BürgerInnenbrief 168

Liebe Bürgerinnen und Bürger,
bei uns geht’s langsam zu wie bei der Bahn:
Zahlensalat! Aber wir machen einfach weiter – wie die Bahn, so, als sei garnix: Nr. 168

Aus Stuttgart-Münster berichtete mir ein junger Vater, daß er in der Vergangenheit im Sommer oft mit seinem Töchterle auf den nahen Spiel-platz ging. Im Winter konnte das Kind da sogar den kleinen Buckel mit dem Schlitten oder auf dem Hosenboden runterrutschen. Daraus wird einstweilen nichts mehr: der Spielplatz wurde wegen Baumaßnahmen von Stuttgart21 jetzt schlossen – vorübergehend, „bis 2016“, wie die Stadt den Eltern mitteilt. Kommentar unnötig.

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In der Stadtmitte dagegen streiten sich Landes-wasservorsorgung und Bahn ums Steuergeld:
Wie hoch kann denn eine Entschädigung sein, wenn ein Grundstück untergraben wird? In dem Fall bot die Bahn dem Zweckverband ca. 50000 EU an, wegen Wertminderung. Eigentlich müßte ja so ein tolles Projekt den Wert eines Grund-stücks unheimlich steigern, aber sei’s drum! Ob-wohl der Vertrag noch nichts rechtsgültig war, begann die Bahn illegal mit dem bergmänni-schen Vortrieb. Das Beispiel zeigt, was solche Unternehmen von Recht und Gesetz halten.

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Zu Zeiten der ersten Ostermärsche gegen Atomtod in den frühen Sechzigern haben uns die Ordnungs-ämter eiskalt Demonstrieren in den Wald geschickt oder aufs Feld, damit wir österlichen Frieden und Verkehr nicht stören. Einer der Stuttgarter Polizei-präsidenten damals verlangte sogar, daß man ihm die Texte der Plakate vorlegte – davon machte er die Geneh-migung einer Demonstration abhängig. Echt wahr und ungelogen (nachzulesen auch in „Alles Lüge. Außer ich“) Inzwischen ist die Demokratie im Lande erwachsener geworden und, wie man an uns sieht, ganz gut drauf. Blockaden oder Demos in Flughäfen und Bahnhöfen gehören zum guten Recht, das wir uns erobert haben. Also ruhig mal wieder in die Bahnhofshalle, wenn’s draußen stürmt und schneit! Dass eine Demo kein Selbstzweck sein sollte, stimmt übrigens nicht: Man muss viel üben. Demonstrieren sollte bereits in der Schule Unterrichtsfach sein. Richtig ist auch, daß wir vielen – auch uns wohlgesonnenen Leuten – am Montag auf den Senkel gehen. Richtig, da-für machen wir’s ja. Man soll uns merken, spüren, riechen,hören, sehen. Klar, man soll durchaus abwägen, ob wir die halbe Stadt ins Elend und absolute Chaos führen, weg von Glühwein und fröhlichen Weihnachten, oder ob es einen Platz gibt, an dem man uns hört, sieht, spürt, wahrnimmt. Eine Debatte darüber darf aber nicht – wie geschehen – mit fragwürdigen und falschen Argumenten geführt werden. So wird etwa behauptet, der Einzelhandel leide an Einbußen, die Straßenbahn mache Miese und an allen Verspätungen in der Welt sind die Gegner des Milliardengrabes schuld. Falsch! Mein Ökoladen in der Passage ist am Montag regelmäßig ausverkauft, in den Kneipen rundum sitzen unsere Leute vorher und nachher und betrinken sich sinnlos, und die 1 500-2 500 Demonstranten (es waren auch oft 5000 oder 10 000 oder viel mehr!) kommen überwiegend „öffentlich“ und füllen die Kassen. Also bitte auf dem Teppich bleiben. Im übrigen finde ich, ist der Marktplatz, wenn die Glühweinseligen wie-der weg sind, kein schlechter Ort. Möglich wär‘ ja, als Zwischenlösung, die Schillerstraße von 17:30 bis 19 hnicht vierspurig, sondern zwei-spurig zu befahren. Mit Gegenverkehr. Zumin-dest für die Busse wäre das doch eine Idee. Aber merke: Wo und wie und wann auch immer wir auftauchen (und das wird noch lange der Fall sein!): Viele Leute würden uns am liebsten in den Wind schießen, die Demos ganz verbie-ten und Angela Merkel zur Königin machen. Un-sere Sorgen interessieren die meisten Men-schen leider kaum. Wir müssen präsent bleiben, als „Demokratierwächterinnen“, als Salz in der Suppe, als kritische Masse. Sauer machen wol-len wir auch jene nicht, die uns zum Teufel wün-schen. Wir wollen, daß sie uns verstehen. Und das ist keine Frage des Standpunkts, des Ortes, sondern der meist besseren Argumente!

Ihnen alles Gute. Wir sehen uns, spätestens am 11.12. im Kunstverein 18 h)

Herzlich grüßen Peter Grohmann/Fritz Mielert

Über Fritz Mielert

Fritz Mielert, Jahrgang 1979, arbeitete von 2013 bis 2017 als Geschäftsführer beim Bürgerprojekt Die AnStifter in Stuttgart. Davor betreute er ab 2011 bei Campact politische Kampagnen im Spektrum zwischen Energiewende und Vorratsdatenspeicherung, engagierte sich in der AG Antragsbearbeitung der Bewegungsstiftung, baute ab 2010 maßgeblich die Parkschützer als eine der wichtigsten Gruppierung im Protest gegen Stuttgart 21 auf und war ab 1996 mehrere Jahre ehrenamtlich bei Greenpeace aktiv.