Laudatio von Joe Bauer anlässlich der Preisverleihung des Albert-Dulk-Preises an Peter Grohmann

Erstveröffentlichung der Laudatio vom 15.11.2019 auf Bauers Depeschen | Sonntag, 17. November 2019, 2150. Depesche

LIEBE GÄSTE, geschätzte Veteraninnen und Veteranen der Stuttgarter Kulturrevolution, hochverehrter Herr Grohmann,

einmal im Leben, dachte ich, muss ich den Peter per Sie ansprechen, deshalb der Herr zur Begrüßung. In Wahrheit ist er ja auch ein Herr, jedenfalls seit jeher Herr seiner Sinne – und die sind sehr scharf, sensibel und gut ausgebildet.
Wenn jemand einen Preis erhält, der einen Namen trägt, liegt es auf der Hand, den Preisträger mit dem Namensgeber des Preises zu vergleichen. Dies aber, liebe Gäste, werde ich hier nicht tun. Auch angesichts der Diskretion gegenüber Peters Privatleben, vor allem mit Rücksicht auf seine Frau. Albert Dulk gilt wegen seiner freizügigen Lebensweise nicht erst seit heute als ein früher, sexuell flexibler Hippie – und da sind wir schon beim Kern der Sache: Peter Grohmann war weder Hippie, noch ist er ein typischer 68-er aus der Studentenrevolte. Er kommt ohne Wenn und Aber aus der Arbeiterbewegung, er war Drucker und damit ein Verbreiter des widerständigen Worts – diesen Beruf hat zwar auch mal Albert Dulk ausgeübt, später aber schrieb er Libretti für Opern, und das hat Peter definitiv nicht gemacht. Das musste er auch nicht. Seine Auftritte waren und sind bis heute so oder so große Oper. Für mich kommt er geradewegs heraus aus einer Art Fünf-Groschen-Oper, was nur am Rande damit zu tun hat, dass ich ihm seit Jahren Montag für Montag bei der Demo gegen Stuttgart 21 einen Fünfer in seine Sammelbüchse steckte. Nur so konnte er überleben. Und sich bis Untertürkheim durchschlagen.

Wenn wir schon dieses Thema streifen: Die Eisenbahn, dieses Symbol der Welteroberung und der Landnahme, war bekanntlich Albert Dulks Schicksal – er starb an einem Herzinfarkt ausgerechnet auf dem Stuttgarter Bahnhof. Und das will man ja keinem wünschen, schon weil der Anblick des heutigen Bahnhofs bei uns allen Infarkte aller Art auslösen kann.

Peter Grohmann kämpft seit Jahrzehnten gegen die da oben und für die da unten, er setzt sich ein für mehr Gerechtigkeit, für ein solidarisches Miteinander, gegen die Macht der Reaktionäre.

Wie schwierig das ist, mag ein letztes Mal das Beispiel Alber Dulk zeigen: Jahrelang beseelte dieser extrem konditionsstarke und kräftige Mann Untertürkheim mit seinem revolutionären Geist, mit seinen Ideen von Freiheit und der Macht des Volkes. 1884 ist er gestorben – und schon wenig später, bei der Landtagswahl anno 2016, wählten 11,6 Prozent der Untertürkheimer schon wieder die Nationalisten und Rassisten – nämlich die AfD.

Inzwischen könnte einem angesichts der gegenwärtigen Entwicklung beinahe der Humor vergehen. Und damit das nicht passiert, bräuchten wir eigentlich nicht nur den einen Peter, sondern überall viele Grohmanns. Dieser Gedanke wiederum ist zweischneidig: Den einzigen und wahren Grohmann, dieses außerirdisch anmutende Schlitzohr der außerparlamentarischen Opposition, gibt es zum Glück nur bei uns im Kessel. Wir haben das Unikat. Wir haben ihn regelmäßig auf der Bühne – und noch öfter auf der Straße. Wobei ich mal offen lasse, wie es sich damit verhält: Ist die Straße Peters wahre Bühne – oder die Bühne immer nur eine Station auf seiner Straße, auf seinem Weg.

