Für einen von uns
Julius Pischl

Grabrede von Gerd Manthey
für Julius Pischl am 20. September 2012 auf dem Pragfriedhof Stuttgart

Liebe Ursula, liebe Familie
Liebe Freundinnen und Freunde von Julius.

Zen-Meister Geshe Chekawa las in einem Buch
einen Zweizeiler
„Lass Vorteil und Gewinn den anderen,
Nimm Niederlage und Verlust auf Dich“

Wer dieser Losung folgen will, wird diese Lehre üben müssen,
um wirkliche Buddhaschaft zu erlangen

Vor zehn Tagen haben Julius und ich eine Suppe gegessen,
dabei über unsere Sorgen und vom Vorteil und dem Gewinn im Leben gesprochen.

Und kamen beim Reden von dem einen Buch zum anderen Musikstück,
vom Leben zum Sterben.
Und heute stehen wir am Sarg von Julius.

Wir sollten uns öfter mit unserem Sterben beschäftigen,
damit wir unseren Tod nicht überraschend wie einen
nichteingelösten Coupon eines gereinigten Anzugs in der
Manteltasche finden.

Gestern, beim Schreiben dieser Zeilen,
klang Julius Stimme von seiner vorletzten CD

„Jazz-Stories-Life – über Mingus, Duke, Lester Young.“

Dabei wanderten die Gedanke in die Charlottenstrasse in
seinen schönen Buchladen
wo sich die Wörter von Sartre, ein Bildband über Big Bands, Chelbnikows Futuristen, Gedichte von Bukowski, Rilke
und Geschichten von Robert Walser mit anderen zehntausend Raritäten stapelten.

Der Plattenteller drehte sich, der CD-Spieler wurde in Gang gesetzt
Julius, Mittelpunkt in seinem Laden, begeistert und begeisternd als Erzähler von neuen Ideen für sein Label Musikat.

Wieder drei Stunden bei Julius im Laden verbracht,
Gelesen, erfahren, gesprochen über
neueste Romane und Geschichten in der Stadt.

Eine Oase der guten Nachmittags-Treffen mit Schriftsteller-Kollegen, Musikern, Studenten, Lehrern Journalisten, Bürgern
Mit anregenden Diskussionen.

Am Abend aus New York eingeflogen das Lynn Ariale-Trio
und Wolfgang Lackerschmid .

Prosecco, Burgunder, Zigarettenwolken.
Ein Buch-Laden, in dem die Zuhörer im Regal noch Platz suchen mussten und die Hörerschlange sich auf der Straße fortsetzte.
Julius brachte Kunst und Kultur, Literatur und Jazz in die Stadt.
Ein Leben für den Jazz und die Literatur
Das war Julius .
Und dafür haben wir ihm zu danken.

So werden wir ihn in unseren Gedanken behalten.

Julius wurde an einem Sonntag geboren. Ein Sonntagskind war er aber nicht.
Und trotz aller Widrigkeiten, bewahrte er seinen Humor, seine barocke Weltsicht, seine Freude, Kultur zu leben.

Welche Kraft und Freude in ihm wohnte ,brachte er mit seinem Spiel auf der Querflöte zum Ausdruck.
Mit acht Gewinner im Landeswettbewerb.
Immer nah an der Musik.

Gleich drauf wurde er Mitglied der Saulgauer St. Johannes-Chorknaben.
Sein Chorleiter Hugo Birkhofer hatte den Burschen im Blick.

Erinnert ihr euch an Neal, Neal Birnenstil – Die grüne Wolke von Summerhill?,
das wäre für ihn was gewesen – leider war’s – wie bei vielen von uns auch
die autoritäre Erziehung zu Hause. Da gab’s öfter Rauch.

Dafür hatten wir dann unsere Begeisterung für Pop-Musik
Wie wir das bei Lars Saaby Christensen nachlesen können.

Julius hat seinen Mitschülern die neuesten Platten verkauft.

Weg von zu Hause

Umzug nach Stuttgart,
Die Großmutter wohnte in der Forststraße

In Stuttgart erfüllte sich Julius eine Herzensangelegenheit und so wurde er bei Franz Diesch Lehrling
In der Buchhandlung Herder.

Der Weg ist gezeichnet. Literatur
Das Lehrlingssalär war schmal damals.

Folglich wurde er Türsteher –und stand sich die Beine in den Bauch beim AT Musik Podium.
Bei Hans-Peter Haug. Literatur und Musik.

Das Leben der beiden war vielfach verwoben bis zuletzt
Und Hans-Peter Haug hätte wohl gerne so einen Sohn wie
den Julius gehabt.

Und in der katholischen Buchhandlung lernte Julius am 1. Oktober 1975 seine zweite Herzensangelegenheit Ursula kennen und lieben. Er war im dritten Lehrjahr und sie war schon Buchhändlerin.

1976 wechselte Ursula zur Buchhandlung Lindemann.

1981 haben die beiden geheiratet.

In guten Jahren konnte man die beiden auf dem Hauptbahnhof Stuttgart treffen: Zur Basler Fasnacht. Der Laden war geschlossen.

Kommen wir zu seinem Kultur- und Jazz-Leben zurück.
Ein Segen für Stuttgart.
war die Gründung von BuchJulius im Jahre 1983.

Wendelin und Julius – zwei Kulturpfeiler in der Stadt
Und keiner von beiden ist reich geworden.

Aber wir alle sind reicher durch Julius Arbeit und Kreativität geworden.

In seiner Arbeit mit Literatur und mit Musik war er ein Mäzen, für uns, aber auch für die Künstler. Denn er war eines der seltenen Exemplare von Veranstalter und Organisator,
der die Künstler ehrlich bezahlte. Und den Verlust für sich behielt.

