Lasst es donnern, laßt es blitzen! In Erinnerung an das Attentats auf Adolf Hitler im Bürgerbräukeller zur Verleihung des Georg-Elser-Preises an Dietrich Wagner

Rede am 8.11.2011 von Peter Grohmann in der Akademie der Bildenden Künste München anläßlich der Verleihung des Georg-Elser-Preises an Dietrich Wagner*.
*Dietrich Wagner erhielt den Preis für sein Bürgerengagement gegen Stuttgart21 als einer der durch den Polizeieinsatz am 30.9.2010 schwerverletzten Gegner – stellevertretend für alle anderen engagierten Menschen. Die nachfolgende Rede ist ein öffentlich gehaltener Beitrag am Abend der Verleihung. Die Laudatio selbst hielt Jutta Dittfurth.
Alles versetzen!
Wer nur den lieben langen Tag ohne Plag, ohne Arbeit vertändelt wer das mag: der gehört nicht zu uns
Wir steh’n des Morgens zeitig auf Hurtig mit der Sonne Lauf Sind wir, eh der Abend naht Nach getaner Tat
Eine muntere, Fürwahr eine fröhliche Schar!
Bei einer Volksbefragung hat sich herausgestellt, dass rund 20 % aller Befragten glauben, dass Tätowierungen intelligenter machen.
Sagt der Gruppenleiter zum Abteilungsdirektor, mit Blick aus dem Fenster: Ich glaube, wir kriegen ein Gewitter.
Sagt der Abteilungsdirektor: Was heißt hier wir? Seit wann gehören Sie denn zur Leitungsebene?
Na gut, sagt der Gruppenleiter, dann kriegen sie eben ihr Gewitter alleine.
Ob der Witz gut oder schlecht ist, spielt hier keine große Rolle. Er ist in jedem Falle falsch, denn die Gewitter der Zukunft werden uns alle treffen – den einen im Park, den zweiten auf einer Bank, den dritten beim Scheißen, wie meine Oma Glimbzsch aus Zittau gerne sagte – ein ordinäres Weib aus der Arbeiterschaft wie der Elser Georg – ich weiß – aber Verwandtschaft, was willste machen?
Doch was braucht so ein richtiges Gewitter? Viel Wasser – und den Sponti-Spruch: „Jetzt gießt’s aus allen Rohren!“
Die Obrigkeit hat gegossen, im vorliegenden Fall. Möglicherweise müßte man Ihnen hier, nahe des Bürgerbräukellers, erläutern, dass dieses Gießen illegal war am 30.9.2010.
Reizgas, Gummiknüppel, Polizeistiefel, Wasserwerfer. So kompakt ist nicht einmal die Volkspolizei. Und wenn, dann funktioniert der Wasserwerfer nicht oder das Verbrauchsdatum für das Reizgas ist abgelaufen oder die Lederstiefel werden naß.