Vielleicht spielt aber diese Frage keine Rolle. Hauptsache, Theater. Der Vorhang muss hoch, auch wenn kein richtiger Vorhang zu sehen ist, das Publikum wartet. Meine Damen und Herren, Sie kennen alle den Begriff Rampensau: Diese Bezeichnung ist alles andere als ehrenrührig. Peter Grohmann ist seit Jahrzehnten vorne an der Rampe, als Satiriker, als Kabarettist, als Autor, als Büchermacher, als Anheizer, als Anstifter und Beweger – und er ist sich für keine Nummer zu schade, wenn’s der Wahrheitsfindung und der Sache dient. Auch dies macht einen guten Komödianten und Aktivisten aus: der Kampf gegen jede Form eigener Eitelkeit. Nur mit dem Mut, sich auch mal selbst zu karikieren, wirst du ein aufrichtiger Aufrührer und Anstifter – mit eigenem Verein.

Wer Peter auf Demos mit seiner roten Baseballmütze und seiner Sammelbüchse begegnet, erlebt einen Gaukler, einen Straßenprediger, einen Marktschreier, einen verdammt wirkungsmächtigen Lautsprecher, der noch bei jedem Bullen mit etwas Restanstand Immunität und Respekt genießt. Das ist die wilde Seite der Straße. Oft aber auch haben seine Auftritte leise, lyrische, unter die Haut gehende Töne, wenn er beispielsweise mit Tucholsky die Faschisten küsst. Und natürlich hat er seinen Georg Herwegh gefressen und ist selbst eine Art „Eiserne Lerche“ geworden – er tiriliert nur weniger lerchenhaft Schwäbisch als eisenhart Sächsisch.

Dieses Sächsisch eines in Breslau geborenen Mannes, der als Kind die Dresdner Bombennächte erlebte, hat im Fall Grohmann den Klang einer bitteren Pointe. Es erinnert uns zurzeit an die völkischen und rassistischen Umtriebe im Osten, aber es signalisiert uns gleichzeitig, dass wir keinen Grund haben, selbstgerecht nach Sachsen oder Thüringen zu schielen.

Vor unserer eigenen Haustür haben sich die Faschisten breit gemacht. In Stuttgart und Umgebung sind sie stark vertreten. Ob im Landtag oder in subversiven Organisationen, die den Rechtsruck organisatorisch und mit Geld unterstützen.

Der sächselnde Wahlschwabe Peter Grohmann hat immer sein Bestes gegeben, und bis heute ist das gut genug, um zu warnen vor den gefährlichen Machenschaften der Rechten und der Ungerechten. Er hat dabei einen Stil und auch eine Strategie gewählt, die sich mit einer Zeile aus einem Lied von Konstantin Wecker beschreiben lässt: Es geht ums Tun, und nichts ums Siegen. Und wenn dieses Tun keinen Spaß mehr macht, weil die subversive Kraft des Humors fehlt, dann hast du verloren.

Wären wir ehrlich, müssen einige von uns zugeben: Wir haben die Bedrohungen von rechts und die Machenschaften des Kapitalismus zu lange unterschätzt oder nicht ernst genommen. Zu wenige haben sich anstiften lassen von den Grohmännern im Kampf gegen die Faschisten. Er selber wusste Bescheid.

Er hat schon vor Beginn der Studentenrevolte den Club Voltaire in der Stuttgarter Altstadt mitbegründet. Dort arbeitete er und diskutierte er zusammen mit Widerstandskämpfern und Antifaschisten wie Fritz Lamm, Eugen Eberle, Willi Hoss. Das sich damals ein neugieriger Schnösel namens Joschka Fischer in dieses Milieu einschlich, ist eine lustige Fußnote in den Kapiteln der gescheiterten Revolten. Dass Peter aus der SPD geflogen ist, war keine Kunst. Wir kennen den Spruch von Wolfgang Neuss: „Wenn du nicht haargenau so denkst wie die CDU, dann fliegst du glatt aus der SPD.“ Und Tucholsy empfahl einst der SPD, sich nicht länger sozialdemokratisch zu nenne, sondern vielleicht „das kleinere Übel“ oder „Hier können Familien Kaffee kochen“.