Das erste Konzert mit Lorenzo Petrocca -, Helmut Siegle und Sebastian Studnitzki –
Dem Trio Voyage.

Ich erinnere mich an den Tag, als Julius mir den Original-Hund von Susanne Frenkel zeigte, Seiden-Papier-verhüllt:
Edition Musikat war geboren und die 1. CD mit Trio Voyage erschien.

Wenn wir heute zurückdenken,

kommen wir auf schöne und tolle Abende, Veranstaltungen, Treffen:

A Tribute zu Barney Kessel 1995 im Theaterhaus.

Jazz-Edge on Saturday mit Daniel Messina, Uli Möck, Thomas Rottler.

Benefiz-Konzert für die Tsunami-Opfer

Dann die traurige Zeit, als uns immer klarer wurde, von Monat zu Monat,
dass Buchjulius seinen Laden schließen muss.

Wir haben geweint im Mai 2005.

Umzug ins AT-Podium mit Peter Haug.

Julius war krank, ernsthaft krank. Aber nur der Körper ist krank und nicht der Geist und also
Muss was unternommen werden.

Musik, Jazz und Literatur.

So gab es beim Podium Z 53 in Gerlingen neue Aktivitäten
2007 Umzug ins Glemstal, 2009 nach Feuerbach –
Peter Haug schied 2011 aus dem Leben.

Julius geht on Air im Freien Radio Stuttgart mit Jazz-Sendungen und er
liest im Lehen beim Mittagessen vor. Wie bei den Mönchen.

Da schiebt sich ein Bild in den Augenkreis:
S-City-Swing. Eine Band auf der Bühne. Daneben:
Weißes Jackett, roter Schal, Schwarzer Hut – Julius am Regler.

Und zuletzt:

Ein kleiner Weihnachts-Katalog der Edition Musikat aus dem Jahr 2000.

Erinnert ihr euch an Georg Kreislers Everblacks mit Oliver Krämer?

Oder:

„Meister Buk and a little bit of dirtyMusik“ Sonderedition.
Zu Buks Begräbnis?

Heute ist es Deines, Julius.
Fahr wohl
Wir kommen – alle

(Verfasser: Gerd Manthey)

Julius Pischl war ein AnStifter der ersten Tage. Dieser Arbeit des
AnStiftens war er immer verbunden. Für den Friedenspreis machte er nicht
nur Vorschläge zu den Preisträgern, sondern auch gleich zur Begleitmusik
für die Gala. In seinem Laden in der Charlottenstraße haben wir unsere Projekte vorgestellt, alte und neue Freunde wiedergetroffen.
Die Miete war zu hoch, da wollte kein Stadtrat helfen, da half kein Antrag.
Verbeugen wollte er sich nicht.

Der zweite Laden, zwischen Buch und Cafe im tristen Untergrund der
S-Bahn-Haltestelle Rathaus, zwischen den schnellen Geschäften,
in jenem Untergrund, der zunimmt in der Stadt und der Kultur auf den
Magen schlägt, konnte ein weiterer Start kaum gelingen.

Wieder waren wir seine Gäste.
In diesen Wochen schrieb er uns, daß er dabei wäre im Mai 2013,
wenn wie aus den verbrannten Büchern lesen, von den verfolgten Künstlern
weltweit berichten… Er wird dabeisein im nächsten Mai.

Peter Grohmann

Über Peter Grohmann

Peter Grohmann, Jahrgang 1937, Breslauer Lerge, über Dresden auf d' Alb, dann runter nach Stuttgart: Schriftsetzer und Kabarettist, Autor und AnStifter gegen Obrigkeitsstaat und Dummdünkel. Mitgründer: Vom Club Voltaire übers undogmatische Sozialistische Zentrum, vom Theaterhaus zu den AnStiftern. Motto: Unruhe ist die erste Bürgerinnenpflicht. Was ärgert Grohmann? Alle, die den Arsch nicht hochkriegen, aber dauernd meckern. Und an was erfreut er sich? An Lebensfreude und Toleranz

4 Gedanken zu „Für einen von uns: Julius Pischl

  1. Ich bin dem Julius sehr dankbar – ich habe mit ihm on and off über 17 Jahre lang gearbeitet als Musiker und bin noch nie über dem Tisch gehauen worden. Ich wünsche mir es gäbe mehr von der Sorte Menschen, die ihr Leben nach dem Sinn gestalten und nicht nach dem rein Numerischen. Danke Julius.

  2. Lieber Peter Grohmann, Sie haben Julius in Ihrer Rede (für mich eine Schreibe) wunderbar getroffen. Am liebsten würde ich noch ein paar Andekdoten hinzufügen, die ich seit 2000 in seinem Laden erlebt habe. Zum Gedenken an Julius werde ich ein/zwei Bücher aus dem Regal holen und zuerst einmal daran riechen – sie riechen noch immer wie die Buchhandlung Julius. Trauer um ihn! Als katholischer Pfarrer sei hinzugefügt: Er soll die Herrlichkeit Gottes schauen und erleben, mehr als barock!
    Grüße A.S.

  3. Menschen die was bewegen, weil es Ihnen wichtig ist, sterben leider aus. So wie der Jazz immer wieder aufs Neue uns mitreißt, so hatte auch Julius immer wieder neue Ideen den Menschen mitzunehmen. Danke, Julius für das was du für die Stuttgarter Kultur und darüber hinaus getan hast.

    Jörg Becker Ditzingen

  4. Ich habe Julius Pischl in der Charlottenstrasse getroffen, bei seinen Konzerten. Jazz und Literatur war eine Verbindung zwischen uns, auch die AT und Peter Haug und Wendelin . Alles und Alle gehen einmal zu Ende. Es war eine gute Zeit mit euch.

    Gunter

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