Reizgas, Gummiknüppel, Polizeistiefel, Wasserwerfer. Für Kinder. Ein paar Ältere als ich waren auch dabei, oder Leute wie Dietrich Wagner, nicht eben Straßenkämpfer wie Joschka Fischer seligen Angedenkens.
400 Verletzte am 30.11. allein beim Roten Kreuz behandelt. Die Schwerverletzten, die sich zum Arzt geschleppt haben, nicht gerechnet, auch nicht die, die sich auf dem Bahnhofs-Abort die Wunden geleckt haben. Nicht gerechnet, aber bekannt, auch die, die halbblind zum Haus- oder Augenarzt getorkelt sind, nicht gerechnet auch die vielen, die zu Hause die nassen Klamotten gewechselt haben und sich anschließend die Augen ausgeweint haben über die deutsche Demokratie.
Aber die gute liberale Tante Stuttgarter Zeitung, eine der großen und seriösen Zeitungen im Lande, schreibt heute noch, im November 2011, wider besseres Wissen: Mehr als 100 Verletzte.
Warum eine unabhängige Redaktion so mies tiefstapelt, ist mir schleierhaft. Die Redaktionen lassen, auch wenn sie „mehr als 100“ sagen, 500 Menschen und den großen Teil der Wahrheit, der freien Informationen, im Orkus verschwinden, auf Nimmerwiedersehen, wenn’s die Wutbürgerin, den Wurbürger nicht gäbe.
Die Zeitung hat den besten Ruf im Lande. Sie hat hervorragende Rechtsexperten wie Dr. Stefan Geiger, der Heribert Prantl fast das Wasser reichen könnte. Aber sie hat offenbar auch Kolleginnen und Kollegen, die sich lieber in die Hose scheißen – hören Sie meine Oma Glimbzsch aus Zittau – als sich das Maul verbrennen. Doch Halt und keine Angst – denn keins von beidem passiert. Dieser und jene aus dem Stuttgarter Pressehaus läßt sich eben doch das Maul verbieten, wir wissen es und dürfen es nicht sagen, weshalb ich es sage, und dazu sage: Die Kolleginnen und Kollegen nehmen klaglos hin, wenn sie kastriert werden, obwohl Kastration schmerzhaft sein soll – es sei denn, man wird betäubt. Meine Oma … sie würd’ sagen: Zum Kosten, Herr Major! Wobei die nie Journalistin war und nicht weiß, dass es eben auch in deren Kreis so etwas wie Existenzängste gibt.
Doch zurück zum Blitz, zum Gewitter, wo Lichtblitze von unglaublicher Stärke entstehen. Und doch ist die Gefahr, von einem Blitz getroffen zu werden – jetzt sag’ ich nichts mehr über die Redenarten meiner Oma, wir sind ja hier am vornehmen Orte – also, die Gefahr, beim Blitz getroffen zu werden, ist nur unter falschen Bäumen sehr hoch.
Was die Bäume angeht, gibt es in Stuttgart seit rund 100 Montagsdemonstrationen – die dienstags oder samstags, donnerstags oder sonntags nicht gerechnet – seit rund 100 Montagsdemonstrationen also – eine kluge Frage:
Wessen Bäume?
Und bei Park die Frage: Wessen Park? Und bei Stadt die Frage: Wessen Stadt? Wessen Land? Das ist eine Frage, auf die wir Wutbürger im Gegensatz zu den Schlafmützen in Stadt und Land eine Antwort haben:
Unsere Bäume. Unser Park. Unsere Stadt. Unser Land – und unsere Zukunft. Das ist ein enormer Erkenntnisgewinn für den Schwaben, und so wir wünschten uns, noch viele, viele Menschen in anderen Ländern Regionen könnten daran teilhaben.
Die Schlafmützen im Gegensatz zu den Wutbürgern also. Die gekauften Freunde des Tiefbahnhofs, die Kämpfer für S 21, für ein Milliardengrab, ausgestattet mit einer fetten Medienvielfalt, über der ein großes „Pro 21“ steht, ausgestattet auch mit dem Reizgas der Verleger, die Schlafmützen also, die den Fortschritt verpennen, tun es freiwillig, weil sie vor allem einer Maxime folgen: Rendite, Profit, Verwertung.
An ihrer Seite stehen neben der alten Garde aus den spätbürgerlichen Parteien die Schlafmützen und Versager von heute vor allem aus der Bankenwelt, aus den Parallellwelten der Finanzwirtschaft, dann die die alten Erben einer stehen geblieben Großtechnologie, die Dinosaurier des alten Denkens, die Daimlers, Porsches, Audis und wie sie alle heißen, die – hier darf er’s so sagen, der Hofnarr Grohmann allemal – die noch nie eine Eisenbahn von innen gesehen haben.
Der Stuttgarter, wie der Schwabe an sich, der Württemberger, gilt gemeinhin als ein wenig verschlafen, die Wut besiegt da nur selten den allgemeinen Wohlstand. Von Ausnahmen abgesehen. Denn Stuttgart hat sich zum Widerstandnest gemausert, und zu den 10 000, die jede Woche auf der Straße sind, kommen noch einmal 10 000, die sich zu Hause vorglühen bei der Bettlektüre der deutschen Presse für den Widerstand von morgen: Wenn’s um die Bäume geht, die Lunge der armen Leute und Herz und Seele der Stadt, sie glühen sich vor, wenn ihnen die schmelzenden Gletscher einfallen, die verpestete Luft in den Elendsquartieren, die verdurstenden und verhungernden Menschen, die für den Fortschritt des weißen Mannes unfruchtbar gemachten Ebenen der neuen Zeit, die abgeholzten Wälder, die leergefischten Meere.
