Täuschen und tarnen – Grohmanns „Wettern der Woche“

Täuschen und tarnen – Grohmanns "Wettern der Woche"

Fürst Grigori Alexandrowitsch Potjomkin, ein guter Freund meiner Omi Glimbzsch in Zittau, war unter Katharina der Großen verantwortlich für deren leibliches Wohl, aber auch fürs „Bevolken“ des Schwarzmeergebietes durch Bauern und Bürgerinnen. Bei einer Stippvisite durch die Krim nahm die einäugige Zarin Potjomkins Arbeit in Augenschein. Was sie sah, erfreute sie, aber ab hier gehen die Meinungen auseinander. Der schöne Potjomkin habe lediglich bemalte Hausfassaden an den Straßenrändern aufstellen lassen, um die Zarin mit seinen Erfolgen zu bezirzen. Alles Lüge? Wer weiß.

So oder so – beim Täuschen ist Vorsicht geboten! Nehmen wir die Briten: Charles III. hat beim Krönungsfest eine falsche Krone getragen, die echte war ihm zu schwer, denn er hatte beim Probetragen sofort Kopfweh. Keiner hat’s gemerkt, und das Königshaus lehnt mir gegenüber jeden Kommentar ab. Allein das spricht Bände!

Ein weiteres Beispiel: Als Royalisten verkleidete Linksschurken hatten sich dieser Tage in London unter die feiernden Massen gemischt, um im geeigneten Augenblick den Thron zu besteigen. Die Verkleidung war so stümperhaft, dass sie sogar vom Volk persönlich durchschaut wurde. Die Krönungsverbrecher wurden umgehend nach Belmarsh verfrachtet. Im härtesten Knast Englands wird man ihnen auf nachdrückliche Weise Benehmen beibringen.

Und bei uns? Viele Menschen in Deutschland gingen ja nach dieser elenden Niederlage am 8. Mai 1945 jahrzehntelang davon aus, dass wir gar nicht befreit, sondern nur besiegt und (bis heute) besetzt worden seien – alles eine Folge von Verrat, taktischen Fehlern, General Paulus, den Juden und dem russischen Winter. Sie erzählten das jahrelang ihren Kindern und Kindeskindern. Lehrer:innenmangel und das Schulsystem tun das ihre, und nun ist es, wie es ist.

Bei den Potemkinschen Dörfern von heute versteht man vor allem Bahnhof und muss vorsichtig sein, um nicht als Putinversteher entlarvt zu werden. Im Krieg selbst hatten die überlebenden Soldaten (nur damals!) die gegenseitige Abschlachterei satt und wollten schnellstens heim zu Muttern und dort Revolution machen. Doch heim ging’s nur über die Bahnhöfe. Zu Hause angekommen, ließ man sich (wegen seelischer Gesundheit und dem grausamen Krieg) umgehend das alte X für ein neues U vormachen: Kreuzfahrten, Flugreisen, Coca-Cola, AfD, Schweinshaxen, SUV, Einfamilienhaus, Außengrenzen, Helene Fischer, N-Worte. Die Revolution hat bis heute Langeweile.

„Das ganze System beruht auf der Idee, dass man der Mehrheit alles einreden kann, solange man es laut und oft wiederholt. Und es funktioniert“, sagte Edward Snowden. Das entlastet selbst die ärmsten Seelen.

Peter Grohmann ist Kabarettist und Koordinator des Bürgerprojekts Die AnStifter.

This Land Is Your Land – Grohmanns „Wettern der Woche“

This Land Is Your Land – Grohmanns "Wettern der Woche"

This Land Is Your Land

„Dieses Land ist mein Land, dieses Land ist Dein Land“, sang Woody Guthrie – und wir sangen mit. Willi Hoss, der Vater der Schauspielerin von Nina Hoss, war in jenen Mitsing-Zeiten der frühen Sechziger Jahre Schweißer bei Daimler-Benz und Mitglied der illegalen KPD. Da kam die Polizei schon mal an den Arbeitsplatz und begleitete den findigen Illegalen zum Spind, um nach Flugblättern zu fahnden: Hochverrat, Landesverrat, Geheimbündelei. Aber die Flugblätter lagen längst auf den Fließbändern in die  Werkzeughallen, in fünf Sprachen, von der Gießerei bis zur Endmontage.

Beim Verbotsprozess gegen die KPD (ab 1951) „wurde nicht nur gekungelt, benachteiligt, das Gesetz zigfach gebrochen und die Unabhängigkeit des Bundesverfassungsgerichts permanent missachtet, sondern auch gefälscht“, so die Süddeutsche Zeitung am 8.10.2017. Solche Nebensächlichkeiten übersieht man allzu gern, wenn sich Demokratie und Rechtsstaat küssen. Als die westdeutsche Justiz zu NS-Verbrechen in der Nachkriegszeit ermittelte, blieb kein Augen trocken: Bei rund 5000 Verfahren gab es eben mal 1500 Verurteilungen, bei der Jagd auf Kommunisten fast 200 000 Ermittlungen und ein Justizministerium, dass stark von Ex-Nazis durchseucht war. 

Willi Hoss machte dennoch Karriere, er wurde in seinem späteren Leben Gründer der gewerkschaftskritischen „plakat“-Gruppe und Abgesandter der Grünen im Bonner Bundestag. „Der einzige fleißige Arbeiter im Bonner Parlament“, behaupteten die Stuttgarter Hochdruckschweißer. Hoss wurde aus der (illegalen) KPD ausgeschlossen, weil er gegen den Dogmatismus der Stalinisten ins Feld zog und sich mit der undogmatischen Neuen Linken einließ: in Abgrenzung zu den hartgesottenen Kommunisten und den weichgekochten Sozialdemokraten. Ach, war das schön!

Unsereins hörte natürlich damals auch die Signale. Schon die bei den ersten Tönen jubelten wir, aber das Volk hörte doch lieber die Takte der Volksfeste. Die Neue Heimat machte Pleite, nicht mal die Volksfürsorge war noch gut genug fürs Volk und wurde verscheuert. Was blieb, war die Sehnsucht nach einem Land, das dein Land und mein Land ist. Dabei hatten wir Marx überlesen: Die Arbeiter haben kein Vaterland. Schade, dass wir das nicht früher gemerkt haben.

Die weißen ArbeiterInnen in den USA, die neue Unterschicht von heute, kennt natürlich Woody Guthrie von früher und will sich ihr Land nicht wegnehmen lassen, niemals, wg. Umwolklung und America first unsd so. Sie übersehen, dass es leider nicht ihr Land ist. Hoss zu Marx: „1 % besitzt mehr als 99 %.“ Marx zu Hoss: „Da bleibt nur die Auswanderung!“

Peter Grohmann ist Kabarettist und Koordinator des Bürgerprojekts Die AnStifter

Rangliste der Pressfreiheit 2022 von Reporter ohne Grenzen

In der 20. Ausgabe der Rangliste der Pressfreiheit, die am 3.5.23 zum Tag der Pressefreiheit erscheint, stellt die Organisation Reporter ohne Grenzen fest, dass es weltweit schlecht um die Pressefreiheit steht.

Auch in Deutschland hat sich die Lage leicht verschlechtert. Reporter ohne Grenzen sieht hierfür hauptsächlich drei Gründe: eine Gesetzgebung, die Journalistinnen und Journalisten sowie ihre Quellen gefährdet, abnehmende Medienvielfalt sowie allen voran Gewalt bei Demonstrationen.

