BürgerInnenbrief 149

Liebe Bürgerinnen und Bürger,
„keiner zahlt’s“
, lese ich heute. Hä? Hallo, ist da wer nicht ganz auf dem Laufenden? Ob nun das Land Baden-Württemberg, ob Bundesbahn oderStadt Stuttgart eines Tages die Quittung bekommt, zahlen werden es, egal, wie der Empfänger heißt immer wir, die Steuerzahler, niemand anderes! Aber vielleicht ist ja der Spruch keiner zahlt’s ein naiver Wunsch. daß sich bitte sehr die Schulden, die die munteren Sautreiber machen, in Luft auflösen mögen oder jemand von einem anderen Stern die Rechnung zahlt. Und weil ich nun schon mal am Meckern bin: Wer diese Frau Merkel da wieder und wieder ins Spiel bringt, sollte freundlicherweise auch sagen, wie wir sie loskriegen – und wenn wir sie denn loshaben, wer realistischerweise an ihrer Stelle das Steuer hält. Der Herr Steinbrück etwa oder Schäuble oder Özdemir oder alle zusammen? Weder theoretisch noch praktisch gibt es allenfalls weitere nette Namen aus dem Lager Schwarz, Rot, Grün, aber keine ernsthafte Alternative zur Macht. Freilich, man könnte auf Grün-Rot setzen, und sollte das nicht reichen, auf Rot-Rot-Grün. Momentan sieht es aber so aus, als würden demnächst im Land der Dichter und Denker die Roten und die Grünen eine aufs Haupt kriegen und ihre Mandate in der Stadt verlieren. Die lachenden Dritten wären dann die schwarzen Merkelianer. Merke: Wer Parteipolitik auf die die Demos bringt, muss sich notgedrungen auch solchen profanen Fragen stellen, also und eins und eins zusammenzählen. Daß eine Konstellation mit einer gestärkten CDU auch als Votum für den Sargbahnhof gewertet würde, ist das geringste aller Übel. Meine Empfehlung ist daher: Laßt die Parteipolitik weg, bleibt hart an der Sache, am Thema, werdet schärfer in der Kritik, aber überlasst uns, den halbwegs mündigen Bürgerinnen und Bürgern, ob wir zur Wahl gehen und wie wir wählen.

Was nun Stuttgart21 selbst angeht, das Projekt, das uns seit Jahren umtreibt, können wir relativ zuversichtlich sein – sofern wir unseren eigenen scheitern – Argumenten trauen. An den Kosten wird’s kaum scheitern – mit den Steuergeldern wird ja seit eh’ und je skrupellos und kriminell umgegangen, Beispiele gibts in Hülle und Fülle. Also rechtlich? Ich will kein Wasser in den Wein der Rechtgläubigen schütten. Zwar vertraue ich drauf, dass die Justiz noch unabhängig ist, aber die da haben einfach zu viel zu tun. Die Arbeit und S 21 im müssen doch jedem Richter über den Kopf wachsen! Er ist bei vielen speziellen Fragen auf den Rat der Fachleute angewiesen, und von denen wissen wir ja auch: Ob Asbest oder Atomkraft, beides ist todsicher, genau wie unser Bankensystem. Es füllen die Irrtümer der Experten, Gutachter und Wissenschaftler ganze Bibliotheken. Auf jedes Gutachten kommen gut zwei andere, und wenn’s honoriert wird, zehn. Der eine behauptet, unsre Quellen könnten versiegen, der andere sagt: Ausgeschlossen. Aber was sage ich? Gutachter, Euch trau’ ich beiden nicht – aber ich will kein Risiko eingehen.

Wie sich die Stadt vor unsren Augen verändert, das sehen wir. Wege werden länger und mühevoller, die Bahn unzuverlässiger, der Service schlechter. Die Gewinne der Investoren wachsen, unsere Schulden auch, viele Kommunen in Deutschland stehen vor dem Kollaps. Immer mehr Bahnhöfe schließen, Schienen & Brücken verrotten – Geld fehlt. Wir sind auf dem besten Wege, das gesamte Verkehrssystem gegen die Wand zu fahren, in der Bildung sind wir nur noch Mittelklasse, das Rechtssystem gerät aus den Fugen, der Papst wird abgehört, da hilft auch kein Beten, das Gemüse ist gespritzt, mein Biohändler ist gar keiner und Angela Merkel hat die höchsten Werte aller Zeiten. Mahlzeit.
Das alles, liebe Bürgerinnen und Bürger, klingt vielleicht bissel übertrieben, aber angesichts der Weltlage, der Sauerein um uns rum, der vielen aufgedeckten und der unzähligen nicht aufgedeckten Skandale und der Tatsache, daß das Wahlergebnis vielleicht längst feststeht, sag’ ich mal mit Blick auf überübermorgen:

Ein Loch ist im Eimer, Karl-Otto, Karl-Otto. Wer zahlt denn, Karl-Otto, wer zahlt?
Der Peter, Karl-Otto, der Peter – und Du.

Über Peter Grohmann

Peter Grohmann, Jahrgang 1937, Breslauer Lerge, über Dresden auf d' Alb, dann runter nach Stuttgart: Schriftsetzer und Kabarettist, Autor und AnStifter gegen Obrigkeitsstaat und Dummdünkel. Mitgründer: Vom Club Voltaire übers undogmatische Sozialistische Zentrum, vom Theaterhaus zu den AnStiftern. Motto: Unruhe ist die erste Bürgerinnenpflicht. Was ärgert Grohmann? Alle, die den Arsch nicht hochkriegen, aber dauernd meckern. Und an was erfreut er sich? An Lebensfreude und Toleranz