Wutbürger also, eine Erfindung des „Spiegels“, dankbar aufgegriffen von den Polemikern der SZ. Diskriminierend gemeint – herablassend, ehrabschneidend. Denn nicht mehr das „Spiegel-Thema“ ist am Montag das Thema in Stuttgart, in der Region, sondern die Sauereien, die Manipulationen der Machthabenden, der Eliten. Sie kommen nach und nach ans Tageslicht. Nicht alle, schön wär’s! Und nein, nicht weil Kretschmann oder der Herr Schmid jetzt oben sind und oben bleiben sollen, besseres kommt selten nach, sondern weil es hunderte und hunderte und hunderte von Menschen in der Stadt, in der Region gibt, die wach geworden sind, aufmerksam, die sich neues Wissen aneignen, sich neue Informationswege und – Quellen erschließen, kritische Menschen, skeptisch, selbstbewußt, und natürlich auch mit den Fehlern fast aller Menschen. Sie haben für sich und durchaus überraschend festgestellt:
Ja, Herrgottsnei-aber-au: Mir send das Volk.
Das hatten sie vergessen, und es ist die wichtigste Entdeckung seit der Erfindung der Buchdruckerkunst in Rheinland-Pfalz.
Sie haben leichten Fußes die Bannmeilen der Herrschenden gekreuzt. Beim Sturm auf den Stuttgarter Landtag haben sie sich zugerufen:
„Vorsicht, Karle, da hante send Stiefmütterle, tappt net nei!“
Berufsdemonstranten und Demagogen, sagten sinngemäß die Schuster und Mappus und Drexler, Besserwisser und linkes Gesindel, Gesetzesbrecher, Asoziale, selbsternannte Demokratie-Wächter, Rentner, mutmaßte die Rentnerpatei SPD, alle wiedervereinigt in den Rentner-Demos, die für die Privilegien der oberen 10 000 kämpfen, fürs eigene Interesse in Halbhöhenlage. Bildungsbürgertum. Diesmal als Schimpfwort.
Ich lebe seit mehr als 50 Jahren in Stuttgart. Es ist eine sympathische Stadt, voller Kraft und voller Leben. Heimat für Menschen aus aller Herren Länder. Es ist auch meine Stadt. Eine Stadt voller Charme, halbwegs demokratisch, was erwartet man schon groß!, mit liebenswerten Winkeln und Plätzen und Menschen, umgeben von Wald und Reben und Geld.
Aber die Stadt ist alt geworden. Älter als ihre Gestapozentrale in der Dorotheenstraße, die die Schlafmützen der schwarz-gelb-grün-roten Rathaus- Koalition abreißen wollten wie eine alte Markthalle. Was die Wutbürger, nebenbei bemerkt verhindert haben: Den Abriss der alten Markthalle, den Abriß der alten Gestapozentrale … Die Stadt ist alt geworden. Älter als das Kaufhaus Schocken von Erich Moses Mendelsohn, das sie den Baggern zum Fraß vorgeworfen haben. Sie haben das Kronprinzenpalais abgerissen, das Lusthaus aus der Renaissance verkommen lassen, den Bonatz-Kopfbahnhof amputiert und der Geschichte der Stadt das Gesicht zerschnitten.
Wut und Zorn und Ärger sind da noch viel zu wenig in der Stadt!
Den Schiller hat man einstens aus der Stadt gejagt, Hegels Geburtshaus sollte einem Kaufhaus weichen, Freiligrath und Herwegh könnten also Automarken sein – dem Zetzsche ist alles zuzutrauen.
Die 300 Bäume, die die Bahn und die Stadt und die Schlafmützen fällen wollen, sie sind die Lunge der Stadt. An den Rändern des Parks wohnen jene, die keine Zeitung lesen: aus Kostengründen. Illegale. Sozialhilfe-empfänger. Alte, Arbeitslose, Arme, Ausländer. Menschen ohne Lobby.
Wo sie wohnen, ist die Feinstaub-Belastung die höchste in Europa. „Feinstaub“ – was für ein vornehmes Wort, niedlich, wie die Prise Feinstaub zum Champagner.
Die Bäume sind Bäume für die Zukunft. Sie sind alt so alt wie Geißler, Schuster, Mappus und Merkel zusammen. Nicht der Rede wert für die.
Wutbürger? Nein, Menschen voller Zorn, voller Energie, voller Lust auf Neues in unserem Land. Geistreich, witzig, mit 1000 Alternativen für eine bessere Welt. Die meisten wissen:
Die Karten von 21 sind gezinkt beim 17 + 4 bei der Volksbefragung.
Deshalb grüß’ ich heut’ von den Aufsässigen aus Stuttgart, die nicht mehr mitpokern wollen, die ihre Verantwortung entdeckt haben, ich grüß’ von den Alten und den Jungen vorn dran, die sich in der Stadt zwischen Wald und Reben und Hängen und Würgen nicht länger das Maul verbieten lassen, von Menschen, die ihre Städte zurückerobern, überall in der Welt dieser Tage.
Ich grüß’ Friedrich Schiller, der aus Stuttgart floh und seine Lieder anderswo sang, aber ich sag’ Euch: Wir bleiben standhaft. Die 40 Polizeicontainer für die Gefangenen von morgen, die auf dem Cannstatter Wasen aufgebaut werden sollen, können uns nicht schrecken.
Ich grüß’ von Georg Friedrich Herwegh, der 1839 von Stuttgart floh, weil er einen königlich-württembergischen Offizier beleidigt hatte.
Beleidigen wir die königlich württembergischen Offiziere von heute! Und die bayrischen auch gleich mit, alle Offiziere, alle Obrigkeiten.
Was bleibt? Unser Gewitter. Unsere Blitze. Unser Donner. Alles muss man selber machen. Eben. Georg Elser war schneller als die kritische Intelligenz.
Laßt es donnern und blitzen! Zivilcourage und Eigensinn!
(Es gilt das gesprochene Wort)

