Stuttgarter Friedenspreis 2014
Dankesworte von Edward Snowden

Dankesrede von Edward Snowden, die am 23. November 2014 per Liveschalte ins Stuttgarter Theaterhaus übertragen wurde (transkribiert und übersetzt aus diesem Video, English version):

„Als Erstes möchte ich mich bedanken – ich danke Ihnen sehr. Es ist eine unglaubliche Ehre, für etwas ausgezeichnet zu werden, was ich für eines jeden Pflicht halte. Ihre Auszeichnung zeigt mir, wie viel Kraft in unserer Gesellschaft ist.

Als Bürger müssen wir uns darauf verlassen, dass unsere Regierung uns mit wahrheitsgemäßen Informationen über ihre Politik und ihre Aktivitäten versorgt. Damit meine ich nicht, dass wir die Namen jedes einzelnen Terrorverdächtigen kennen müssen oder jede Polizeiuntersuchung, die stattfindet. Aber wir müssen wenigstens die groben Züge der politischen Strategien verstehen, die unsere Regierung verfolgt.

Die Macht, die sie planen, und die Art wie diese genutzt werden, sowohl in unserem Namen des Landes, als auch der Nation und der Gesellschaft, und gegen uns in unseren Gemeinden mit den Leuten, die wir lieben und mit Leuten, die uns schaden.

Während ich in der National Security Agency gearbeitet habe und in der Central Intelligence Agency, habe ich viele Menschen erlebt, die versucht haben, unter schwierigen Umständen gute Arbeit zu machen. Wirklich gefährlich aber ist, dass sich zwar alle Gedanken darüber gemacht haben, in welche Richtung diese Programme sich entwickelten, aber niemand bereit war, aufzustehen und seine Bedenken zu äußern. Weil sie Angst vor den Folgen haben. Sie haben Angst, dass die Regierung und die meisten höheren Beamten sich rächen, ihr Leben zerstören, ihre Karriere ruinieren, sie ins Gefängnis bringen würden.

Wir haben diese Art der Vergeltung ja immer wieder in den USA erlebt. Angefangen mit Thomas Drake, der den Mut hatte, den Überwachungsmissbrauch in den Vereinigten Staaten aufzudecken. Er wurde rausgeschmissen. Er wurde als Spion angeklagt, weil er angeblich Journalisten Informationen zur Verfügung gestellt hat. So als hätte er Informationen über Spione weitergegeben, die Terrorgruppen im Ausland infiltrieren. Sie haben ihm lebenslanges Gefängnis angedroht, gedroht, dass er seine Familie jahrzehntelang nicht sehen würde – und er hat es trotzdem gemacht. Obwohl er wusste, dass die Vergeltung kommen würde.

Letztlich haben die Gerichte die Anklagen aber fallen gelassen, und der ganze Fall ist in sich zusammengebrochen, weil der Regierung klargeworden ist, dass sie selbst im Unrecht war.

Bei anderen wurde anders entschieden. Beispielsweise im Fall von Chelsea Manning, des Gefreiten, der Vorfälle gesehen hat, bei denen es Militäreinheiten mit kriegerischen Mitteln auf Journalisten abgesehen hatten. Er hat deren Beteiligung daran öffentlich gemacht.

Nun, wen man auch immer dafür verantwortlich hält, was auch immer passiert ist. Wir haben immer wieder erlebt, dass nicht die höheren Beamten, die die Verantwortung für unlautere Strategien hatten, bestraft wurden, sondern die Leute auf den unteren Ebenen. Wie gesagt, jede Handlung, jedes Statement variiert. Und diese Programme wurde nicht korrigiert.

Ich habe all das mit meinen Leuten diskutiert, und wir alle waren sehr besorgt. Wir haben uns gefragt, was man tun kann. Was wir tun können. Die Antwort war, dass egal wie schlimm die Verstöße sind, egal ob es ein Angriff auf unsere gesamte Verfassungsordnung ist, egal ob die Gesetze sowohl in den Vereinigten Staaten als auch im größeren Zusammenhang des internationalen Rechts gebrochen wurden.

