BürgerInnenbrief

Liebe Bürgerinnen und Bürger,

dieser Tage wird ja mal wieder kräftig nach der Vergangenheit gegraben. Nein, nicht nach der unseres geliebten alten Landesfürsten Kurt Georg Kiesinger, alter Parteigenosse NSDAP seit 33, Ministerpräsident unseres patenten Landes und gar Bundeskanzler. In der guten alten Zeit war der hoch geachtete CDU-Mann ein treuer Diener von Goebbels. Gegraben wird auch nicht in der Biografie dieses furchtbaren Juristen und CDU-Granden Hans Filbinger, dem die Seinen übers Elterngrab hinweg die Treue halten. Filbinger – Sie erinnern sich?

Der wetterte gegen die „widerchristliche und volksfremden Kräfte“, er gehört zweifellos zu den freundlich so genannten Schreibtischtätern, die fünf Millionen ermordete Juden auf dem Gewissen haben. Ein grausamer Mensch, der sich am nationalsozialistischen Recht orientierte und als sein Deutsches Reich schon am Boden lag, noch Todesurteile fällt. Er machte nach ’45 Karriere, als Jürgen Trittin noch gar nicht auf der Welt war. Unser aller Ministerpräsident.

In der Vergangenheit gräbt auch das Studienzentrum Weikensheim, eine rückwärtsgewandte Initiative Filbingers, rechtsgestrickter Unternehmen und Personen, die der CDU im Kreuz hocken. Dort kämpft man für die „geistig-moralische Wende“ und gegen die Verfälschung der deutschen Geschichte, die Diffamierung des deutschen Soldaten und die Glorifizierung des Deserteurs. Sieg Heil also, gewissermaßen.

Die Themen dieses Wahlkampfs lassen einen verzweifeln! Da schrammen wir eben mal an der Katastrophe eines neuen Kriegs (gegen Syrien) vorbei, und da tanzen die Herren der Banken und des Geldadels in ganz Europa schon wieder auf dem brodelnden Vulkan der Finanzkrise. Da zeigen sich am Horizont erste Wolken von Rezession und Arbeitslosigkeit – und die Republik diskutiert über eine Stinkefinger. Da wissen 7 Millionen Menschen in Deutschland (also fast jeder zehnte Erwachsene und nahezu jeder vierte Beschäftigte), die im Niedriglohnsektor arbeiten, am Monatsende nicht, wie sie sich und ihre Familie ernähren sollen – und der Besserverdiener orakelt über die schwarz-rot-goldne Kette der Kanzlerin. Da hangeln sich Millionen von jungen Leuten von einem befristetem Arbeitsverhältnis zum anderen oder von einem Werkvertrag oder von einer Praktikantenstelle zur anderen, da gehen wir vor allem wegen der „Rentenreformen“ und prekärer Arbeit sehenden Auges auf millionenfache Altersarmut zu, da wird schon Hunderttausenden der Strom abgestellt, weil sie die Energiekosten nicht mehr bezahlen können, da bleibt immer mehr Menschen aufgrund der Mietpreisexplosion von ihrem Lohn nicht mehr übrig als das Existenzminimum, da brechen mehr und mehr Studierende unter der Prüfungslast zusammen….aber Deutschland sucht den Super-Sünder – und findet Trittin.

Redet auch jemand über rechtsradikalen Terror und die Opfer? Über das Versagen der CDU-Regierungen? Über Mord und Totschlag, über Menschenhandel? Warum findet im christlichen Deutschland die Not von Kindern und Jugendlichen, die sich prostituieren, weil’s ihnen dreckig geht, kaum Beachtung? Ist Ihnen bekannt, dass die Zahl minderjähriger Prostituierter bei uns inzwischen bei % liegt und weiter wächst? Oder wußten Sie, dass die Polizei von ca. 10.000 bis 20.000 prostituierten Jugendlichen und Kindern ausgeht? Jede 11. Prostituierte ist minderjährig, aber trotz dieser Katastrophe werden die Fördermittel für Hilfsprojekte immer knapper. Meist prostituieren sich die Minderjährigen aus sozialer oder existentieller Not. Ca. 90 Prozent der betroffenen Kinder und Jugendlichen, die von Hilfsorganisationen betreut werden, erlebten bereits in ihrer Familie oder dem Angehörigenkreis sexuelle Übergriffe.
Hierzu schweigt die gute Gesellschaft, wie sie zum Elend der Flüchtlinge schweigt und sich großartig fühlt, wenn wir für ein paar Tausend unsere Türen – nur einen Spalt breit! – öffnen. Moral?

Nein, danke. Peter Grohmann

Über Fritz Mielert

Fritz Mielert, Jahrgang 1979, arbeitete von 2013 bis 2017 als Geschäftsführer beim Bürgerprojekt Die AnStifter in Stuttgart. Davor betreute er ab 2011 bei Campact politische Kampagnen im Spektrum zwischen Energiewende und Vorratsdatenspeicherung, engagierte sich in der AG Antragsbearbeitung der Bewegungsstiftung, baute ab 2010 maßgeblich die Parkschützer als eine der wichtigsten Gruppierung im Protest gegen Stuttgart 21 auf und war ab 1996 mehrere Jahre ehrenamtlich bei Greenpeace aktiv.