Rangliste der Pressefreiheit 2022 | Reporter ohne Grenzen für Informationsfreiheit (reporter-ohne-grenzen.de)

Index | RSF

Meine Sorgen, Deine Sorgen – Grohmanns „Wettern der Woche“

Meine Sorgen, Deine Sorgen – Grohmanns "Wettern der Woche"

Als Leser einer der größten Tageszeitungen in unserer Stadt erhalte ich regelmäßig Werbebeilagen aller Art. Bekanntlich werden die Nachrichtenteile immer dürftiger: Da gibt’s so gut wie nix von Kultur und kaum mehr Tipps für Veranstaltungen. Meine Zeitung bringt mal eben 130 Gramm auf die Goldwaage – dagegen wiegen die klimafeindlichen Anbiederungen aller Art schwerer und fast das Doppelte. Besonders unangenehm fallen einem naturgemäß die auf Hochglanz polierten Druckwerke auf, unnütz und fett wie ein SUV, die den Nachrichtenteil sinnhaft ergänzen. Abgelöst werden derlei Botschaften ab und an durch Sparangebote und Schnäppchen, häppchengerecht zubereitet und auf schwäbische Hausfrau getrimmt.

Für dieses „Wettern“ hole ich, ganz aktuell und schnell, das heutige „Extrablatt für die Leser dieser Zeitung“ aus dem Mülleimer der Geschichte: eine blonde, lachende Germanin auf der Titelseite, dazu die Freiheitsstatue neben den erbärmlichen Resten unberührter Nordseeinseln. Damit ist jetzt Schluss, denn die MSC Euribia kommt angedieselt. Angepriesen wird die Reise als Anmache für ein „erstes Kreuzfahrt-Erlebnis“ (mein erster Kuss), ideal selbst für kleines Geld: 598 Euro tät‘ der Schwindel kosten, und ich hätt‘ auch noch 310 Euro gespart. Bei zehn Reisen 3.100 Euro.

Solche Schnäppchenpreise müssten doch sofort misstrauisch machen – aber dass einem in der profitorientierten Marktwirtschaft nichts geschenkt wird, ist offenbar den meisten Menschen völlig neu. Meine Sorgen möcht‘ ich haben!

Doch was sind schon die Verführungen kleiner Leute gegen die echten Sorgen der Reichen und Schönen? Nehmen wir die Commerzbank, die in diesen Tagen ihre Karten auf den Tisch knallt und auch die Risiken für den ganz gewöhnlichen Kapitalisten anspricht – Sorgen, Risiken, Gefahren, von denen ein gewöhnlicher Kreuzfahrtschiffer nicht mal zu alpträumen wagt. Geschäftsberichte müssen auch Risiken benennen, logisch. Und so zählt die Commerzbank alles das an den fünf Fingern einer Hand auf, was passieren könnte, wenn was passieren tät‘. Sorry, aber dazu zählt nun mal auch ein taktischer Atomanschlag auf Frankfurt. Oder der Zerfall der Eurozone – weiß man’s? Oder der „Ausfall“ eines oder mehrerer anderer großer europäischer Länder, ein Ausfall der USA, der Zusammenbruch von Finanzmärkten bis hin zum Bank-Run oder Cyberattacken. Ausfall heißt schlicht Systemversagen.

Die „Welt“ dramatisiert mal wieder und kommentiert den Commerzbank-Bericht am 17.4.2023 so: „Den eben noch reichlich bevölkerten Opernplatz versengt eine viele Tausend Grad heiße Feuerblase, eine gigantische Druckwelle fegt die umliegenden Hochhäuser wie Dominosteine hinweg, und wenige Minuten später steigt über der Frankfurter Innenstadt ein Atompilz auf. Was klingt wie ein allzu apokalyptischer Film, ist offenbar ein durchaus ernst zu nehmendes Szenario. Jedenfalls für die Commerzbank.“

Also Kinder, jetzt kommt der Sommer – da redet man doch nicht von Atomkrieg. Nicht mal im Spaß und erst recht nicht in Geschäftsberichten.

Peter Grohmann ist Kabarettist und Koordinator des Bürgerprojekts Die AnStifter.

Lustig ist das Zigeunerleben

Lustig ist das Zigeunerleben – Grohmanns "Wettern der Woche"

Nein, um Himmels Willen, nicht was Sie jetzt denken, viel schlimmer! Ich weiß, die Sprachpolizei ist mir auf den Fersen, wegen des Titels, der gemeinen Überschrift, und die ausgerechnet hier und von mir! Denn das Wort „Zigeuner“ ist bääh, ist eng und untrennbar verbunden mit rassistischen Zuschreibungen, die sich, über Jahrhunderte reproduziert, zu einem geschlossenen und aggressiven Feindbild verdichtet haben, das tief im kollektiven Bewusstsein verwurzelt ist.

Ach, wie schön wär’s doch, wenn wir an anderer Stelle ebenso konsequent protestierten – etwa, weil Sinti und Roma immer wieder mir nichts – dir nichts über Nacht aus Deutschland abgeschoben werden – und damit Kommunen wie Länder auf die Menschenrechte pfeifen. Natürlich haben wir die Erklärung der Menschenrechte und die Genfer Flüchtlingskonvention und die Kinderrechtskonvention der UNO und ein paar Dutzend weitere internationale Abkommen unterzeichnet – wir unterschreiben grundsätzlich alles. Wenn’s drauf ankommt, ob jemand ausgewiesen oder nur diskriminiert werden soll, prüfen wir genau: Ist’s ein Flüchtling, der sein Land aus Furcht vor Verfolgung (wg. seiner Rasse, seiner Religion, Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung) verlassen hat? Oder ist es eine kinderreiche Sinti-Familie aus Serbien, die unsere Willkommenskultur unberechtigterweise ausnutzt? Ist es ein Rom?

Natürlich haben wir weder die Zeit noch das Personal, um im Einzelfall zu prüfen, ob nun die Verfassung Baden-Württembergs oder etwa das Grund-gesetz oder gar die Kinderrechtskonvention greift, ob Kinder einzeln oder alle oder mit oder ohne samt Eltern abgeschoben werden. Klar, kein Kind darf benachteiligt werden – daher wird ja die auch ganz Familie abgeschoben. Ich verstehe die Einwände: Kinder hätten das Recht, gesund zu leben, Gebor-genheit zu finden und keine Not zu leiden. Kinder hätten das Recht zu lernen, sie hätten das Recht auf Schutz im Krieg und auf der Flucht. Ja, weiß ich. Die Gesetze. Aber da darf man auch nicht päpstlicher als der Papst sein.

Bis heute lebt ein Großteil der Sinti und Roma in der EU am Rande der Gesellschaft (und am Rande des grünen Waldes). In den letzten 20 Jahren ist sogar eine Verschlechterung ihrer Situation festzustellen. Wenn’s nach den Populisten geht, werden Rassismus und Nationalismus nicht nur in Europa weiter zunehmen. Soviel weiß man schon seit Jahren: Bei fast der Hälfte der Menschen haben die Kinder Diskriminierung erfahren, meist mit Gewalt – oft im Unterricht, häufig von LehrkräftInnen und Lehrkräften. Schärft den Blick, schärft die Sprache.

Verwendete Quellen: Eigenerfahrung, Wikipedia, Verband Deutscher Sinti und Roma

Peter Grohmann ist Kabarettist und Koordinator des Bürgerprojekts Die AnStifter

Mehr zum Thema: https://theateramolgaeck.org/theaterprogramm/roma-tag-festival-2023/

Fröhliche Ostern? – Peter Grohmanns Wettern der Woche

Fröhliche Ostern? – Grohmanns "Wettern der Woche"

Fröhliche Ostern?

Hunderttausende gehen in Polen auf die Straße – nein, nicht beim Ostermarsch, und zweimal nein: Nicht für die hunderte von Kindern, die vor, hinter, in und neben den Beichtstühlen sexuell mißbraucht wurden. Hundert-tausende sind für den guten Ruf des Heiligen Vaters unterwegs, den sie nicht beschmutzen lassen wollen. Sie beten und opfern und demonstrieren voller Zorn und Unverständnis für den Heiligen Vater, der längst im Himmel weilt und es sich gut gehen läßt.

