten und alle erschossen. Nach diesem Geständnis passierte nichts. Erst im Mai 2002 wurde Horst Eggert vernommen – trotz seines Geständnisses als Zeuge, nicht als Beschuldigter. Im Sommer 2003 ist er verstorben.

Der staatsanwaltlichen Sicht des Sachverhalts widerspricht auch die auch öffentlich gemachte Aussage des zweiten Geständigen, des ehemaligen SS-Rottenführers Ludwig Göring. Er hatte sich 1941 freiwillig zur Waffen-SS gemeldet und gestanden, in Sant’Anna auf eine Gruppe von über 20 Frauen und Kindern geschossen zu haben. Gleichwohl wurde dieser Beschuldigte von den deutschen Ermittlern noch bis zum Sommer 2004 als Zeuge und erst danach als Beschuldigter geführt. Er ist Anfang 2011 verstorben, ohne angeklagt worden zu sein.
Die Staatsanwaltschaft Stuttgart war nicht bereit, die Bedeutung der Bandenbekämpfungsbefehle Hitlers aus dem Jahre 1942 und des Oberbefehlshabers der deutschen Truppen in Italien, Generalfeldmarschall Kesselring aus dem Jahre 1944, zu berücksichtigen. Darin wurde ein rücksichtsloses Vorgehen gegen Zivilbevölkerung, „auch gegen Frauen und Kinder“ ausdrücklich verlangt. Das Massaker von Sant’Anna di Stazzema entsprach exakt diesen Befehlen.

Nach den Forschungsergebnissen des Historikers Carlo Gentile hatte das II. Bataillon der 16. SS-Division vier Tage vor dem Massaker in geringer Nähe zu Sant’Anna Verluste durch Partisanen erlitten, so dass Gentile von einem Akt der Rache und der Vergeltung ausgeht. Denn wo immer die SS Widerstand vermutete, wurden in dieser Zeit Vernichtungsaktionen durchgeführt. Die 16. SS-Division war die blutrünstigste deutsche Einheit in Italien. In nur zwei Sommermonaten des Jahres 1944 fielen ihr 2.500 italienische Zivilisten zum Opfer, darunter die Ermordeten von Valla (107 Tote) und Vinca (200 Tote) im August 1944 und von Marzabotto (770 Tote) Ende September 1944.
Die Staatsanwaltschaft Stuttgart war auch nicht bereit anzuerkennen, dass es sich bei der Tat nicht etwa um verjährten Totschlag, sondern um nicht verjährbaren Mord handelte. Mit ihrer Einstellungsverfügung versuchte sie zu vernebeln, dass von jedem in Sant’Anna anwesenden Soldaten erkannt worden sein muss, dass die Massenerschießungen, dass das Verbrennen von Menschen am lebendigen Leib, dass das Erschlagen von Säuglingen kriegsverbrecherisch war und dass die Befehle auf keinen Fall hätten befolgt werden dürfen. Es muss bei den Mitgliedern der Waffen-SS eine innere Haltung gegeben haben, die diese Befehle befürwortet hat. Sie müssen einverstanden gewesen sein mit dieser menschenverachtenden, quälenden Behandlung der Kinder, Frauen und Alten. Die Motivation zum grausamen Töten mit gemeingefährlichen Waffen – Maschinengewehren – und aus einer auf unterster Stufe stehenden Gesinnung erfüllt drei von dem deutschen Strafgesetz geforderten Mordmerkmale. Und Mord verjährt nicht.

Gegen die Einstellungsentscheidung der Staatsanwaltschaft Stuttgart hat Enrico Pieri im Oktober 2012 Beschwerde erhoben. Der Sachverständige Carlo Gentile wurde mit einer Überprüfung der Einstellungsentscheidung aus historischer Sicht beauftragt. Die Staatsanwaltschaft Stuttgart hatte zwar einiges aus der Doktorarbeit des Historikers zitiert, aber sehr eigenwillig interpretiert. Dr. Gentile war entsetzt über die Schlampigkeit und Fehlerhaftigkeit der zugrunde gelegten Tatsachen und Interpretationen.