Selbstverständlich ging es im Leben des Peter Grohmann immer um Humor. Er ist ja auch ein Freund des treffenden Witzes, und so ist er als sozialistisch-kapitalistischer Doppelagent einst „Von der Stasi zum Aldi“ marschiert. So hieß ein Programm. Zuvor schon hatte er als linker Hooligan im Bundesligaspiel zwischen Stuttgart und Dortmund im Neckarstadion eine legendäre Choreografie der Fußballgeschichte mitgestaltet und ein unvergessenes Transparent entrollt: „Borussia grüßt die Kumpel von Hanoi – der VfB grüßt den tapferen Vietcong.“

Aufmüpfigkeit, denke ich, funktioniert auf Dauer niemals ohne Humor. Damit meine ich nicht die Pointe zum Schenkelklopfen für die Bekloppten, wie wir das von Christoph Sonntag kennen. Ich meine den Humor, der aus einer Verkettung von Wahrheit, Schmerz und Zuspitzung entsteht: Die Methode, die mit vermeintlich leichter Komik und inhaltlicher Tiefe das Vertuschte, das Verlogene ans Tageslicht befördert und uns bis zum Lachen verblüfft.

Eine Laudatio ist, wenn ich richtig informiert bin, auch dazu da, die Leistungen eines Menschen aufzuzählen. Beispielsweise, dass Peter das Theaterhaus mitbegründet hat. Das geschah in den achtziger Jahren in einem politisch extrem schwarzen Stuttgarter Klima, in dem die Herrschenden keinen Humor dulden konnten, der Wahrheiten ans Licht beförderte. Deshalb behandelten sie damals die sogenannte alternative Kultur wie ein Produkt der RAF. Über so viel Spießertum im Kessel musste seinerzeit selbst der schwarze Rommel lachen.

Peter hat eine Menge erlebt in seinem Leben. Er kann uns erzählen, wie Rudi Dutschke unerkannt in Stuttgart wohnte, um wieder sprechen zu lernen, nachdem ihn ein Attentäter vom Fahrrad geschossen hatte.

Ich werde Ihnen, liebe Gäste, aber nicht noch mehr aus Peters Leben erzählen, weil es viel vernünftiger ist, seine Biografie zu kaufen. Sie heißt „Alles Lüge außer ich“ – und jedes Mal, wenn ich das Buch erwähne, werde ich am Umsatz beteiligt und darf heimlich in die Sammelbüchse greifen.

Ich will noch ich noch eine persönliche Anmerkungen machen: In den vergangenen Jahren hatte ich doch ziemlich regelmäßig mit Peter zu tun. Und ich kann sagen: Bei all den manchmal etwas schwierigen Bedingungen, in denen wir unter Stuttgarter Personalnot bei Aktionen herumwerkeln müssen, habe ich ihn als zuverlässigen und nervenstarken Aktivisten erlebt. Und er ist unnachgiebig: Nach wie vor verteilt er Montag für Montag seinen BürgerInnenbrief mit Botschaften, die keine Rücksicht auf den gesunden Menschenverstand und damit auf die sogenannte Bürgerlich nehmen – diese Briefe sind wegen ihrer Farbe auch als gelbe Gefahr bekannt.

Peter Grohmannt ist ein Mann mit großen Vergangenheit, die nicht vergangen ist, sondern in die Gegenwart hineinreicht. Und wer die Zusammenhänge von Vergangenem und Gegenwärtigem erkennt, der hat hat immer auch eine Zukunft. Ich tue es heute nicht zum ersten Mal, aber diesen Satz aus seinem Buch muss ich im Auftrag Albert Dulks hier in Untertürkheim zitieren: „Momentan plane ich meine Beerdigung. Langfristig, sehr langfristig. Es soll ein Fest werden. Ich hoffe, Sie sind dabei. Ich auch“ – schreibt Peter Grohmann. Er lebe hoch und lang.

Vielen Dank.

Für den Joe Bauers Flaneursalon am Montag, 25. November, im Theaterhaus gibt es noch Karten: THEATERHAUS – Telefon: 0711/4020720. Zu seinen Gästen gehören u. a.  Vincent Klink, begleitet am Flügel von Patrick Bebelaar, der auch bei der Preisverleihung spielte.

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