Johannes Paul der Zwohote / liest die 10 Gebohote / Bei dem sexten angekommen / wurd‘ im Kopf ihm’s ganz benommen…

Aber so leid’s mir tut: Vertuschen und Verschweigen und Verdrängen und Verniedlichen und Verleugnen und Vergessen sind menschlichen Eigen-schaften – wir sind das lebende Beispiel. Ein Elefant beispielsweise vergißt lebenslang nicht, wenn er gequält wurde – kommt Zeit, kommt Rat, sagt er sich und scheuert bei passender Gelegenheit seinem Peinige eine. Auch ein geprügelter Hund wird (lt. Hunderegeln) meist gequält jaulen und dann sich in eine Ecke verkriechen. Doch Vorsicht: Er merkt sich den Täter sehr genau und kommt gern auf ihn zurück. Im Gegensatz zum Tier ist der Mensch sehr vergesslich. Ihm wird von Kindesbeinen an Vergeben und Vergessen gepredigt, und in aller Regel sind die Prediger die Übeltäter.

Nein, das mit dem Prediger bezieht sich nicht auf die Kirche, sondern ganz schlicht auf die Moralapostel jeglicher Couleur. Die sind wegen der Oster-ferien auch gern wieder mit dem SUV unterwegs – gern als Zweitwagen): Von Hamburg, wo Lindners Schwiegermutter leben könnt bis in den Breisgau, wo Wissing wohnen würde: 750 km in fünf Stunden wäre gelogen.

Mit dem Ostersonntag beginnt dann für Autobauern und Autofahrer die österliche Freudenzeit (Osterzeit), die fünfzig Tage bis einschließlich Pfingsten dauert – u nd wenn man nicht aufpasst, noch länger. Unabhängig davon gehört Ostern zu den beweglichen Festen – eine gute Gelegenheit also, an den Ostermärschen teilzunehmen. Falls einem dort die ganze Parolik und die ganze Richtung nicht passt, funktioniert das Mitlaufen auch mit eigenem Schild zur Schuld. Selbst ist die Frau.

Was nun die tatsächlichen Taten und die Untaten im Fernen, mittleren und Nahem Osten angeht: Die meisten Polen wollen ihre schlafenden Hunde nicht wecken. Das haben sie mit den meisten anderen Bewohnerinnen der Erde gemeinsam.

Fröhliche Ostern, fröhliche Western!

Peter Grohmann ist Kabarettist und Koordinator des Bürgerprojekts www.die-anstifter.de

Pest Cholera Streik – Grohmanns „Wettern der Woche“

Pest Cholera Streik – Grohmanns "Wettern der Woche"

Die Zahl der Menschen, die vom reinen Beifallklatschen leben, sinkt. Das ist tragisch, und daher kommt es vermehrt zu gesellschaftlichem Unwohlsein, zu Wahlenthaltungen oder auch zu offensichtlichem Falschwählen, zu Leserbriefen, zu spontanen und unangemeldeten Demonstrationen und zu (leider grundgesetzlich garantierten) Streiks – und die spielen doch vor allem Putin in die Hände! Neben Pest und Cholera ist ein Streik das Schlimmste, was einer zivilisierten Marktwirtschaft zustoßen kann. Dem Streik folgt in aller Regel der Weltuntergang.

Mit großer Freude erinnert sich hingegen meine Omi Glimbzsch aus Zittau bei solchen Gelegenheiten an den sechsmonatigen (!) wilden Streik der Crimmitschauer Textilarbeiterinnen im Jahr 1903 für den Zehn-Stunden-Tag. Mensch, das war vor 120 Jahren! Vom Zehn-Stunden-Tag träumen ja heute auch wieder viele, also ein aktuelles Thema. Leute, meine Omi war auch dabei, als sich am 17. Juni 1953 im Henningsdorfer Stahl- und Walzwerk die 6.000 Arbeiter auf den Weg nach Berlin machten, Hunderte in Holzpantinen, um der SED den Marsch zu blasen. Wieder ein wilder Streik! Und die Demonstranten sangen zu allem Überfluss auch noch die „Internationale“ – die konnten sie auswendig.

Wenn die Not am größten, dann ist Gottes Hilfe am nächsten, sagte man sich vor der Aufklärung. Am 28. Oktober 1948 legten aufgeklärte Belegschaften in Stuttgart die Arbeit nieder (wg. Hunger) und demonstrierten auf dem Karlsplatz. 40.000. Ach Gottchen! Ab da ging’s aufwärts. Man kannte keine Nazis mehr, man kannte nur noch Deutsche. Später, Ende der 60er, Anfang der 70er, kam es wieder und wieder zu wilden Streiks – die Arbeiter:innen hatten verbotenerweise ihre Sache selbst in die Hand genommen.

Inzwischen wissen wir: Ohne Türken ist kein Streik zu machen, ohne Marias aus Polen gibt’s keine Pflege für meine Omi Glimbzsch und ohne Ärzte aus Afrika und Asien können die Krankenhäuser dichtmachen. Und nicht zu vergessen: Die Doktors sind in der Fremde ausgebildet worden, kommen uns also günstig.

Allen, die Angst vor Chaos-Tagen und Weltuntergang haben, sei dringend eine Schluckimpfung in Demokratie empfohlen – frei nach dem Motto: Demokratie ist, wenn du sagen darfst, dass du nichts mehr sagen darfst. In der Regel wird das dann allerdings weder gedruckt noch gesendet, bleibt also unter uns. Es sei denn, Sie sagen’s weiter.

Peter Grohmann ist Kabarettist und Koordinator des Bürgerprojekts Die AnStifter.

Stuttgarter Spätzünder – Grohmanns „Wettern der Woche“

Stuttgarter Spätzünder – Grohmanns "Wettern der Woche"

Während ukrainische Flüchtlinge mit Klaviermusik in Polen empfangen werden, weist das Land Flüchtlinge aus anderen Ländern aus rassistischen Motiven ab, stellte meine polnische Freundin Zara neulich fest. Die Welt ist nun mal ungerecht, sagte ich ihr, sonst wär‘ sie ein Paradies, und das will auch wieder niemand. Sie etwas gerechter zu machen, führt schnell zu Streit.

Nehmen wir Emma Herwegh: Sie wird heute als waffentragende Frau geehrt, Präsidenten und Kanzler verneigen sich vor Emma, wg. 1848, während man Bertha von Suttner (Pazifistin, *1843) umgehend zum Teufel jagen würde, eben deshalb – oder (am liebsten) an die Wand stellen tät‘, rein symbolisch. Bei der Suche nach Stauffenberg, gewissermaßen ein Stuttgarter Spätzünder, stoßen wir auf die Stiftung 20. Juli, und die listet heute auf, was im Widerstand gegen die Tyrannen seinerzeit getan wurde oder hätte oder können oder müssen und sollen (https://www.was-konnten-sie-tun.de) – ein Arsenal verrückter Ideen! Da steht doch tatsächlich und schwarz auf weiß: „Den Kriegsdienst verweigern“ und „Feindsender“ hören, Informieren, Kriegsrealität sichtbar machen, Kriegs-dienstverweigerer verstecken, Aufrütteln, Ausweise fälschen, Flugblätter verbreiten, Verfolgten helfen, Umsturz planen, den Tyrannen stürzen, den Krieg beenden. „Da wirste ja ganz meschugge“, kommentierte meine Omi Glimbzsch aus Zittau, als sie googelte und einen russischen Deserteur versteckte.