Über Peter Grohmann

Peter Grohmann, Jahrgang 1937, Breslauer Lerge, über Dresden auf d' Alb, dann runter nach Stuttgart: Schriftsetzer und Kabarettist, Autor und AnStifter gegen Obrigkeitsstaat und Dummdünkel. Mitgründer: Vom Club Voltaire übers undogmatische Sozialistische Zentrum, vom Theaterhaus zu den AnStiftern. Motto: Unruhe ist die erste Bürgerinnenpflicht. Was ärgert Grohmann? Alle, die den Arsch nicht hochkriegen, aber dauernd meckern. Und an was erfreut er sich? An Lebensfreude und Toleranz

2 Gedanken zu „Lasst es donnern, laßt es blitzen! In Erinnerung an das Attentats auf Adolf Hitler im Bürgerbräukeller zur Verleihung des Georg-Elser-Preises an Dietrich Wagner

  1. Hallo,

    dass der Polizeieinsatz indiskutabel brutal war, dürfte allen, die es nicht normal finden, dass geplante Gewalt im Namen des Gesetzes ausbricht, verständlich sein. Allerdings sehe ich das mit den Bäumen anders.
    Zitat: „Die 300 Bäume, die die Bahn und die Stadt und die Schlafmützen fällen wollen, sie sind die Lunge der Stadt.“
    – Aber sollen die nicht durch Wiederbepflanzung ersetzt werden? Gerade weil die Bäume so alt sind sollten sie meiner Meinung nach erneuert werden, bevor irgendwas passiert. Klar geht das Fällen schnell (siehe da) und das Nachwachsen nimmt viel Zeit in Anspruch. Aber solange es eine stetiges Sowohl/Als-auch ist, beurteile ich das nicht so kritisch wie sie.

Kommentare sind geschlossen.