Aufregung fehl am Platz?

Liebe Leut,

16, 94, 33, 58, 88. Nein, hier geht’s nicht um Toto, Lotto oder Otto. Es sind statistische Zahlen, die uns rätseln lassen: 2015 gab es bisher 16 Brandanschläge und 94 sonstige Übergriffe auf Flüchtlingsunterkünfte, 33 tätliche Übergriffe mit Körperverletzung, die 58 Verletzte zur Folge hatten und 88 flüchtlingsfeindliche Demonstrationen (Quelle: Mut gegen rechte Gewalt, offizielle Zahlen liegen sogar noch höher). Ist das zu abstrakt? Wahrscheinlich. Trotzdem merkwürdig, dass wir, die wir größtenteils den Schrecken der frühen 1990er Jahre miterlebt haben, nicht auf die Straße gehen.

Und auch die einzelnen Fälle führen noch zu keinem “Aufstand der Anständigen”. Alle paar Tage lesen wir von Brandanschlägen, die der rechte Mob auf Flüchtlingsheime verübt. Schreckliche Bilder von verkohlten Gebäuden, in denen die Ärmsten der Armen Zuflucht finden sollten. Nur durch Zufall ist dabei bisher niemand ums Leben gekommen.

In den 1990er Jahren folgte auf die rassistischen Progrome die weitestgehende Abschaffung des deutschen Asylrechts. Insofern hatte der Naziterror der Nachwendezeit einen messbaren Erfolg.

Und auch heute scheinen die Brandstifter, Steinewerfer und sonstige Terroristen (in der Regel sind’s ja Männer) auf einem erfolgversprechenden Weg zu sein. Allein schon das, was bisher aus den Regierungen zu hören ist, gibt ihnen Recht. Da geht es um die Bekämpfung eines angeblichen massenhaften Asylmissbrauchs, darum, die Erfolgswahrscheinlichkeit eines Asylantrags von der ethnischen Herkunft abzulesen, sogenannte Wirtschaftsflüchtlinge gleich in Zeltstädte in Grenznähe zu verfrachten (hat was von Atommüll, oder?), den Flüchtlingen ihr Taschengeld zu streichen, noch mehr Länder als sichere Drittstaaten zu deklarieren oder die Nutzung von Schleppern als Haftgrund festzuschreiben.

Gerade letzteres ist total absurd. Nach der letzten “Verschärfung” des Asylrechts kommt ohnehin fast niemand mehr ohne bezahlte Fluchthelfer in unser gelobtes Land – weder die angeblich so bösen als Wirtschaftsflüchtlinge denunzierten Menschen noch die lieben, die um politisches Asyl flehen wollen.

Was sollen wir da sagen?

Ja, es lohnt sich weiterhin, sich ehrenamtlich für Flüchtlinge vor Ort zu engagieren. Es lohnt sich, Zivilcourage zu zeigen und gegen jegliche rechten Umtriebe vorzugehen – egal ob es sich um verbale Abwertungen oder um physische Übergriffe handelt. Und es lohnt sich, Migration nicht unidirektional zu betrachten. Unsere Waffen nehmen schließlich in der Regel den entgegengesetzten Weg. Genau darauf will ein Bündnis rund um Flüchtlinge für Flüchtlinge mit Aktionstagen vom 20. bis zum 22. August unter dem Motto “Fluchtursachen bekämpfen, Waffenexporte stoppen!” in Konstanz und Umgebung aufmerksam machen.

Herzliche Grüße

Fritz Mielert & Peter Grohmann

PS: Wettern über Wirtschaft und Solidarität und über Kuba
PPS: Die Amadeu Antonio Stiftung hat ein lesenswertes PDF über Reichsbürger veröffentlicht
PPPS: Netzpolitik.org und die alte Tante Pressefreiheit brauchen dieser Tage unsere Solidarität – sie werden vom lieben Herrn Range bedroht, der bekanntlich ein weisungsgebundener Beamter ist
PPPPS: Am Dienstag, den 25. August um 17:30 Uhr schauen wir uns gemeinsam die Ausstellung „Typisch Zigeuner“ und den Film „Just the wind“ in Ludwigsburg an
PPPPPS: Am Montag, den 17. August ab 19:15 Uhr feiern wir unter dem Titel “Immer Feste druff!” das Fest zum 250. Bürgerbrief im Kunstverein

Über Fritz Mielert

Fritz Mielert, Jahrgang 1979, arbeitete von 2013 bis 2017 als Geschäftsführer beim Bürgerprojekt Die AnStifter in Stuttgart. Davor betreute er ab 2011 bei Campact politische Kampagnen im Spektrum zwischen Energiewende und Vorratsdatenspeicherung, engagierte sich in der AG Antragsbearbeitung der Bewegungsstiftung, baute ab 2010 maßgeblich die Parkschützer als eine der wichtigsten Gruppierung im Protest gegen Stuttgart 21 auf und war ab 1996 mehrere Jahre ehrenamtlich bei Greenpeace aktiv.

Ein Gedanke zu „Aufregung fehl am Platz?

  1. Schließlich habe erst die Grundgesetzänderung von 1992 den Aufstieg der damaligen „Republikaner“ gestoppt, so Seehofer.

    Zu dieser Erfahrung gehörte aber auch ein damaliger rassistischer Diskurs, der mit dem „massenweisen Missbrauch des Asylrechts“ hantierte. Er macht die Flüchtlinge zum Problem, nicht die Untätigkeit der Politik.
    FAZ zum Sommerinterview mit Seehofer

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