Apropos Deserteure: Wer in Kasachstan den Militärdienst verweigern will, haut am besten nach China ab. Der Rotchinese liefert nicht aus. Andererseits ist der kasachische Tyrann Tokajew bei uns wohlgelitten. Kein Wunder, die liefern uns Rohstoffe und sind Deutschlands wichtigster Wirtschaftspartner in Zentralasien. Die muss man sich warm halten wie die Mullahs von Teheran oder die Netanjahus und Erdogans dieser Welt oder den Amazonas-Regenwald. Den Fuß drinhaben, Leute! Beim Regenwald ist die Deutsche Bahn Mittäterin und Mitplanerin bei einer privaten Gütereisenbahn und einem Hafen zum Export von Rohstoffen – klar, nach Europa! Wen juckt’s, wenn der Regenwald, die Cerrado-Savanne und die dort lebenden Menschen bedroht sind? Die deutsche Entwicklungsbank KfW und die Entwicklungsgesellschaft GIZ prüfen bereits, wie das Projekt unterstützt werden kann, der Ampel sei Dank. Wenn wir’s nicht machen, machen’s die Scheichs oder die Japaner…

Warum begannen wir, an Götter zu glauben, an Nationen, an Menschen-rechte? Warum setzen wir Vertrauen in Geld, Bücher und Gesetze und unterwerfen uns der Bürokratie, Zeitplänen und dem Konsum? Und hat uns all dies im Lauf der Jahrtausende glücklicher gemacht, fragt Yuval Noah Harari? Der israelische Militärhistoriker, Professor in Jerusalem, sieht sein Land auf dem Weg in eine Diktatur. Er wird’s wissen, und manchmal sowas schneller, als die Polizei erlaubt.

Peter Grohmann ist Kabarettist und Koordinator des Bürgerprojekts Die AnStifter

Päpste, Pornos und Penunzen – Grohmanns „Wettern der Woche“

Päpste, Pornos und Penunzen – Grohmanns "Wettern der Woche"

Lieber Franziskus, alles Gute zum zehnten Jahrestag Deines Pontifikats. Nein, ich hätt‘ nie gedacht, dass Du so lange durchhältst! Und nein, wir sind uns nicht immer einig, ich bin tagsüber ungläubig und der Priestermangel juckt mich nicht. Aber Deine sozialrevolutionären Thesen gehen mir runter wie die frische Butter vom Wochenmarkt in Trastevere! Okay, in der SPD könntste damit keine Karriere mehr machen.

Neulich überraschte mich die Nachricht, dass die Katholische Kirche Deutschlands größte Arbeitgeberin überhaupt ist – da musste ich sofort an die vielen Menschen denken, die für ’n Appel und ’n Ei und weniger als Gotteslohn Gutes tun und keine Zeit zum Beten haben, weil z.B. in Alten- und Pflegeheimen für alle Pflege- und Dienstleistungen, für alle Geräte und Produkte – also für jeden Handgriff – schriftliche Dokumentationen vorgeschrieben sind. Jetzt fehlen 500.000 Pflegekräfte, und morgen werden es noch mehr sein, weil die Arbeit beim Aldi an der Kasse entspannender ist, wenn auch genauso gewerkschaftsfrei.

Die Pflegekräfte könnten sich mit den 80.000 fehlenden Busfahrern zusammenschließen und gemeinsam mit den fehlenden 10.000 Jugend- und Arbeitsrichtern zum Protestlabor vor dem Kanzleramt marschieren. Vielleicht treffen sie unterwegs ja die Kindergärtnerinnen und Bademeister, die Klempner, Klofrauen, Lehrerinnen und Abonnenten, die bei den Tageszeitungen wegrennen und sich aus ihrer Verantwortung für die Pressefreiheit stehlen.

Egal jetzt: Wohlhabende brauchen keine Pflege, sie sind länger gesund, und wenn’s irgendwo klemmt, fliegen sie nach China. Die traditionelle chinesische Medizin ist berühmt für ihren Nichtsnutz. Die eher ärmeren Schichten holen sich eine Maria 2.0 aus Polen, obwohl Ukrainerinnen preiswerter sind. Franzl, ich weiß, dass Deine Kirche wenig bis gar nix von dieser Zwei-Punkt-Null hält und der eine oder andere Tête-à-Tête diese aufsässigen Schwestern am liebsten mit Haut und Haaren verbrennen würde. Ist aber noch verboten.

Der Weg zur Hölle ist mit guten Vorsätzen gepflastert, behauptet meine Omi Glimbzsch aus Zittau. Das Zitat hat sie bei Erich Mielke oder Diether Dehm (oder doch Christian Lindner?) geklaut, die sich alle auf ihrem synodalen Weg verirrt haben und „in eine frömmlerische Haltung verfallen, die so süßlich, so abstoßend ist, weil sie so zuckersüß ist, diese Versuchung“, meinte der römische Kirchenfeldherr und zieht weiterhin gegen die Dogmatiker, Sektierer und Fanatiker zu Felde. Ach, Priester sollte man werden, da mangelt’s und da wär‘ man sicher vor dem größten Bankenkollaps seit der Finanzkrise und den fast sechs Millionen Waffenbesitzern vor meiner Haustür.

Peter Grohmann ist Kabarettist und Koordinator des Bürgerprojekts Die AnStifter.

Was tun? – Grohmann „Wettern der Woche“

Was tun? – Grohmanns "Wettern der Woche"

Zuversicht bei Rheinmetall, Sorgen bei den Rentnerinnen – als ob ich’s geahnt hätte! Die Postbank spricht bereits von einem unbezahlbaren Alltag. Jeder dritte Deutsche muss nun wohl seine Ersparnisse anzapfen, um halbwegs unverfroren über die Runden zu kommen, jeder sechste Deutsche ist existentiell bedroht, von den Nichtdeutschen ganz zu schweigen. Bedenkenlos bleibt, dass jeder Fünfte Pech und sonst gar nix auf der hohen Kante hat. Что делать? Tschto delat? Was tun?, fragte bereits vor 120 Jahren Wladimir Iljitsch Lenin, als er noch Sozialdemokrat war. Auf eine überzeugende Antwort wartet die Vorhut der Arbeiterklasse bis heute und macht sich bestenfalls eigene Gedanken. Die Kommunen wissen natürlich: Es rettet sie kein höh’res Wesen, kein Gott, kein Kaiser noch Tribun! Sie raten zu mehr Sparsamkeit und (etwas verhohlen) auch gern zum Anstellen vor den Tafelläden. Am anderen Ende der Fahnenstange pocht meine Omi Glimbzsch in Zittau beharrlich auf Volkssolidarität und Arbeiterwohlfahrt.  Sie hat ihr letztes Wort noch nicht gesprochen.

Freilich – wer etwas längerfristig plant, muss sich jetzt zwei Termine notieren: Den 1. Mai als wichtigsten internationalen Kampftag der Arbeiter- Innen-Bewegung. Hier wird weiterhin an einem (breiten) Bündnis zwischen der Klimabewegung (fff) und der IG Metall in Untertürkheim gestrickt – und dem 6. Mai, dem emotionalen Highlight für die unteren Klassen. Ich sage nur: Charles! Traditionsgemäß und wenn alles klappt, wird der neue König Charles III. vom Erzbischof von Canterbury, dem geistlichen Oberhaupt der Church of England, in der Westminster Abbey ungebremst gekrönt, gesalbt, gesegnet und geweiht werden. Der alte Quacksalber ist im Grunde genommen ein Deutscher: Das britische Königshaus trug bis 1917 den deutschen Namen Sachsen-Coburg und Gotha. Über seinen Paps fließt in seinen Adern auch das feinere blaue Blut aus dem Hause Schleswig- Holstein-Sonderburg-Glücksburg (auch wenn’s nur aus einer Nebenlinie des Hauses Oldenburg kommt!). Halt, jetzt nicht beleidigt weglegen, sondern weiterlesen, das Beste kommt erst jetzt: Der Dritte wird mit veganem Öl gesalbt! Elisabeth würde sich im Grabe rumdrehen, wenn sie könnte – sie wurde noch mit dem wohlig riechenden Ambra geweiht. Das Gewürz in Form steiniger Brocken stammt aus dem Gedärm des Pottwals und bildet sich aus schwer verdaulichen Teilen von Tintenfischen und Kraken. Charles zieht das vegane Produkt aus den Jerusalemer Ölbergen vor. Kann ich nachvollziehen. Und sonst? Die politischen und sozialen Folgen für übermorgen? Kunst, Kneipen, Konsum, Katastrophen? Ich nehm‘ Karl Valentin beim Wort: Die Zukunft war früher auch mal besser.

