BürgerInnenbrief 171

Liebe Bürgerinnen und Bürger,

ach, war das schön am letzten Montag: Mit welcher Ruhe und Gelassenheit die Menschen auf die Straße strömten, ohne jede Aggression, ohne Angst vor Hoppereitern, kalten Wassern, oder heimlichen Fotografen. Wessen Stadt? Unsere Stadt! Wessen Straßen? Unsere Straßen! Mich regt übrigens häufig bei den Demos die Fotografiererei der Polizei auf,ob nun offen oder verdeckt, uniformiert oder zivil. So lange die Menschen ihren Protest couragiert und friedlich äußern, besteht kein Anlass zur Porträtfotografie. Natürlich wissen wir, dass die Staatssicherheit durch uns in Gefahr ist – mißbrauchte Kinder, die Wasserwerfer stürmen wie am 30.9. oder der hochgerüsteten Polizei Pappschildle, entgegenhalten und auf dem Boden des Grundgesetzes herumtrampeln – das muss sich unser Vaterland nicht bieten lassen. Pech, wenn es da 500 Verletzte gibt – auf Seiten jener, die eine angemeldete Demonstration durchführen. Dass Mappus und seine Bande je wirklich zur Rechenschaft gezogen werden, glaubt nur ein Blinder mit dem Krückstock. Nicht nur mit dem ersten Untersuchungsausschuss zum Schwar- zen Donnerstag hat man die Öffentlichkeit und die Betroffenen nach Strich und Faden verscheissert – Stress-Test und Volksabstimmung, auf die wir uns ja eingelassen hatten, waren vom gleichen Kaliber! Will sagen: Dies alles schafft nicht unbedingt Vertrauen in die handelnden Personen und Institutionen. Hinzu kommt ja, dass die Großkotze von der EnBW und der BW-Bank – ihre Vertreter und Aufsichtsräte sind meist glühende Verfechter aus der Fraktion der Bahnvernichter – den Staat, die Allgemeinheit immer wieder mal gehörig über den Tisch ziehen: Steuerbetrüger. Das klingt ja übrigens wie ein Kavaliersdelikt und wird in der Öffentlichkeit auch genauso behandelt. Wer die Straße für 30 Minuten blockiert, kann nur ein Verbrecher sein – wer die Allgemeinheit willentlich und wissentlich betrügt, mit dem feiert die Mischpoke Weihnachten und Ostern auf einem Haufen: Man zwinkert sich zu: Das war doch mal wieder ein gutes Jahr für krumme Geschäfte! Auf ein Neues!

In den vier Jahren ihres Bestehens hat die Bürgerbewegung – die andere Seite unseres Landes – ein reife Leistung hingelegt, was Courage und Demokratie angeht. Da flogen keine Steine, da brannten keine Polizeiautos, da wurden keinem ins Gesicht gespuckt. Na, zugegeben, gelegentlich brannten mal bei jemanden die Sicherungen durch, es wurd‘ gepufft in der Aufregung der vier Jahre, da fielen auch mal dumme Worte wie blöde Sau oder Arschloch. Auch wenn’s treffend war – Majestätsbeleidigung ist eben auch eine Beleidigung, selbst wenn die Beleidigten keine Majestäten mehr waren. In der Regel haben die Übeltäter teuer bezahlt.

Bleibt heute heiter, Freunde!
Bleibt heiter und gelassen in Eurem Widerstand und laßt Euch nicht ins Boxhorn jagen. Fantasie ist ein weit besseres Argument als Aggression.

Bleibt heiter und widerständlerisch,
auch fürs nächste Jahr und darüber hinaus. Wir haben zwar nicht die Wahrheit gepachtet, aber wir wissen zuviel. Das macht uns ungeduldig, aber wir brauchen für die langen Zeiten und die harten Winter die Geduld!

Das wünschen wir Euch uns Ihnen allen:
Geduld und Gesundheit, Geld und Genügsamkeit, Großmut und Glück!

Merke: Ein Lächeln kostet weniger Elektrizität und bringt mehr Energie, meinte Abbé Pierre.
Auf dass wir weiterhin verschiedener Meinung sind und dennoch an einem Strang ziehen: Lasst tausend Blumen blühen.

Fritz Mielert / Peter Grohmann

Über Fritz Mielert

Fritz Mielert, Jahrgang 1979, arbeitete von 2013 bis 2017 als Geschäftsführer beim Bürgerprojekt Die AnStifter in Stuttgart. Davor betreute er ab 2011 bei Campact politische Kampagnen im Spektrum zwischen Energiewende und Vorratsdatenspeicherung, engagierte sich in der AG Antragsbearbeitung der Bewegungsstiftung, baute ab 2010 maßgeblich die Parkschützer als eine der wichtigsten Gruppierung im Protest gegen Stuttgart 21 auf und war ab 1996 mehrere Jahre ehrenamtlich bei Greenpeace aktiv.