BürgerInnenbrief 153

Der Mensch leidet an einer fatalen Verspätung – er begreift alles erst in der nächsten Generation.
Stanislaw Jerzy Lec

Liebe Bürgerinnen und Bürger:
was uns heute an Ignoranz, Dummheit, an Inkompetenz begegnet, geht auf keine Kuhhaut!

Wir waren am Samstag in Mannheim. In meiner Rede sagte ich,es gehe auch im Mannheim, um um Stadt, Zukunft, Geld – und Wahrheit. Überall marschiert der Kommerz, werden kommunale Wohnungen am Heuschrecken verhökert, steigen Mieten! Die gleichen Leut’, die Hartz IV, die Agenda 2010 durchgesetzt haben, schreiben in ihr Wahlprogramm: Wir wollen ein Land, in dem Armut und Hungerlöhne der Vergangenheit angehören. Die gleichen Leute, die zB. in Berlin das Trinkwasser verscheuert haben, rufen heut den Wählern zu: Wasser ist ein Menschenrecht! Untertauchen sollte man die, tunken, den Kopf waschen, notfalls im Mannheimer Hafen! Gestern Genossenschaftswohnungen verscheuern, jetzt scheinheilig wie bei der letzen Ölung rufen: Wohnen muss bezahlbar bleiben. Aber es geht uns eben nicht nur um Geld, es geht auch um Wahrhaftigkeit, es geht um Demokratie!

Die Apologeten des Fortschritts haben in den Jahrzehnten ihrer Herrschaft immer wieder das Blaue vom Himmel versprochen, aber sie schaffen es nicht mal, in Mainz zu halten! Blühende Landschaften im Osten, sichere Renten, mehr Arbeit für alle, Bürgerentscheid, Mitbestimmung und viel mehr Demokratie – eine schnellere Demokratie, eine weitere Demokratie, eine größere Demokratie,ein bessere Demokratie – und eine tiefere Demokratie, unter der Erde. Eine Demokratie, für die man 12 Milliarden auf den Tisch legt (und von 4.6 spricht). Eine Demokratie, für die man die grüne Lunge der Stadt opfert und 500 Bäume abholzt!

Eine Demokratie, in der die Polizisten Kinder verprügelt und alten Leuten mit giftigem Gas den Protest austreiben, eine Volksabstimmung,
die schon Monate später das Papier nicht mehr wert sind, auf dem sie gedruckt wurden! Eine Schlichtung, deren wichtigste Ergebnisse längst auf den Müll geworfen wurden! Ein Schlichter, der die Abschaffung des Kapitalismus proklamiert, sich aber von der Bahn am Nasenring durch die Manege ziehen läßt. So sieht’s aus:
Die Kosten explodieren und bei der Leistung Schwindel, Lug und Trug!
Die exzessive Ausnutzung von Mensch und Natur macht unsere Erde kaputt, in der Feudenheimer Au ebenso wie im Schloßgarten.Deshalb pfeifen wir auf Euer schneller und besser und weiter und tiefer, wenn dabei die Bäume vor die Hunde gehen, wenn Mensch und Natur leiden, wenn Angst und Aggression zunehmen, wenn die natürlichen Lebensgrundlagen gefährdet sind. Es geht nicht um Wohlstand oder Arbeit oder Zukunft, es geht um Rechthaben, Macht und Geld, um Vetternwirtschaft und gute Posten – und sei es bei der Bahn.

Bürgersinn und Zivilcourage – Eigensinn und Verantwortung: dafür stehen wir hier. Wir wollen nicht mehr alle paar Jahre unsre Stimmen abgeben und dann jahrelang die Schnauze halten! Weg mit den großkotzigen Gespenstern von gestern! Und wir fahren nach Mainz, um dazu beizutragen, dass es wieder singt und lacht.“ Soweit paar Gedanken aus meiner Mannemer Red’. Aufgemerkelt: Die falschen Fuffziger der Bahn heißen Grube, Kefer und Ramsauer, sie sind bei der Regierung in Umlauf, bei Industrie und Investoren, und die Landesregierung nimmt sie für bare Münze. Wir können sie aus dem Verkehr ziehen, auch die Falschmünzer, wenn wir am Ball bleiben. Das geht nicht von heut auf morgen und braucht einen langen Atem und Lust am Streit mit den Obrigkeiten! Die Mannheimer Aktion hatte was von der Fantasie und der Streitlust der neuen Demokraten.

Die Bewegung muss sich vor der Wahl noch einmal auf dem Schlossplatz zeigen, alle sollen es wissen: Die Straße lebt! Sie sorgt für frischen Wind. Und nach der Wahl ist vor der Wahl … Wir bleiben oben! Peter Grohmann

Über Peter Grohmann

Peter Grohmann, Jahrgang 1937, Breslauer Lerge, über Dresden auf d' Alb, dann runter nach Stuttgart: Schriftsetzer und Kabarettist, Autor und AnStifter gegen Obrigkeitsstaat und Dummdünkel. Mitgründer: Vom Club Voltaire übers undogmatische Sozialistische Zentrum, vom Theaterhaus zu den AnStiftern. Motto: Unruhe ist die erste Bürgerinnenpflicht. Was ärgert Grohmann? Alle, die den Arsch nicht hochkriegen, aber dauernd meckern. Und an was erfreut er sich? An Lebensfreude und Toleranz