Peter Grohmann ist Kabarettist und Koordinator des Bürgerprojekts Die AnStifter

Flugblatt 5
Jürgen Habermas über die Ukraine – Ein Plädoyer für Verhandlungen

Der Aufsatz „Ein Plädoyer für Verhandlungen“ von Jürgen Habermas, der am 14.2.23 in der Süddeutschen Zeitung erschienen ist, kann jetzt gegen Erstattung der Portogebühren bei uns als Flugblatt bezogen werden.

Küsst die Faschisten! – Grohmanns „Wettern der Woche“

Küsst die Faschisten! – Grohmanns "Wettern der Woche"

Manche habe schon schwäbische Albträume, wenn sie nur den Namen Sahra Wagenknecht hören. Andere wieder können nicht mehr einschlafen, weil sie fürchten, Sahra würde über Nacht Kanzlerin werden und Antje Vollmer Kulturstaatssekretärin. „Sind die denn wie der Scholz von allen demokratischen Geistern verlassen?“, tät‘ meine Omi Glimbzsch aus Zittau jetzt fragen – und gleich wieder einen Rückzieher machen: „Ich hab‘ schon Pferde kotzen sehen!“

Von Alice Schwarzer reden die weißen alten Männer verständlicherweise nicht – die hat bei ihnen in der Vergangenheit schon genug Unheil angerichtet. Aber vom Chinesen! Und der hat dieser Tage ein peinliches Statement abgeliefert, so die Vordenker. Er geht so weit, sogar zu einem Waffenstillstand (!) und zu Verhandlungen (!!) im Ukraine-Krieg aufzurufen. Man fasst sich an den Kopf und denkt: Geht’s noch?

Der 12-Punkte-Plan der Maoisten ist eine Art Geheimpapier und wegen der weitgehend vorherrschenden Pressefreiheit bei uns fast nirgends komplett und vor allem unkommentiert nachzulesen. Mit Recht! Denn wer traut schon den Lesekundigen unserer Tage? Aber auch die Analphabeten ohne Migrationshintergrund werden zunehmend unsicher. Ihre Sorgen wandern bis hoch hinauf nach Luxemburg und fragen dort den Privatsender verzweifelt: „Kann ich mich bei Produkten aus China anstecken?“ Ja, und wie!

In der Präambel des Nordatlantikvertrages bekennen sich die Nato-Mitglieder erfreulicherweise und wörtlich „zu Frieden, Demokratie, Freiheit und der Herrschaft des Rechts“. Da ist es gut zu wissen, dass Indien noch nicht Mitglied der Nato ist. Keine Chance trotz Scholz für Modi. Der Kanzler hat bei seinem Besuch gewissermaßen die Faschisten geküsst und Indien in den Adelsstand erhoben. Im Kontext mit den Ausschreitungen in Gujarat 2002 unter unserem Freund Modi gab es schwerste Verbrechen wie Vergewaltigungen, Verstümmelungen und Kindsmord, ohne dass die von Modi geführte Regierung des Bundesstaats eingriff und die Pogrome polizeilich unterband.

Modi ist ein treuer Freund von Gewalt und Terror, ist Nationalist und Rassist. Er mag die Andersgläubigen nicht, nicht die Andersdenkenden und nicht die Demokratie. Da ist er sich vermutlich mit Putin einig. Aber wir brauchen nun mal neue Absatzmärkte und junge, kluge Inder mit guten Zähnen (weniger die Inderinnen, wegen der Schwangerschaftsabbrüche), wir brauchen Fachkräfte, Spezialisten, idealerweise bereits komplett ausgebildet – so wie Modi Putin braucht: Beide freuen sich über die gemeinsame indisch-russische Produktion von Kalaschnikows. Je mehr, je besser.

* Kurt Tucholsky, Rosen auf den Weg gestreut: Küsst die Faschisten, wo ihr sie trefft, 1931.

Peter Grohmann ist Kabarettist und Koordinator des Bürgerprojekts Die AnStifter.

Saudumme Ideen – Grohmanns „Wettern der Woche“

Saudumme Ideen – Grohmanns "Wettern der Woche"

Neben vielen anderen und bedenkenswerten, ja echt guten Ideen gibt es auch bedenkenlose, ja nahezu ordinäre Vorschläge, wie dem Elend auf der Welt zu begegnen wäre. Ein Beispiel ist die Forderung eher ärmerer Schichten, den Kapitalismus komplett abzuschaffen, also heute schon und mit Haut und Haaren. Alle Welt weiß: Kapitalismus hat in der Tat viel Unschönes an sich. Ein zweites Beispiel aus jüngster Zeit ist die Idee, die Menschen an allen Fronten der Erde aufzurufen, Kanonen, Maschinengewehre, Streumunition und Phosphorbomben für ein halbes Jahr auf die Seite zu legen und in die Türkei und nach Syrien zu eilen, um mit Ärzten und Arzneien, Baggern und Babynahrung, Lkws, Zelten und Gulaschkanonen die Menschen vor Seuchen, Hunger, Elend und Tod zu retten. Voraus-setzung wäre natürlich, dass Bombardier Erdogan verspricht, sein eigenes Erdbebengebiet erst nach Ende der Hilfsaktionen wieder zu bombardieren. 

Momentan haben viele andere Ideen Hochkonjunktur – saudumme, sehr gute und richtig gemeine mit bösen Absichten. Viele Ideen gelangen einem ohne eigenes Zutun, ohne großes Nachdenken in den Kopf, andere wieder gelangen ungefragt an die Öffentlichkeit, dritte kommen aus allgemein anerkannten klugen Köpfen. Und hier entsteht über Nacht eine ideale Möglichkeit, den jeweiligen Ideengebern den Stinkefinger zu zeigen: Endlich Peter Brandt oder Claus Leggewie eins überziehen, Halunken von gestern wie Cohn-Bendit und Jürgen Habermas die Rote Karte zu zeigen, die fromme Margot und Wolf Biermann in die Ecke zu stellen und ein dreifacher Pfui hinterher zu schmetter. Auch Frau Glimbzsch aus Zittau und ihre Anhängerin Alice Schwarzer kann man unbeschadet eine überbraten: Auf gut Schwäbisch „da Roschd ra do“. Daran kann sich jedefrau, jedermann beteiligen – das Podium des Auskotzens erreicht garantiert über die seitwärts gelenkten Staatsmedien oder über TAZ und FAZ von AfD und CSU bis bis hin zum mitteldeutschen Rundfunk die letzte Ecke der Republik. Damit aus Not und Qual die neue Welt entsteht: Schlag zu, Prolet! (John Heartfield) – aber nicht unter Niveau. 

Es gibt unter den Gemeinten und Getroffenen Leute mit einem dicken Fell, es gibt Sensibelchen, Sprachlose und Schreihälse. Geschenkt. Es täte dennoch gut, das ganze Wortreich schleunigst wieder abzurüsten, damit man morgen noch kraftvoll zubeißen kann. 

Peter Grohmann ist Kabarettist und Koordinator des Bürgerprojekts Die AnStifter. 

Frontbericht – Grohmanns „Wettern der Woche“

Frontbericht – Grohmanns "Wettern der Woche"

Rund 45 Prozent der gefragten Menschen in Deutschland ist ein Krieg per se unangenehm, der andere Teil weiß auch nicht, was man noch tun soll, und sieht ein schnelles Kriegsende eher in der Lieferung moderner Waffen. Verdächtig machen sich heute freilich aber alle, die zu Verhandlungen neigen – UN-Generalsekretär António Guterres etwa. Der sozialistische Portugiese warnt sogar vor einer Ausweitung des Ukraine-Kriegs zu einem „größeren Krieg“ (dabei wissen doch die Waffenproduzenten, dass ein Krieg für sie nie groß genug sein kann!).

