Bürgerbrief 63

Liebe Bürgerinnen und Bürger,wenn man gegen den Strom schwimmt, kann man nicht erwarten, daß der Strom deswegen seine Richtung ändert, meinte meine Oma, wenn ich mich bei ihr über Ungerechtigkeiten in der Schule oder auf der Lehrstelle ausließ. In diesen Wochen, Monaten praktizieren wir direkte Demokratie. Aber die haben wir nicht von den Parteien gelernt, nicht in der Schule, die haben wir uns selber beigebracht. Und ein paar Grundweisheiten dazu: Dass die Straße uns gehört, der Bahnhof, die Stadt, das Land! Das haben wir begriffen, wir, der Souverän. Kaum jemand wird sich Illusionen darüber machen, wie weit der Weg noch ist: Fast 60 Jahre hat’s gedauert, bis die allein seligmachende Einparteienherrschaft ihr Ende fand.

Wir haben Recht behalten. Aber Recht haben und Recht bekommen sind zwei Paar Stiefel. Viele machen bittere Erfahrungen in Sachen Justiz und Rechtsstaat. Doch das Volk hat ein feines Gespür fürs Ungerechte. Die meisten würden auch sofort dem Satz zustimmen: „Die Kleinen hängt man und die Großen läßt man laufen.“ Lobby-Kratie. Schwarz-Rot-Goldman sucks. Doch Mit dem Wissen wächst der Zweifel, meinte Johann Wolfgang von Goethe (in Maximen und Reflexionen). Unser Problem ist, daß wir mehr wissen als Nils Schmidt und seine schlechten Ratgeber. Ich habe noch selten einen derart schwachen Regierungsvertreter gehört. Erdenschlecht war der Kerle! Es geht uns ja selbst manchmal so, dass wir nur das hören wollen, was uns gefällt und Kritik so schwer vertragen wie andere Meinungen. Aber wir sind ja nicht Regierung, nicht Finanzminister eines der reichsten Bundesländer! Und eine Meinung ist das eine – das andere sind die Fakten, und da sehen die Befürworter des Milliardengrabs alt aus. Ein unterunterirdischer Bahnhof wird auch durch Mehrheiten nicht leistungsfähiger – er bleibt ein sündhaft teurer Torso in Beton + Keuper, er kann dem jetzigen Bahnhof nicht das Wasser reichen!
Das ist nun keine Meinung, das kann man beweisen. Auch der glühendste S-21- Anhänger kann mir nicht ein einziges Beispiel nennen, bei dem öffentliche Bauten ersten fristgerecht fertig und zweitens nicht um ein Vielfaches teurer wurde. Da brauchst keine Volksabstimmung. Es ist doch unerträglich, wenn ein braver Bürger in Upflamör oder eine kluge Fischerin vom Bodensee darüber abstimmen darf, ob mein Bahnhof unter die Erde kommt oder oben bleibt. Sagt ja zum
Ausstieg, bleibt weiter am längeren Hebel: Wir sind das Volk – auch nach dem 27.11.
Apropos Justiz: Frank Fahsel aus Fellbach schrieb am 9.4.08 in der Süddeutschen: „Ich war von 1973 – 2004 Richter am Landgericht Stuttgart und habe in dieser Zeit ebenso unglaubliche wie unzählige, vom System organisierte Rechtsbrüche und Rechtsbeugungen erlebt, gegen die nicht anzukommen war/ist, weil sie systemkonform sind. Ich habe unzählige Richterinnen, Richter, Staatsanwältinnen und Staatsanwälte erleben müssen, die man schlicht „kriminell“ nennen kann. Sie waren/ sind aber sakrosankt, weil sie per Ordre de Mufti gehandelt haben oder vom System gedeckt wurden, um der Reputation willen… In der Justiz gegen solche Kollegen vorzugehen ist nicht möglich, denn das System schützt sich vor einem Outing selbst – durch konsequente Manipulation…“ (gekürzt).
Aber: Wer den Kopf in den Sand steckt, darf sich nicht wunden, wenn die Zähne knirschen. Stattdessen sollten wir uns wappnen: Mit Lust statt Frust,mit Fantasie und Ausdauer,mit dem Wissen der Geduldigen: Wir sind die Klügeren, deshalb geben wir nicht nach! Wir sorgen selbst für bessere Nachrichten und Informationen, mit der freien 21einundzwanzig. Die müssen wir uns leisten. 1000 Leute, die 100 Euro für die einundzwanzig spenden – das wäre das Wunder! Alles ist möglich. BLZ 60050101, Konto Heske-Wolkenstein 3631562. Es dankt Ihnen Peter Grohmann