In einem umfangreichen Gutachten hat Carlo Gentile den Verlauf des Massakers minutiös nachgezeichnet. Er ist zu dem zwingenden Schluss gekommen, dass die Aktion in Sant’Anna in militärisch-operativer Hinsicht sorgfältig geplant war und dass die Ermordung der Einwohner der sogenannten „gesäuberten Bandengebiete“ als „Banditen“ oder „Bandenhelfer“ schon vor Beginn des verbrecherischen Unternehmens feststand. Die SS tötete nicht spontan, sondern begann mit dem Morden schon beim Aufstieg nach Sant’Anna. Unbeteiligte Zivilisten, die den Soldaten zufällig entgegenkamen und mit ihnen ein paar Worte wechselten, wurden willkürlich umgebracht, einfach ins Gesicht geschossen.

Auf die Beschwerde von Enrico Pieri hin konnte die Generalstaatsanwaltschaft diesen Sachverhalt nicht mehr bestreiten. Endlich wurde anerkannt, dass es sich bei der Aktion am 12. August 1944 um ein geplantes Kriegsverbrechen gehandelt haben muss. Die Generalstaatsanwaltschaft wies sie die Beschwerde dennoch im Mai 2013 zurück. Die biologische Lösung schritt voran. Denn zu diesem Zeitpunkt lebten nur noch fünf der Beschuldigte.
Die Generalstaatsanwaltschaft folgte zwar weitgehend der Argumentation unserer Beschwerde. Es wurde sogar erklärt, in Sant’Anna sei tatsächlich gemordet worden. Es wurde auch nicht mehr bestritten, dass militärische Organisation nur über die Befehlskette funktionieren kann, so dass jeder den Befehl weitergebende Soldat Verantwortung getragen hat.

Um aber eine Anklage zu vermeiden, erging sich die Generalstaatsanwaltschaft nun in Spekulationen zu Gunsten der Beschuldigten:

es könne durchaus sein, dass es sich um eine geplante Aktion mit dem Ziel der Vernichtung der Zivilbevölkerung gehandelt habe. Aber es gebe keinen schriftlichen Befehl, jedenfalls sei keiner zu finden. Darum müssten Zweifel bleiben und es könne zu Gunsten der Beschuldigten nicht mit letzter Sicherheit ausgeschlossen werden, dass es in diesem Fall keinen Befehl gegeben habe, sich das Massaker also doch spontan ereignet habe. Und da man nicht wisse, wie das spontane Morden umgesetzt worden sei, könne man es keine konkrete Person dafür verantwortlich machen, die Zuordnung könne nicht gelingen. Nach deutschem Recht reiche der Sachverhalt für den individuellen Schuldnachweis jedenfalls nicht aus.

Dies gelte auch für den Kompanieführers Gerhard Sommer. Es könne nämlich sein, dass der verbrecherische Befehl zum massenhaften Mord vor ihm möglichst lange geheim gehalten worden sei. Diejenigen, die die Mordabsicht gehabt hätten, hätten dies vielleicht auch ihm als Kompaniechef einfach verschwiegen. Eine Annahme, er sei an dem Morden als Täter oder Gehilfe beteiligt gewesen, verbiete sich dann.

Antrag auf Erzwingung der Anklage

Enrico Pieri hat im Juni 2013 beim Oberlandesgericht Karlsruhe Antrag auf gerichtliche Entscheidung gestellt. Ziel war, die Staatsanwaltschaft zur sofortigen Anklageerhebung zu verpflichten. Gegen die Begründung der Staatsanwaltschaft wurde argumentiert, dass die vielen vorliegenden Ermittlungstatsachen, insbesondere aber das Gutachten des Historikers Gentile nur den Schluss zuließen, dass der Kompaniechef Gerhard Sommer an der Vernichtung der Zivilbevölkerung bewusst und aktiv durch Weitergabe von Befehlen teilgenommen hat. Sommer hatte sich früh freiwillig zur SS gemeldet und war überzeugter Nazi. Enrico Pieri hat vortragen lassen, dass die Argumentation der Staatsanwaltschaft, dass keiner der Täter vor Ort Schuld habe, zu dem logischen Schluss führen müsse, dass letztlich nur Hitler als Befehlsgeber, vielleicht noch die verbrecherische Führungsriege, Schuld auf sich geladen hätte. Die in Italien unter der Zivilbevölkerung wütende Waffen-SS wären dann nur Werkzeuge ohne eigene Verantwortung gewesen.