Aber jetzt mal stopp, die Waffen nieder! Guterres hat lediglich auf die Uhr geschaut, genauer auf die Weltuntergangsuhr. Mit der machen uns Wissenschaftler Angst vor einer von uns selbst herbeigeführten apokalyptischen Katastrophe. Die Uhr stehe aktuell auf 90 Sekunden vor Mitternacht – ein Punkt, den sie nicht einmal in den härtesten Phasen des Kalten Kriegs erreicht habe. Die Ursachen? Neben der drohenden Klimakatastrophe seien es nukleare Gefahren und vor allem der Ukraine-Krieg. „Die Aussichten auf Frieden verschlechtern sich, die Wahrscheinlichkeit weiterer Eskalation und Blutvergießens steigt weiter. (…) Ich fürchte, die Welt schlafwandelt nicht in einen größeren Krieg, sie bewegt sich mit weit geöffneten Augen in ihn hinein.“ Wer ist dieser Mann? Und was heißt schon UN-Generalsekretär? Aber hören wir hier auch eine kritische Rückfrage aus dem eher grünen Lager: War Guterres besoffen? Hat er sich eventuell mit Schwarzer und Wagenknecht abgesprochen?

In der Frontstadt Berlin hingegen hat die Kritische Intelligenz gesiegt – ganz, ganz knapp, nach Adam Ries. Der Mann konnte halt noch rechnen. In der Hauptstadt haben sich am letzten Wochenende vor dem Weltuntergang 37 Prozent der Demokratie verweigert und sich in ihren Betten verkrochen, 50 Prozent haben allen Unkenrufen zum Trotz den rot-grün-versifften Kandidat:innen ihre Stimme verschenkt, 9 Prozent staatsfeindlichen Kleinstparteien und 9,1 Prozent der AfD. „Ich komm‘ auf 105,1 Prozent!“, tät‘ meine Omi Glimbzsch in Zittau jetzt triumphierend rufen und feststellen, dass sie da CDU, FDP und DKP nicht mal mitgerechnet hat. Anders gesagt: Es gibt eine stabile Koalition gegen die Mehrheit in Marzahn – wir sollten also aufpassen und nicht abermals unsere Intelligenz aufs Spiel setzen!

Aber von der eignen mal angesehen – die künstliche Intelligenz wird ja auch immer intelligenter. Jetzt macht sie uns bereits eigenhändig Vorschriften. In der Türkei z.B. haben die hochkomplexen KI-Systeme der Überwachung von sich aus und ungefragt den Staatsanwaltschaften dort Namens- und Adresslisten korruptionsfreudiger Bauunternehmer gemeldet und wegen dringender Fluchtgefahr zur Verhaftung geraten. Erdoğan war nicht dabei, aber man erwischt eben nie alle.

Peter Grohmann ist Kabarettist und Koordinator des Bürgerprojekts Die AnStifter.

Ein Kommunist im Vatikan – Grohmanns „Wettern der Woche“

Ein Kommunist im Vatikan – Grohmanns "Wettern der Woche"

Ganz ruhig bleiben! Kommunismus bezeichnet zunächst mal gesellschafts-theoretische Utopien, die auf Ideen sozialer Gleichheit und Freiheit aller Gesellschaftsmitglieder, auf Gemeineigentum und kollektiver Problemlösung beruhen. Schön wär’s, sagt da meine Omi Glimbzsch und bleibt skeptisch. Aber ich kann sie an Franziskus verweisen: Ihr heiliger Vater ist da nämlich ganz anderer Meinung. Papa ist, verkürzt gesagt, ein frohgemuter Kapitalistenfresser, segnet Ideen von sozialer Freiheit und kollektiven Problemlösungen mit linker Hand und erbittet sich zu allem Überfluss auch noch die Gnade Gottes. Wenn das mal gut geht, Omi!

Ich habe schon vor fünf Jahren auf die Machenschaften des Kommunisten im Vatikan hingewiesen, etwa auf die Behauptung, dass Kapitalismus zur Sklaverei führt, ja sogar tötet. „Wenn der Mensch nicht mehr im Mittelpunkt steht, wenn das Geldverdienen das erste und einzige Ziel ist, befinden wir uns außerhalb jeder Ethik und bekommen Strukturen der Armut, Sklaverei und Verschwendung“. Dabei wiederholt der Papst Franziskus wieder und wieder seine Kritik an der „Wegwerfkultur“, die im Namen des Geldes Arme, Schwache und Randgruppen ausgrenzt und zugleich die Umwelt zerstört. 

Das Oberhaupt ist in den letzten Jahren noch gefährlicher, ja einflussreicher geworden und ohne große Mühe in die Lage, eine Million Menschen, sogar Afrikanerinnen und Afrikaner, zu mobilisieren. Erzählen Sie mir jetzt bitte nicht, dass das andere auch könnten! Für unsere letzte Antikriegskundgebung in Stuttgart konnte ein „breites Bündnis“ eben mal etwas mehr als hundert schlecht gelaunte Leute mobilisieren. Beide Ereignisse lagen zeitlich nah beieinander, Anfang Februar 2023. 

Die Grausamkeiten, die Folter, die Verstümmelungen und das Morden, von denen bei der Reise des Heiligen Vaters in teils schwer zu ertragenen Details erzählt wurde, mündeten in seinen Appell: „Hände weg von der Demokratischen Republik Kongo, Hände weg von Afrika! Die Erstickung Afrikas muss aufhören: es ist kein Bergwerk, das ausgebeutet, und kein Boden, der zur Plünderung freigegeben ist.“ Das war einmal mehr – und da sind sich alle Antikommunisten einig – eine direkte Einmischung in die inneren Angelegenheiten des Kapitalismus, ja der westlichen Werte, verbunden mit scharfer Kritik an den Außenpolitiken der reichen Industrienationen – letztlich ein Schuss vor den Bug von Olaf Scholz und Robert Habeck.

Karl Valentin, der vor 75 Jahren das Zeitliche segnete, wusste natürlich, dass früher die Zukunft auch schon mal besser war. Er ließ dennoch die Hoffnung nicht fatzen, „dass es nicht so schlimm wird, wie es jetzt schon ist“. Valentin war, so gesehen, ein katholischer Kommunist. Eine gute Mischung als Salz der Gesellschaft.

Peter Grohmann ist Kabarettist und Koordinator des Bürgerprojekts Die AnStifte

Kampfjets jetzt! – Grohmanns „Wettern der Woche“

Kampfjets jetzt! – Grohmanns "Wettern der Woche"

Kampfjets jetzt, sofort. Obwohl ich noch bissel unsicher bin! Fregatten ja, Drohnen gern, Haubitzen allemal, Mauser immer, wenn’s sein muss, U-Boote, taktische Atomwaffen aus Büchel oder so, Bodentruppen, Söldner, Verbandskästen – alles drin, aber ansonsten sag‘ ich mir: lieber verhandeln. Leute, die Welt hat mit Hitler verhandelt, mit Stalin, Franco, Gaddafi, mit Mugabe, Idi Amin, Xi Jinping, mit Ortega, Friedrich Flick, Max Schmeling, H.G. Maaßen, sogar mit dem Friedensnobelpreisträger Jassir Arafat, mit Erdoğan, Wladimir Lissin, sogar mit Leuten, die vorher von uns mühsam und teuer genug hochgepäppelt, finanziert, strategisch-militärisch und rein menschlich unterstützt, aber dann frech wurden. Also: Warum nicht auch mit Putin?

Okay, es hat was für sich, erst mal abzuwarten und zu schauen, wie lange es noch dauert, bis dieser Schurkenstaat am Boden liegt. Aber ich bin vehement gegen einen Einmarsch, das muss klar sein.

Die Demokratie ist auch heute in vielen Ländern in Gefahr, ja, in vielen Ländern kennt man sie sogar nur aus der Ferne wie Merz und Maaßen, grüßt sie wie einen guten Onkel in Amerika, der 1933 in die USA auswandern durfte. Deshalb schauen wir ja in diesen tristen Tagen auch so genau hin, wie es um Populismus und Ausländerhass steht, wie es dem Antisemitismus und der Gewalt geht, was die Gerechtigkeit tagsüber so treibt.

