Bürgerbrief 73

Liebe Bürgerinnen und Bürger, hiermit erkläre ich den Juchtenkäfer zum Tier des Jahres, dicht gefolgt vom Fledermäusle Südflügeli. Fledermäuse und Juchtenkäfer wissen: Es ist noch längst nicht aller Tage Abend! 9 000 Polizisten scharren mit den Füßen, sie wollen endlich wissen: Sind sie zu Ostern wieder daheim oder noch in den alten Notunterkünften der Zuffenhausener Gast- arbeiter aus den 50er Jahren? So mancher bemützte oder behelmte Kollege, ob nun aus Gotha oder Niederbayern, steht auf unserer Seite, darf’s aber, wie Hildegard oder Sabine, nicht so direkt sagen, sonst kriegt er was auf die (Dienst-)Mütze: Polizisten haben Rede- und Buttonverbot sowie Schweigepflicht und durften zu Weihnachten nicht einmal ein Schokolädle von den lieben Parkschützern annehmen. Schad drum, na hab’ ich’s halt noch reingestopft. S’ hätt’ Haschisch drin sein können, meinte der Einsatzleiter.
Gesten versammelten sich meine Freunde rund um die Staatsoper und ließen die Totenglöckchen für die FDP erklingen. Ein feiner Klang an diesem Dreikönigstag, auch wenn Hildegard Hamm-Brücher und Sabine Leutheusser-Schnarrenberger mit uns sympathisieren, aber nicht können, wie sie wollen.
Wann wohl das Totenglöckchen für S 21 läutet? Wenn der erste Zug im Tunnel stecken bleibt oder dem Neuner das Wasser ausgeht? 900 Milliarden Euro fehlen der EU in diesem Jahr: Die Zentralbank läßt einfach neues Geld drucken, und schon ist der Kittel geflickt. Der Stuttgarter Kostendeckel jedenfalls ist aus Wellpappe, und nenn’ Sie mir einen, der dran glaubt! Da ist ja Christian Wulff glaubwürdiger. Vielleicht legt ja die LB BW was drauf. Die gibt die Knete per Handschlag (nur für die Designer-Klamotten muß der Modemacher in den Palast kommen). Bei allem Liebreiz, den das Präsentenpaar ausstrahlt:Vergessen Sie nich, daß der schöne Christian politisch immer ein Schwarzer war – Asylgesetze, HartzIV, Atom- kraft, Afghanistankrieg, Polizeigesetze, Überwachungsstaat – er war Merkels Mann in guten wie in schlechten Zeiten. Jajaja, ich mein’ ja nur. Und meinen Darlehenswunsch hat die LBBW angelehnt.
Apropos Polizei. Mit 20 Kameras wird rund um den Bahnhof überwacht, vom Nordflügel bis zum Schloßgarten. Erfreulicherweise warnen Schilder die Passanten. Eine derart exzessive Observation soll natürlich die Leute davon abhalten, sich einzumischen und zu demon- strieren. Freunde, das ist rechtswidrig! Dazu kommen Gewahrsamscontainer nicht nur auf dem Wasen (!!!) und das Verbot, den Schloß- gartens zu betreten. Putin läßt grüßen. Wie schön, daß da die Polizei (nur) für Mitglieder der Landespresse-Konferenz kostenlose Hotelbetten zur Verfügung stellt, wenn’s mal losgeht. Eingebetteter Journalismus. Die bissigen Journalisten müssen draußen bleiben – willkommen im Zeltdorf!
Ich wünsche Ihnen allen ein gesundes Neues Jahr! Die bisherigen 72 Bürgerbriefe will ich als Broschüre veröffentlichen – und vorher mal hören, ob Sie Interesse haben. Schreiben Sie peter-grohmann@die-anstifter.de

Über Peter Grohmann

Peter Grohmann, Jahrgang 1937, Breslauer Lerge, über Dresden auf d' Alb, dann runter nach Stuttgart: Schriftsetzer und Kabarettist, Autor und AnStifter gegen Obrigkeitsstaat und Dummdünkel. Mitgründer: Vom Club Voltaire übers undogmatische Sozialistische Zentrum, vom Theaterhaus zu den AnStiftern. Motto: Unruhe ist die erste Bürgerinnenpflicht. Was ärgert Grohmann? Alle, die den Arsch nicht hochkriegen, aber dauernd meckern. Und an was erfreut er sich? An Lebensfreude und Toleranz