Diese Leute haben mir gesagt, dass das nicht unser Problem ist. Sie haben mich gewarnt, dass das Risiko für mich persönlich zu groß sein würde, haben gesagt, ich solle an meine Familie denken, an meinen Job. Und ich solle darüber nachdenken, was passieren würde, wenn ich die nächsten 30 Jahre im Gefängnis verbringen müsste. Im Nachhinein war das eine überraschend zutreffende Prophezeiung.

Denn als ich diese Informationen der amerikanischen Öffentlichkeit zurückgegeben habe, also jenen Menschen, denen diese Informationen gehören und denen sie ungerechtfertigterweise vorenthalten wurden, da hat die Regierung mich tatsächlich angeklagt, als wäre ich ein Spion, und genau diese 30 Jahre Gefängnis angedroht.

Aber auch wenn ich nicht nach Hause kann und selbst wenn ich immer noch im Ausland bin, mache ich Tag für Tag weiter, um das Bewusstsein für diesen Machtmissbrauch wachzuhalten. Ich werde weiter aufdecken, wie unser Recht gebrochen wird, wie sich die Konzerne und die Regierungen zusammengetan haben, um die Bedeutung unserer Grundrechte und die Grenzen unserer Freiheiten zu verändern, um uns vorzuschreiben, was wir tun dürfen und was nicht. Was wir überhaupt noch tun können, ohne überwacht zu werden, ohne durchleuchtet zu werden, ohne, dass Daten aus unserem Privatleben gespeichert, analysiert und weitergegeben werden. Ohne, dass wir davon überhaupt erfahren.

Ich bereue diese Entscheidung ganz und gar nicht, denn es geht hier um Informationen, die wir kennen müssen. Als Folge beobachten wir außergewöhnliche Veränderungen bei Regierungen, Ländern und eine Stimmungsänderung in der Öffentlichkeit.
Wir erleben, wie die Leute sich mit diesen Überwachungsprogramme auseinandersetzen. Wir diskutieren wie die Freiheit Bücher online zu lesen und sich zu entscheiden, was man einkauft, unsere Denkweise verändert. Es verändert unsere Wertschätzung für Freiheit und Freizügigkeit.

Es ist klargeworden, dass Firmen, Konzerne und Regierungen die Bewegungen unserer Handys verfolgen, dass sie speichern, wen wir wie häufig anrufen, und dass Schlüsse daraus gezogen werden können, welcher politischen Partei wir angehören, wer unsere Bekannte sind, wen wir lieben. Sind das Familienmitglieder oder sind es verdächtige Radikale. Wenn ein Einzelner zum politischen Extremist gemacht wird, oder von der US-Regierung radikalisiert wurde, nutzt sie Programme, die nicht durch Gesetze legitimiert sind und vollkommen geheim ablaufen. Die es beispielsweise erlauben, persönlichen Pornopräferenzen auszuspionieren, nur damit man sie und ihre unliebsamen politischen Überzeugungen aufgrund ihrer privaten Beschäftigungen diskreditieren kann.

Wir haben das Recht, die Regierung zu fragen: Ist das wirklich nötig, und steht das noch in einem angemessen Verhältnis zur Bedrohung, der wir gegenüberstehen? Es gibt Zeiten, es gibt immer außergewöhnliche Momente in der Geschichte, in denen wir entscheiden, dass der Grad der Privatsphäre des einzelnen Bürgers und seine Wahlfreiheit sich verändern dürfen. Wir geben zum Beispiel unsere Einwilligung, unser Gepäck an Flughäfen zu durchsuchen wird.

In Zeiten totaler Kriege, Zeiten der Weltkriege erleben wir immer eine Zunahme von Überwachung und Überprüfung der eigenen Bürger, aber wir gehen davon aus, dass es grundlegende Einschränkungen der Grundrechte und Menschenrechte sind. Und dass diese Reaktionen auf eine begrenzte Zeitspanne beschränkt sind. Sie werden, zumindest glaubt es die Bevölkerung, dass sie als absolut existenziell für das Überleben der Nation dargestellt werden. Der Terrorismus ist keine solche Bedrohung.

Terrorismus ist eine ganz reale Gefahr, aber eine Gefahr, für die unsere Strafverfolgungsbehörden, die Gesetzeshüter, zuständig sind. Terrorismus existiert seit Hunderten von Jahren, gab es lange bevor irgendjemand jemals etwas von Osama bin Laden, den Taliban oder al-Qaida gehört hatte. Und doch, obwohl diese Täter existieren, obwohl wir die schrecklichen Verbrechen in Syrien und im Irak immer und immer wieder sehen, halten unsere Gesellschaftsordnungen stand und widerstehen dem Terror. Aber gerade nicht, weil die Überwachung so stark ist, sondern weil unsere Werte so stark sind.

