BürgerInnenbrief 148

Liebe Bürgerinnen und Bürger,

es ist heiß draußen, während ich das schreibe – hoffentlich haben Sie wenigstens heute abend am Hauptbahnhof ein kühles Windle oder auch mal ein kräftiges Donnerwetter, wie ich es den Geldmachern von Stuttgart 21 wünsche. Eine kalte Dusche wünsch’ ich den Manipulateuren des Grundwasser-Managements, die sich nicht scheuen,mit leeren Händen vors Volk zu treten: weder die Stellungnahmen der Stadt noch des geologischen Landesamtes zur geologischen Stellungnahme der Bahn liegen bislang öffentlich vor. Das seit Jahren von der Stadt Stuttgart, dem Umweltministerium, dem Netzwerk Kernerviertel, Parkschützern, den Ingenieuren 22 und Medien verlangte geotechnische Gutachten hat die Bahn bis heute nicht erstellen lassen. Was für ein trauriger Zustand unserer Demokratie! Keine Ahnung, wie und wann und ob es heute beim Auftritt der Laienspielschar im Plieninger Apollotheater Beifall an den falschen Stellen gab, ob die Projekt-Einflüsterer ihren Stiefel durchziehen und ob das ganze Theater über die erste Szene im ersten Akt hinaus gekommen ist. Soviel jedenfalls ist klar: Wenn wir zum Besuch der Erörterungsveranstaltungen aufrufen – 16. und 17. Juli, ab 9 Uhr – und wenn wir Nachbarn und Freunde anstiften, eigne Einsprüche geltend zu machen, dann haben die ein Recht, gehört zu werden. Und wenn wir zur (Bürger-)Beteiligung aufgerufen werden, wenn das ganze nicht nur ein Spiel ist, um die Unruhe abzuschöpfen und in den Nesenbachdüker zu leiten, dann dürfen wir von den Verantwortlichen auch eine saubere Arbeit erwarten: Die geforderten Gutachten auf den Tisch, Sachlichkeit und die ernsthafte und sorgfältige Prüfung aller Einwände. Merkt auf, Obrigkeiten: Das hier ist kein Spiel, wir machen das nicht aus Jux und Tollerei! Wir opfern viel Geld und Zeit, wir geben uns große Mühe, Euch unsere Sorgen verständlich zu machen. Uns geht’s nicht, wie gern behauptet, um irgendwelche Belästigungen in Halbhöhenlagen – uns geht’s um das Wohl der Stadt, deren wichtigsten Schatz wir in Gefahr sehen: Die Mineralquellen. Bahnhöfe lassen sich notfalls wieder aufbauen, Tunnel schließen und Strecken umlegen.Aber wenn den Quellen etwas passieren sollte, dann ist Matthäi am Letzten, dann ist der Ofen aus. Werte Damen und Herren, unsere Quellen sind ein sehr seltenes und einmaliges Geschenk der Natur, ein Geschenk, das unter keinen Umständen verloren gehen darf. Es ist auch diese Sorge, die Ihnen unsren anhaltenden Widerstand vielleicht verständlich macht. Unsere Einwände sind fundiert und gut begründet. Wir sind in der Vergangenheit bei vielerlei Gelegenheiten von den Verfahren enttäuscht – nicht, weil wir bei dieser oder jener Abstimmung nicht die Mehrheit bekamen, sondern weil häufig mit falschen Fakten und Zahlen gearbeitet wurde, weil man an einem Tag Hü und am anderen Hott sagte – siehe Grundwassermanagement, um das Immobilienpferdle in Trab zu halten. Viele Leute sagen: Das war Absicht. Ich sage: Wenn nicht Absicht, dann Inkompetenz und Unvermögen. Das eine wär’ so schlimm wie das andere.

Gestern, bei unsere ausgezeichnet besuchten Aktion für den Erhalt der Holzbrücke über den Neckar, die ersatzlos abgerissen werden soll, wollte jeder zweite Passant, der nichts mit uns zu tun hatte, es gar nicht glauben, was da läuft. Das zeigt, wie viel noch notwendig ist an Aufklärung durch uns. Aber momentan haben ja so manche jede Menge Arbeit im Netz – für Debatten mit dem Volke bleibt natürlich nicht die notwendige Zeit, wenn man Kriegerles spielt. Unsere Stärke sind die vielen Meinungen, denn Politik geht uns alle an! Für Veränderungen der verkrusteten Verhältnisse im Lande braucht es viele mündige und mutige Bürgerinnen und Bürger, Menschen mit Geduld und Spucke, die die „Montagsversammlung ohne Zentralkomitee“als ihren Marktplatz begreifen: Zur Information, zum Austausch, als Ort der Ermunterung, an dem wir Freunde treffen, die in vielen Fragen vieler Meinung sind. Denn Vielfalt ist unsre Stärke, meint Ihr Peter Grohmann

Über Peter Grohmann

Peter Grohmann, Jahrgang 1937, Breslauer Lerge, über Dresden auf d' Alb, dann runter nach Stuttgart: Schriftsetzer und Kabarettist, Autor und AnStifter gegen Obrigkeitsstaat und Dummdünkel. Mitgründer: Vom Club Voltaire übers undogmatische Sozialistische Zentrum, vom Theaterhaus zu den AnStiftern. Motto: Unruhe ist die erste Bürgerinnenpflicht. Was ärgert Grohmann? Alle, die den Arsch nicht hochkriegen, aber dauernd meckern. Und an was erfreut er sich? An Lebensfreude und Toleranz