Imperiale Lebensweise

Hanspeter Guggenbühl / 17. Feb 2018 – Die «imperiale Lebensweise» beutet nicht nur die Natur aus. Sie vergrössert auch die soziale Kluft zwischen Norden und Süden. Die wachsende Wirtschaft lässt das Kapital der Natur schrumpfen. Das wissen wir seit 1972, als Donella und Denis Meadows ihr Buch «Die Grenzen des Wachstums» veröffentlichten. Heute beansprucht die Menschheit bereits anderthalb Mal so viele natürliche Ressourcen, wie unser Planet regenerieren kann. Das zeigt die globale Naturbuchhaltung, die der Schweizer Mathis Wackernagel mit seinem «Global Footprint Network» erstellte und jährlich aktualisiert. Dabei vergleicht er den ökologischen Fussabdruck mit der natürlichen Biokapazität der Erde, beides gemessen in fruchtbaren Hektaren Fläche pro Durchschnitts-Person und Jahr. Soviel zur Menge des globalen Naturverbrauchs.

Naturtransfer: Norden zehrt vom Süden
: Nun zur Verteilung. An der Ausbeutung des schrumpfenden Naturkapitals partizipiert die Welt in unterschiedlichem Mass: Am grössten ist der ökologische Fussabdruck in Nordamerika, gefolgt von Europa, am kleinsten in Afrika. So beansprucht eine Person in den USA die Natur im Schnitt zehnmal stärker als eine Person in der rohstoffreichen Republik Kongo. Noch grösser ist die Differenz zwischen Personen, die in den USA oder Europa zur Oberschicht gehören, und armen Leuten in Asien und Afrika.

Dazu kommt: Nicht alle Staaten verfügen pro Kopf der Bevölkerung über gleich viel Biokapazität. Im dicht besiedelten Europa oder in China ist der ökologische Fussabdruck der dort lebenden Bevölkerung doppelt so hoch wie die natürliche Kapazität ihres Territoriums. Die ökologischen Schuldnerstaaten im Norden übernutzen damit nicht nur ihre eigene Natur auf Kosten von nachfolgenden Generationen. Sie plündern zusätzlich die Natur im Süden (von der Rohstoffausbeutung bis zur Landaneignung) oder missbrauchen ihn als Halden und Senken für ihre Abfälle (von Elektroschrott bis zum CO2). Daraus entsteht ein ökologischer Transfer von Süden nach Norden.

Wirtschaftliches Gefälle oder: Wenn alle so lebten wie wir

Die Ausbeutung des Südens durch den Norden beschränkt sich nicht auf den Naturverbrauch. Noch ausgeprägter ist das wirtschaftliche Gefälle: Das Bruttoinlandprodukt pro Kopf der Bevölkerung ist in den westlichen Industriestaaten vier bis zehn Mal so hoch wie im Weltdurchschnitt und über 50 Mal so hoch wie in den ärmsten Ländern Afrikas und Asiens.

Oder ein anderer Vergleich: Wenn alle 2,4 Milliarden Inderinnen und Chinesen so wirtschaften wollten, wie die 0,8 Milliarden Europäer und US-Amerikanerinnen es tun, so müssten sie ihr BIP pro Kopf im Schnitt um den Faktor acht erhöhen. Wie stark dieses – nach der Maxime der Gleichberechtigung legitime – Wachstum unseren Planeten zusätzlich belasten würde, mögen sich die Lesenden selber ausmalen.

Soweit die alte Geschichte, wie sie in mehreren wachstumskritischen Büchern nachzulesen ist. Neu erzählt und erweitert wird sie vom Politologen Ulrich Brand und vom Ökonomen Markus Wissen unter dem Begriff «Imperiale Lebensweise»; ihr gleichnamiges Buch im Oekom-Verlag erschienen mit dem Untertitel «Zur Ausbeutung von Mensch und Natur im globalen Kapitalismus».

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Ulrich Brand, Markus Wissen: «Imperiale Lebensweise. Zur Ausbeutung von Mensch und Natur in Zeiten des globalen Kapitalismus», S. 224, Oekom-Verlag, 2017, CHF 18.00

Über Peter Grohmann

Peter Grohmann, Jahrgang 1937, Breslauer Lerge, über Dresden auf d' Alb, dann runter nach Stuttgart: Schriftsetzer und Kabarettist, Autor und AnStifter gegen Obrigkeitsstaat und Dummdünkel. Mitgründer: Vom Club Voltaire übers undogmatische Sozialistische Zentrum, vom Theaterhaus zu den AnStiftern. Motto: Unruhe ist die erste Bürgerinnenpflicht. Was ärgert Grohmann? Alle, die den Arsch nicht hochkriegen, aber dauernd meckern. Und an was erfreut er sich? An Lebensfreude und Toleranz