Hin und wieder wandert der Blick dann ins Ausland, zum Nato-Partner Türkei, in die Niederungen von Österreich, wo eben erst die Demokratie zu humpeln beginnt – nein, noch nichts Ernstes. Dorthin, wo die rechten Populisten bei den jüngsten Wahlen gut und gern mehr als 50 Prozent der Wählerschaft binden konnten, freiwillig.

Und weil Jahrestag ist, werfen wir den Blick zurück ins Deutsche Reich der 1930er-Jahre, zu Krupp und Thyssen und Flick und Abs, zu Daimler und Porsche, zu Kirchen und Junkern, zum Adel und dem Medien-Mogul und Hitler-Freund Hugenberg. Nein, Leute: Die Wähler seinerzeit haben trotz Deutscher Bank und Industrie, trotz alledem und alledem Adolf Hitler, die NSDAP, die Sippenhaft, die Judenvernichtung und den Krieg gewählt. Aber ganz demokratisch soll es 1933 nicht zugegangen sein, sagen die Forschungen, und: Die Industrie war jedenfalls nicht schuld.

In den Niederlanden, las ich dieser Tage, halten 23 Prozent der letzten Generation (Leute zwischen 20 und 40 Jahren) die Berichte über den Holocaust für einen Mythos oder übertrieben. Und auch über die NS-Zeit weiß man wenig bei unseren Nachbarn. Gott sei Dank leben wir hier.

Peter Grohmann ist Kabarettist und Koordinator des Bürgerprojekts Die AnStifter. 

Stoßtrupp Slomka – Grohmanns „Wettern der Woche“

Stoßtrupp Slomka – Grohmanns "Wettern der Woche"

„Haste gesehn, was die für stechende Augen hat?“ fragte mich meine Omi Glimbzsch aus Zittau, als ich neulich mal wieder die DDR besuchte. Omi sieht schlecht – sie hat tränende Augen, weil man aus der DDR hätte was Besseres machen können als diese verlängerte Ladentheke, glaubt sie. „Das war nich Marietta Slomka,“, sag‘ ich ihr, das war der Jens Riewa!“ Aber sie besteht darauf: „Ich bin doch nich meschugge! Wenns nicht die Slomka war, wars die Gahren Miosga!“ Meine Omi hat ein sehbehindertes Vorurteil gegen große Frauen neben sich, selbst wenn es Männer sind. Ja, sie kannte sogar noch den Hanns Joachim Friedrichs. Der Name wird Ihnen nischt sagen. Aber der Hajo war ein journalistische Altmeister, mit allen Wassern des Westens gewaschen. Friedrichs war das Gesicht der Tagesthemen und hatte die Glimbzsch nach dem Umsturz in der DDR mal wegen des Streiks der Textilarbeiterinnen in Crimmitschau 1905 interviewt. Er war begeistert und flüsterte ihr angeblich bei der Abreise aus der Oberlausitz nonchalant ins Ohr „Frau Glimbzsch, man muss „Distanz halten, sich nicht gemein machen mit einer Sache, auch nicht mit einer guten, nicht in öffentliche Betroffenheit versinken, im Umgang mit Katastrophen cool bleiben, ohne kalt zu sein.“

Belegen lässt sich das heute en Detail leider nicht mehr, doch das Zitat ist literarisch hinterlegt und gehört zur öffentlich-rechtlichen Grundausstattung aller Redaktionskonferenzen.

Omi hat dieser Tage den AK Antimilitarismus im Haus Waldfrieden in Oybin ins Leben gerufen, zusammen mit ihrem Zimmernachbarn aus Eisenhütten-stadt (früher „Schrottgorod“) und einer Pflegerin aus der Ukraine. Sie wollen sich gemeinsam auf die Suche machen nach Möglichkeiten für einen Endsieg, bevor alles in Scherben fällt. Welche Granaten haben welche Reichweite, wie steht es um Abschussrampen? Wo sind die nächsten Servicestationen für die Leoparden? Was taugen von die Russen zurück-gelassenen Kalaschnikows? Sind MGs aus israelischer oder solche aus chinesischer Produktion wirksamer? Oder auch: Könnte man sich auch als anerkannter Kriegsdienstverweigerer bei der Armee melden, ohne sich strafbar zu machen? Ist der Einsatz der Bundeswehr ratsam, quasi als letzte Möglichkeit?

Eine Fraktion im AK widmet sich der zivilen Infrastruktur, ohne die letztlich ein Krieg sinnlos ist. Dabei geht es um Nahrungsmittel, vor allem Baby-nahrung, um Medikamente selbst für die Zivilbevölkerung, um gute Winter-bekleidung, um Heizmaterial, denn hunderttausende Menschen sind fast vergessen, sind krank, hungern und frieren. Für die geplante dritte Neigungs-gruppe „Internationale Solidarität“ fehlen momentan noch die personellen Ressourcen.

Peter Grohmann ist Kabarettist und Koordinator des Bürgerprojekts Die AnStifter. 

Im Tal der Ahnungslosen – Grohmanns „Wettern der Woche“

Im Tal der Ahnungslosen – Grohmanns "Wettern der Wcohe"

Wer aus dem dunklen Tal der Ahnungslosen, dem Stuttgarter Kessel, aufsteigt zu den lichten Höhen auf den Fildern, der landet direktemang im gierigen Rachen der CMT: Hier kampiert zurzeit die weltweit größte Publikumsmesse für Tourismus, Freizeit und Klimasünden. Zur Sünde selbst äußerte sich angemessen dieser Tage auch der frühere Lützerather Staatsrat Winfried Kretschmann: „Ob wir ein Tempolimit umsetzen oder nicht, ist für den internationalen Kampf gegen den Klimawandel völlig irrelevant.“ Nu jaja, nu nene, würd‘ meine Omi Glimbzsch aus Zittau jetzt sagen und Lenin zitieren: Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser.

Egal jetzt – Partnerland der CMT ist unser Nachbarland Mongolei: unendliche Weiten, unberührte Natur und kaum ein Mensch zu sehen. Wie auf der Schwäbischen Alb bei Upflamör. Doch das werden wir schnell ändern. Denn ob Hammelfleisch mit selbstgeschabten Spätzle in der Jurte, ob Kreuzfahrten ins Eismeer, Rundflüge über die Slums von New York, ob eine Nacht in einem ukrainischen Bunker, ein Abstecher zu den seltensten Erden in China oder zu zurückgelassenen Freunden in Kabul: Nichts ist unmöglich.

Wenn du Pech hast und zurückkommst in deine angestammte Heimat, sitzt möglicherweise schon der Iwan auf deinem Sofa, schaut Russia Today, um schnell Deutsch zu lernen, oder erzählt deinen Kindern Märchen von Peter und dem Wolf. Er weiß: Die Deutschen sind zwar ein bissel rassistisch, aber reisen gern in die Welt. Sie sind vor allem nicht verteidigungsfähig – die Bundeswehr ist im Eimer. Jedwede Nachrüstung kommt zu spät, denn es braucht 10 Jahre, um uns wehrtechnisch wieder salonfähig zu machen. Eva Högl, eine gläubige Sozialdemokratin mit militärischem Hintergrund, sagt es selbst: Die beschlossenen 100 Milliarden für die Bundeswehr sind ein Nasenwasser – und die aktuell geforderten 300 Milliarden für unsere Soldaten sind nicht aus der heißen Luft gegriffen. Wie gesagt: Jetzt weiß der Russe natürlich, dass wir nicht verteidigungsfähig sind. Airbus und Rheinmetall, Heckler & Koch, ThyssenKrupp, Krauss Mafia, Jenoptik: Die ganz großen Kriegswaffen-Produzenten reiben sich ihre fettigen Hände am Kanonenrohr und an den dicken Auftragsbüchern. Zum Nachtisch gibt’s Export auf Teufel komm raus. Natürlich müssen die Rüstungsfirmen die Regierung höflich und mit Spenden bitten, den Export zu genehmigen – gut Freund in Koalition und Opposition. Von Seiten des Staates werden strittige Anträge meist mit dem Verweis auf außen- und sicherheitspolitische Interessen genehmigt. Der Waffenhandel ist ja auch Teil der Beziehungspflege. Und wenn’s bei uns zu teuer wird, verlagern wir die Produktion nach China.

