Reiches Erbe aus der Nazizeit

Peter Grohmann zu einem Artikel von Thomas Borgmann in der StZ am 15.5.09 (als Leserbrief)

„Das Erbe aus der Nazizeit“ ist ein gemeinsames, ein gesellschaftliches Erbe – und es ist vor allem nicht mit einem „eigenen großen Kapitel“ in einem Stadtmuseum abzuhandeln. Dazu ist das Stadtmuseum einfach viel zu klein. Thomas Borgmann unterstellt, es hätte ja sechzig Jahre lang niemand ein Dokumentationszentrum gefordert – um Himmels Willen, warum kommt denn da die demokratische Öffentlichkeit nicht drauf, samt Medienmachern, Rathaus, Land, Archivaren? Die bringen’s ja nicht einmal fertig , eine ordentliche Gedenktafel am Folterort anzubringen, – nein, sie müssen das Gedenken innen verstecken! Wissen Sie eigentlich, wie langwierig der Kampf war, bis eine mehr als bescheidene Inschrift am Landgericht ans Fallbeil und die rund 500 geköpften Menschen erinnerte? Wissen Sie nicht mehr, dass sich die Stadtobersten samt Gemeinderat jahrelang weigerten, die Stadtgeschichte „1933 – 1945“ zu dokumentieren und das Eugen Eberle über Jahre diese vergessene Geschichte einklagte? Welche Auseinandersetzungen, bis endlich, endlich ein Mahnmal für die Opfer des Faschismus auf dem Karlsplatz entstand. Ja, mit Stauffenberg tut sich die gute Gesellschaft allemal leichter als mit Georg Elser. Wissen Sie nicht, dass wir es sind, diese kleinen Initiativen, die auch heute noch, 2009, neue und weitere Namen von Menschen entdecken, die zwischen 1933-1945 ermordert wurden? Die Beispiele ließen sich fortsetzen! Mag sein, dass die Forderung nach einem DenkOrt, der mehr ist als ein Platz für verwelkte Kränze (wie das Mahnmal) spät kommt. Nun aber haben Die AnStifter zum Komplex der Erinnerungsarbeit ein Konzept vorgelegt, das Geschichte und Gegenwart wie eine Brücke verbindet, das von den Untaten von heute ausgeht und sie thematisiert – Kriege, Vertreibung, ethnische Säuberungen, Flucht, Folter, Hunger, Terror – und auf diesem Wege auch unsere eigene, nahe Geschichte entdecken lässt. So eine Denk- und „Forschungsarbeit“, die im eigenen Leben beginnt, wird auch Jugendliche motivieren, sich mit Politik und Geschichte zu beschäftigen. Wenn man so einen DenkOrt für richtig und notwendig hält, kann man ihn nicht in einem Nebengemach des Stadtmuseums ansiedeln. Und wenn man so einen Ort für sinnvoll hält, kann’s bei etwas gutem Willen nicht zu spät sein, die Planvorgaben entsprechend auszurichten. Merke: wer
40 000 – 50 000 qm Fläche kommerziell nutzen will, dem fällt kein Euro aus der Krone, wenn er 10 % der Fläche dem „Erbe der Nazizeit“ und dem Nachdenken über die Gegenwart bereitstellt. Es stünde Stuttgart, der reichen Stadt, gut an, nicht wie all die Jahrzehnte den Verhinderer zu geben, den Erbsenzähler, sondern sich ein Beispiel an München, Leipzig oder Köln zu nehmen: Hier haben alle Fraktionen das Erbe der Geschichte als ihres begriffen.

Peter Grohmann, Die AnStifter
Dazu: „Tatort Dorotheenstraße“, 72 hoch interessante Seiten zur Geschichte der früheren Stuttgarter Gestapo-Zentrale: Das Haus soll abgerissen werden. 12 Initiativen wehren sich dagegen und fordern an historischer Stelle einen „DenkOrt“.
ISBN 978-3-927340-86-2, Stuttgart 2009
Broschiert; 72 Seiten mit vielen Fotos, im Buchhandel oder bei uns hier

Über Peter Grohmann

Peter Grohmann, Jahrgang 1937, Breslauer Lerge, über Dresden auf d' Alb, dann runter nach Stuttgart: Schriftsetzer und Kabarettist, Autor und AnStifter gegen Obrigkeitsstaat und Dummdünkel. Mitgründer: Vom Club Voltaire übers undogmatische Sozialistische Zentrum, vom Theaterhaus zu den AnStiftern. Motto: Unruhe ist die erste Bürgerinnenpflicht. Was ärgert Grohmann? Alle, die den Arsch nicht hochkriegen, aber dauernd meckern. Und an was erfreut er sich? An Lebensfreude und Toleranz

2 Gedanken zu „Reiches Erbe aus der Nazizeit

  1. Wunderbar! Das ist der Lesebrief, den ich zu gerne geschrieben hätte. Leider waren mir des trefflichen Grohmanns schlagende Argumente nicht zur Hand.

  2. Lieber Peter,

    so weit ich informiert bin, tun sich die Münchner sehr schwer mit der Verlegung von Stolpersteinen, sind also als Vorbild nur bedingt geeignet.

    Gruß Robert

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