Peter Grohmann
Das Märchen vom Breuni-Bär und dem fliegenden Holländer

Einst lebte in den tiefen Wäldern der Wirttemer Berge ein Braunbär, ein gar putziges Tierchen und Schleckermäulchen, das alle gern hatten und liebevoll Bräuni nannten.

Bräuni nährte sich redlich im Reiche und wurde groß und kräftig und tapste mit seinesgleichen friedlich durch Wälder und Flure. Aber oh weh, es sollte der Tag kommen, an dem das Futter knapp wurde! Selbst die fleißigen Bienchen gaben kaum noch Honig. Bald schon, das ahnte unser Bärle, würden diese und jene im Reich der großen Tiere an Hunger leiden, denn es ist nie genug für alle da. Für so manches Tierle, das nicht von seiner Art war und nicht mehr rechts kauen konnte, mochte gar bald die letzte Stunde schlagen, das nützte alles Zahngold nicht. Und so seufzte er mitunter schwer und sagte sich im Stillen: Ha no, was dem oine sei Uhl, isch dem andern sei Nachtigall! Längst waren schwarze Wolken aufgezogen, und hie und schlug schon der Blitz ein – aber es war kein Begreifen im Land! Just da aber hörte er von einer mächtigen Zusammenkunft aller Braunbären, die Partei nehmen wollten auf ihre Art. Flugs besorgte er sich sein Parteibüchlein, um teilzunehmen von Anfang an und den anderen beim Begreifen kräftig nachzuhelfen. Bald schon gab dieses, bald jenes Tierchen den Kampf mit den Braunbären auf und suchte das Weite. Ha, die Ängstlichen verkaufen den Stärkeren Haus und Hof, die Schwächlichen packten ihr Köfferle, und wer kein Geld hatte, dem wurde eine Fahrkarte geschenkt – endlich waren die Braunbären unter sich. Bald schon war genug für alle da, soviel gar, daß Bräuni, der längst ein wundervolles Kaufhaus sein eigen nannte, um dort den Besten im Lande nur das Beste vom Besten anzubieten, den anderen Braunbären manches Gute tun konnte. Als die kalten Winter kamen, gab er dem Winterhilfswerk ein dickes Bündel Scheine, denn die Braunbären waren ein Volk ohne Raum und mußten sich bis ins Niemandsland jenseits von Auschwitz wagen, dort, wo es noch keine redliche deutsche Kaufsmannskunst gab. So zahlte er tapferle für Volkswohlfahrt und Altherrenbund, für Reichskriegerbund und Auslandsinstitut, und wenn Adolf Hitler Jahr um Jahr freundlich um eine Spende bat, so gab er dem Führer, was des Führers war und wie sich geziemte und freute sich, dass er schon seit den ersten Tagen des Mai im denkwürdigen Jahr 1933 das Gute, Wahre und Schöne erkannt und sorgsam befördert hatte. Geben und Nehmen, das war seine Devise all die Jahre. Und wer nicht einmal das verstand, der bekam, wenn er denn Zwangsarbeiter war, ein Totenhemdchen aus guten Stoffe, aus gutem Hause. Qualität, das wußte er, zahlt sich immer aus.

Nun freilich – das eine oder andere Totenhemdchen wurde noch vor der Zeit schmutzig bei jenen, die immer noch nicht begreifen wollten in den Kellern der Dorotheenstraße, dort, wo die Geheime Staatspolizei den Vaterlandsverrätern, den Juden und Schwulen und Kommunisten zeigte, wo der Barthel den Moscht holt.

Als der böse Krieg die Breuninger-Häuser zerstörte und nur das Hotel Silber, die alte Gestapozentrale, verschonte, kaufte er mit dem wenigen Geld, das ihm noch geblieben war, einen Bezugsschein für Persil und rubbelte und schrubbelte und wusch, was noch erhalten war an gutem Tuche aus guten Haus, blitzsauber. So manches gute Stück, das wußte man im Lande der Braunbären, ließt sich ja doch noch verwerten. Und sei es zu Seife.

Die Zeit heilt alle Wunden. Juden und Arbeitssklaven, wenn sie denn noch lebten, hatten mittlerweile so manche sauer genug verdiente Mark eingesackt: Ein zähes Völkchen, mag sich der Reingewaschene gedacht haben, und segnete 1947 das Zeitliche. Die Söhne aber, unter der schmerzhaften Gnade der späteren Geburt, spuckten in die Hände und bauten mit viel Fleiß wieder auf, was die Väter zerstrampelt hatten. Sie holten gar aus dem fernen und einst feindlichen Holland das tapfere Schneiderlein Willem G. van Agtmael, und nun waren endlich alle Westen wieder weiß.

Gelegentlich mag der gute, alte Herr aus Holland zum Hotel Silber, der alten Gestapozentrale in seiner Nachbarschaft, spazieren. Hier, im Herzen der Stadt, will ein kleines Wunderwerk der Wiedergutmachung schaffen, das Alte niederreißen und einen Tempel für die Reichen und die Schönen bauen, gemeinsam mit seinem Landesherrn und dem Segen des Stadtrats. Dann hält er vielleicht kurz inne, zieht die neuen Baupläne fürs da-Vinci-Areal aus der Westentasche, misst mit prüfendem Blick die Fassaden der Dorotheenstraße und fragt sich im Stillen, ob es sich wirklich lohnen wird, hier ein Nobelhotel entstehen zu lassen. Ach, wenn er doch fliegen könnte, fliegen, weit weit fort von hier…

Die Schreie aus den Folterkellern sind längst verstummt, alle Spuren sorgsam beseitigt. Fast alle.

Alfred Breuninger (1884-1947), NSDAP-Mitgliedsnummer 3224757, Mai 1933. Mitgliedschaften u.a. NS-Volkswohlfahrt, NS-Altherrenbund, Verein für das Deutschtum im Ausland, NS-Reichskriegerbund, Reichskolonialbund. Regelmäßigen Spenden an das NS-Winterhilfswerk (71 000 RM). Jährliche Adolf-Hitler-Spende ab 1933: 11 878 RM (steigend). Seit 1935 Aufsichtsrat der Württ. Bank (Deutsche Bank), Ratsherr. Am 1. April 1938 erwarb die Firma E. Breuninger AG von den jüdischen Eigentümern Josef Grünberg und Arthur Hirschfeld das Gebäude Marktplatz 16. Anfertigung von Uniformen aller Art, Auslieferungslager für die Einkleidung von Arbeitssklaven. Gekürzt.

Quellforschung Roland Maier. StAL EL 902/20 Bü 99478.

1980 übernahm Willem van Agtmael die Geschäftsleitung bei Breuninger.

Das Gebäude Doroheeenstraße 10 soll abgerissen werden, auf dem Gelände wollen Breuninger und das Land Baden-Württemberg ein Nobelhotel, eine Shoppingmall und Ministerien errichten.

Über Peter Grohmann

Peter Grohmann, Jahrgang 1937, Breslauer Lerge, über Dresden auf d' Alb, dann runter nach Stuttgart: Schriftsetzer und Kabarettist, Autor und AnStifter gegen Obrigkeitsstaat und Dummdünkel. Mitgründer: Vom Club Voltaire übers undogmatische Sozialistische Zentrum, vom Theaterhaus zu den AnStiftern. Motto: Unruhe ist die erste Bürgerinnenpflicht. Was ärgert Grohmann? Alle, die den Arsch nicht hochkriegen, aber dauernd meckern. Und an was erfreut er sich? An Lebensfreude und Toleranz