Und aus dieser inneren Stärke heraus entsteht die Verpflichtung, aufzustehen und zusammenzuarbeiten, jeden Tag wieder, um eine bessere Welt aufzubauen und uns nicht einschüchtern zu lassen von weit entfernten Drohungen, von Menschen, die uns Leid wünschen und uns verletzen wollen.

Wir haben verstanden, dass wir unsere Gesellschaftsordnung niederbrennen, wenn wir unsere Rechte einschränken und die Werte aufgeben, die uns stark gemacht haben. Dann haben wir damit nicht die Nation gerettet. Dann haben wir gegen sie gehandelt, wir haben sie zerstört.

Wir können uns beschützen und das Leben um uns herum, wir können die Zukunft schützen, nicht nur für uns, sondern auch für diejenigen, die nach uns kommen, indem wir für unsere Rechte eintreten. Dabei gehören diese Rechte nicht mir, sie gehören auch nicht Ihnen, sie gehören uns allen, sie gehören der Welt. Sie gehören zum menschlichen Körper.

Und wenn wir in einer liberalen Gesellschaft leben wollen, müssen wir für liberale Werte eintreten. Dann heißt das nicht, uns Leuten entgegenzustellen, die voller Angst sind und weit weg sind von uns. Leuten, die nicht aussehen wie wir, Leute, die nicht so sprechen wie wir.

Sondern es heißt, diese Rechte zu verteidigen, diese Werte, auch gegen die höchsten Staatsbeamten in unserer Regierung, und es heißt, zu fordern, dass, wenn sie unsere Gesetze ändern, wenn sie uns geheime Gerichtsverfahren aufzwingen und geheime Programme, die unseren Werten konträr entgegenstehen – dass wir sie irgendwann öffentlich zur Verantwortung ziehen werden für ihre Entscheidungen.

Anders können wir nicht existieren. Nicht nur als Gesellschaft, sondern als Gemeinschaft. Das Fundament von Regierung und Demokratie sind wir. Und dies erfordert nicht nur ein Händchenhalten, wenn es nichts zu verlieren gibt, dies erfordert Haltung, dies erfordert Anstifter, und es erfordert Aktivisten rund um die Welt, die aufstehen und sagen, hier läuft etwas falsch.

Und ich werde nicht nur einfach sagen, dass es falsch ist, sondern werde auch darüber einen Zeitungsartikel schreiben. Ich werde diesen Verhältnissen die Stirn bieten und sagen, dass ich alles tun werde, was ich tun kann – damit meine Kinder die gleichen Rechte genießen kann, die ich selbst geerbt habe, und die für meine Kinder da sein werden und für die Gesellschaft, zu der sie gehören.

Ich danken Ihnen, ich danke Ihnen sehr.“

Über Fritz Mielert

Fritz Mielert, Jahrgang 1979, arbeitete von 2013 bis 2017 als Geschäftsführer beim Bürgerprojekt Die AnStifter in Stuttgart. Davor betreute er ab 2011 bei Campact politische Kampagnen im Spektrum zwischen Energiewende und Vorratsdatenspeicherung, engagierte sich in der AG Antragsbearbeitung der Bewegungsstiftung, baute ab 2010 maßgeblich die Parkschützer als eine der wichtigsten Gruppierung im Protest gegen Stuttgart 21 auf und war ab 1996 mehrere Jahre ehrenamtlich bei Greenpeace aktiv.

5 Gedanken zu „Stuttgarter Friedenspreis 2014: Dankesworte von Edward Snowden

  1. Super!
    Danke für die Übersetzung, so kann man die Rede sehr weit streuen …
    Und somit noch viele Menschen anstiften anderen anzustiften udn AnStifter_In zu werden :-)

  2. Vielen Dank für die Bereitstelltung und die Übersetzung!

    Ich habe mir den Dokumentarfilm „Cititzenfour“ angesehen und er hat mich sehr berührt. Dieser Film ist meiner Meinung nach auch ein „Muss“ um das Engagement von Edward Snowden zu würdigen.

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