Leistung muss sich wieder lohnen. Porsche kann in 2,8 Sekunden auf 100 Stundenkilometer beschleunigen, die 100 größten Lebensmitteil- und Energiekonzerne haben ihren Gewinn mehr als verdoppelt – und Sie?

Genau! Das meine ich.

Peter Grohmann ist Kabarettist und Koordinator des Bürgerprojekts Die AnStifter.

Eindrücke von der Abbruchkante

Kleinkundgebung in Keyenberg.

Auf dem Weg nach Lützerath kommt man durch Keyenberg, einen Ort der ebenfalls dem Braunkohletagebau geopfert werden sollte. Diese Entscheidung wurde revidiert. Laut Wikipedia haben jedoch bereits 85% der Bewohner*innen das Dorf verlassen. Der Ortsteil von Erkelenz gleicht heute einem Geisterdorf. Auf der Website des WDR findet sich ein Bericht über die Folgen in Keyenberg und den anderen „geretteten“ Dörfern.

 

Karte: Open Street Maps

Keyenberg und Lützerath befinden auf der westlichen Seite des Tagbaus Garzweiler II. Die Tagebaue Garzweiler I und Garzweiler II erstrecken sich über eine Fläche von über 100 Quadratkilometern, das entspricht etwas der Hälfte der Fläche der Stadt Stuttgart. Bisher sind dort über 20 Ortschaften der Braunkohleförderung zum Opfer gefallen.

 

Die ersten Polizeifahrzeuge zwischen Keyenberg und Lützerath.

„Der Einsatz körperlicher Gewalt war notwendig [… ] Die Kollegen waren gezwungen, alle zur Verfügung stehenden Einsatzmittel einzusetzen“, so der Polizeipräsident Dirk Weinspach nach der Demonstration am vergangenen Sonntag gegenüber WDR Aktuell.

 

Auf dem Weg von der Kundgebung in Richtung Tagebau.

Im Hintergrund sind ein Bagger und Demonstrant*innen auf der Einfriedung zu sehen. Einige der für den Tagebau benötigten Flächen wurden RWE bisher noch nicht überlassen. Neue Enteignungen könnten nötig werden, berichtet der WDR.

 

Blick von der Einfriedung des Tagebaus Garzweiler nach Norden.

Die Demonstrant*innen strömten von Norden kommend in Richtung des Zauns kurz vor Lützerath. Dort kam es zu den Auseinandersetzungen mit der Polizei. „Eine Sprecherin des Sanitätsdienstes der Demonstranten hatte gesagt, bei der Demo am Samstag sei eine „hohe zweistellige bis dreistellige Zahl“ von Teilnehmerinnen und Teilnehmern verletzt worden. […] Dabei habe es besonders viele Kopfverletzungen gegeben. […] Die Polizei wiederum berichtet von mehr als 70 verletzten Polizisten seit Beginn der Räumung von Lützerath am Mittwoch. Die meisten davon seien bei der Demo am Samstag verletzt worden, sagte ein Polizeisprecher. Die Verletzungen gingen aber nur zum Teil auf Gewalt durch Demonstrierende zurück. Teilweise seien die Beamten zum Beispiel auch im schlammigen Boden umgeknickt.“ (RND)

 

Blick nach Osten auf den Tagebau Garzweiler.

Zur gleichen Zeit fand ca. 500 Meter weiter westlich eine Kundgebung mit Greta Thunberg und anderen Redner*innen statt.

 

Blick nach Süden in Richtung Lützerath.

„Wäre Lützerath weg, könnten sich die Bagger des Kohlekonzerns kilometerweit in die Landschaft graben – für 280 Millionen Tonnen zusätzliche Braunkohle aus dem Tagebau Garzweiler. Für die voranschreitende Erderhitzung ist dieses Vorhaben ein Debakel: Wird die Kohle unter den Garzweiler-Dörfern verbrannt, sind die Pariser Klimaziele für Deutschland nicht einzuhalten.“ (Greenpeace)

Fotos und Text: Benjamin Schad

Braune Böller – Grohmanns „Wettern der Woche“

Braune Böller – Grohmanns "Wettern der Woche"

Nein, nicht Neukölln, Borna: In der sächsischen Kleinstadt Borna (Landkreis Leipzig) haben am Silvesterabend etwa 250-300 deutsch-stämmige Menschen auf dem Marktplatz randaliert und Polizei, Einsatzkräfte und den Weihnachtsbaum (!) mit Böllern und Raketen angegriffen. Anwohner berichten von „Sieg Heil“-Rufen und Leute, die mit Vollmasken durch die Kleinstadt zogen. Die sächsischen Vollpfosten attackierten nach Weihnachtsbaum und Polizei auch das Rathaus.

Natürlich regen sich meine Nachbarn mit Nazihintergrund mehr über den türkisch-syrischen Raketenhagel in Berlin-Neukölln und über Inländer mit Migrationshintergrund auf als über Sachsen oder russischen Granaten auf den Oblast Mykolajiw. Im Feuerzauber von Neukölln ging Borna unter. Im Fall von Neukölln ist’s piepegal, ob schon die Großeltern im Kiez geboren wurden oder die Kids erst gestern ihre Bude bezogen haben. Wenigstens zum Jahreswechsel kannst du klassen- und intelligenzübergreifend die Sau rauslassen und demonstrieren: Wir sind ein Volk – aber ich hab‘ den größten. Kann sein, dass deiner schöner ist oder deiner weiter fliegt, aber meiner hat mehr Sprengkraft. Wenn deiner lauter ist, pfeift meiner gemeiner. Kinder, das ist doch eine alte Kapitalistenregel: Größer, schöner, weiter, besser, lauter, voller, heller, teurer, dümmer. Wir legen großen Wert auf Nachhaltigkeit, schreibt die Lebensmittelkette tegut und drückt an den Kassen zu Silvester dem nachhaltig gesinnten Publikum nochmal Judenfürze und Schweizer
Kracher aufs Auge. Nein, nicht in Berlin, in Degerloch. Bei den Fahrten zu den Silvesterpartys quer durch die Schwabenmetropole ist auch hier die an den Balkonen der Sozialwohnungen vorbeirauschende Mercedes-Flotte ein gesuchtes Opfer für die Knallbonbons. Der Balkon sorgt dafür, dass dir die „Emotionalen Sounds für ein einzigartiges Fahrerlebnis“ schnell vergehen, wenn „der neue, kraftvolle Klang im EQE SUV“ im Doppel-Wumms nicht mehr zu hören ist und dein Heiligs Blechle Schaden nimmt.

Völker, hört die Signale! Spielt mir das Lied vom Kleinen Trompeter: Die diffuse Ablehnung des Staates in der Silvesternacht sei ein Alarmsignal, leutseligen die Regierenden. Wieso in der Silvesternacht? Sonst alles OK? Mehr Intelligenz wagen! Demokratie muss nicht nur erklärt werden, man muss sie auch verstehen. Betuchte Demokraten können sie sich kaufen, samt Zubehör. Minderreiche gucken in die Röhre oder in den Mond. Logisch – unser Staat kann sich nicht um alles kümmern – selbst ist die Frau! Allerdings sorgt sich nicht nur hierzulande der Staat zuvörderst dafür, dass zunächst alles mal so bleibt, außer in Lützerath. Es ist wie ein Exzess mit längerem Atem, würd‘ meine Omi Glimbzsch in Zittau sagen, Silvester-Feinstaub ignorieren und auf die Mikroplastik im grünen Salat und bei den Roten Beten verweisen: Rad-Abrieb, Autoverkehr, von hinten und von vorne.