Solch eine Argumentation hatte in der jungen Bundesrepublik tatsächlich dazu gedient, viele wegen NS-Verbrechen geführte Verfahren einzustellen oder Angeklagte freizusprechen. Schließlich hätte letztlich Hitler den Befehl gegeben, die anderen hätten sich im Befehlsnotstand befunden. Doch solche Argumentation ist längst als Schutz für NS-Kriegsverbrecher enttarnt, die deutsche Justiz konnte daran wegen vielfacher eindeutiger Beweise nicht festhalten.

Wir haben gehofft, vom Oberlandesgericht Karlsruhe doch noch eine gerechte Entscheidung, eine Anordnung der Anklage zu erhalten. Am 30.10.2013 hat das Oberlandesgericht Karlsruhe entschieden. Zu diesem Zeitpunkt – genau am 69. Jahrestag des Massakers am 12. August 2013 – war bereits der Beschuldigte Gropler gestorben. Jetzt waren es nur noch vier der ehemals 14 Beschuldigten. Gegen drei – so das OLG – sei das Klageerzwingungsantrag unzulässig.
Im Fall Baumgart hatte die Staatsanwaltschaft vorgetragen, dass er nicht mehr verhandlungsfähig sei. Enrico Pieri hatte eine aktuelle ärztliche Untersuchung gefordert, um die Behauptung zu prüfen. Das OLG allerdings stellte sich auf den Standpunkt, Enrico Pieri müsse Tatsachen vortragen, warum Baumgart inzwischen verhandlungsfähig sei.
Im Fall Lippert sei der Beschuldigte von der Staatsanwaltschaft lange Zeit als Zeuge behandelt und auch als Zeuge vernommen worden. Als Zeuge hatte er berichtet, bereits beim Aufstieg dabei gewesen zu sein, als zwei ältere Männer ohne Grund erschossen worden seien. In Sant’Anna habe er auf Befehl zwei Frauen und ein Kind aus einem Haus geholt und an den Gruppenführer übergeben habe. Weiter habe er einen Patronengurt für das MG geholt und an den Gruppenführer übergeben. Das können zumindest Beihilfehandlungen zum Mord sein.
Das Oberlandesgericht allerdings hat entschieden, von der spontanen Tötung der beiden älteren Männer beim Aufstieg sei schon nicht auf einen anlässlich des Massakers vorhandenen Mordvorsatz zu schließen. Lippert mache im Übrigen jetzt von seinem Schweigerecht als Beschuldigter Gebrauch, die früher als Zeuge gemachten Aussagen seien nicht mehr verwertbar, der Tatverdacht gegen ihn könne daher nicht erhärtet werden.
Allein der Fall Sommer ist noch nicht entschieden. Der gerichtsärztliche Dienst in Hamburg stellte am 26.10.2013 bei ihm eine Verhandlungsunfähigkeit aufgrund intellektueller Einschränkungen fest. Es wird abgewartet, ob sich sein Zustand noch bessert.

Beschluss des OLG Karlsruhe vom 30.10.2013

70 Jahre nach dem Massaker ist so manche Krokodilsträne von deutschen Politikern in Sant’Anna vergossen worden. Die juristische Aufarbeitung aber wurde hintertrieben, verschleppt, Sachverhalte uminterpretiert, Vollstreckungsanträge aus Italien liegen gelassen und bis heute nicht entschieden. In wenigen Jahren werden die an dem Massaker Beteiligten alle tot sein. Die deutsche Justiz hat – auch im Fall Sant’Anna di Stazzema – ihre Chance vertan, Verantwortung zu übernehmen und ein Stück Gerechtigkeit zu schaffen. Es bleibt unsere Aufgabe dies und das Massaker nicht in Vergessenheit geraten zu lassen.

Über Fritz Mielert

Fritz Mielert, Jahrgang 1979, arbeitete von 2013 bis 2017 als Geschäftsführer beim Bürgerprojekt Die AnStifter in Stuttgart. Davor betreute er ab 2011 bei Campact politische Kampagnen im Spektrum zwischen Energiewende und Vorratsdatenspeicherung, engagierte sich in der AG Antragsbearbeitung der Bewegungsstiftung, baute ab 2010 maßgeblich die Parkschützer als eine der wichtigsten Gruppierung im Protest gegen Stuttgart 21 auf und war ab 1996 mehrere Jahre ehrenamtlich bei Greenpeace aktiv.

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