Über Peter Grohmann

Peter Grohmann, Jahrgang 1937, Breslauer Lerge, über Dresden auf d' Alb, dann runter nach Stuttgart: Schriftsetzer und Kabarettist, Autor und AnStifter gegen Obrigkeitsstaat und Dummdünkel. Mitgründer: Vom Club Voltaire übers undogmatische Sozialistische Zentrum, vom Theaterhaus zu den AnStiftern. Motto: Unruhe ist die erste Bürgerinnenpflicht. Was ärgert Grohmann? Alle, die den Arsch nicht hochkriegen, aber dauernd meckern. Und an was erfreut er sich? An Lebensfreude und Toleranz

3 Gedanken zu „Bürgerbrief 63

  1. Interessante Behauptungen, leider aber auch jenseits der Realität. Von der Straße, dem Bahnhof, der Stadt, dem Land gehören jedem eben nur ein entsprechender „Anteil“. Die sogenannte „Stuttgarter Erklärung“ haben o,o8 % der Bevölkerung unterschrieben, diesen „gehören“ also nicht einmal 1/1000 des Vorbenannten.
    Über 999/1000 gehören also den Nichtunterzeichnern.

    Wenn man sich selbst einbildet, mehr zu wissen, als andere, ist es mit dem Wissen auch nicht weit her, dass hier auch keine Zweifel an der eigenen Überlegenheit erkennbar sind, spricht ebenfalls gegen das „Besserwissen“. Selbstüberschätzung ist aber offenbar ausreichend „vorhanden“ .

  2. lieber herr könig, das haben sie ja einen uralten bürgerbrief hervorgekramt
    (gestern, am 14.5.2012, erschien der 91. – sie beziehen sich auf einen vor fast 30 wochen! und zweitens haben sie wohl was gründlich mißverstanden –
    die straße, der bahnhof, der park, der gehört uns. und mit uns sind natürlich nicht irgendwelche unterzeichnerinnen oder nicht-unterzeichner gemeint,
    sondern „wir“, das volk, unabhängig davon, wo wir politisch stehen.
    unabhängig davon hahen zb den stuttgarter appell 155 000 menchen unterschrieben – aber wie gesagt, zahlen tun hier kaum was zur sache.
    peter grohmann

  3. Lieber Herr Grohmann,
    Den Brief hat die Kommentatorin eines anderen Artikels hervorgekramt und angeführt. Allerdings erliegen Sie ja permanent dem Irrtum, SIE (im Sinne von Ihrer Gruppe) seien DAS Volk und reklamieren ungefragt für sich, für andere sprechen zu können.
    DAS VOLK zieht aber weder montags durch Stuttgart, sondern nur ein ganz verschwindend kleiner Teil des Volkes, noch wünscht DAS VOLK den Erhalt des Sackbahnhofs, noch sieht DAS VOLK sich als „die da unten“ an und protestiert hasserfüllt gegen „die da oben“.
    Dieses Volk gründete vielmehr Parteien, wählt seine Abgeordneten in die Parlamente und beteiligt sich so an der Gestaltung der Gesellschaft.

    Das Volk hat sich eine Rechtsordnung geschaffen, in welcher Mehrheitsentscheidungen gelten.
    Das Volk gestattet jedem seine Meinung und deren freie Äußerung, verbittet es sich aber auch, selbst über den Mund gefahren zu werden und benötigt auch keine selbsternannten „wir sind die Klügeren“ , zumal dies ja regelmäßig die tatsächlich Dümmeren von sich behaupten.
    Das muss Ihnen nicht gefallen und Sie können dieses demokratische System gern ablehnen, leben werden Sie mit diesem dennoch müssen, wenn Sie das Land nicht verlassen wollen.

    P.S. Ich halte Nils Schmidt, ohne ein Fan von diesem zu sein, übrigens für wesentlich klüger als Sie oder den Personenkreis insgesamt, welchen Sie mir „wir“ umreißen, auch wenn Sie selbstgefällig erklären, Sie seien die Klügeren.
    Falsch ist übrigens auch, dass die Befürworter Ihnen gegenüber hinsichtlich der Faktenlage in irgendeiner Weise alt aussehen würden.

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