Verleihung des Friedenspreises an Sea-Watch
Das letzte Wort von Peter Grohmann

Peter Grohmann Foto: © M. Seehoff
Foto: © M. Seehoff

Geehrte Gesellschaft,
es war schön mit Euch, mit Sea-Watch, der Musik. Jetzt gleich, nach der Gala, können Sie sich beim offenen Foyer stärken, erfrischen, miteinander reden, Ärger und Lob und Geld los werden. Bleiben Sie! Das wird schön.

Und es wird noch schöner, wenn Sie die grüne Karte an Ihrem Sessel mitnehmen, anschauen, ausfüllen. Das ist ein Stück Demokratie: Einer trage des anderen Last. Das kommt mir zwar etwas christlich vor, aber es hilft bei gesellschaftlichem Unwohlsein. Tragen und getragen werden.

Apropos Demokratie: Die höchste Form der Demokratie ist nicht die Revolution – da müssten wir einfach viel zu lange warten. Ganz abgesehen davon kämen wir vermutlich als erste unter die Räder: Für die Aufmüpfigen und Unruhigen, die Wiedertäufer werden als erstes die Galgen gezimmert.

In den USA und bei Putin, im deutschen Gauland, in Syrien und Rot-China, im katholischen Polen und vor-faschistischem Ungarn. Nein, ich kann nicht alle nennen. Aber keine Angst, was Aufklärung und Revolution angeht.

Denn am liebsten sind uns Revolutionen im Ausland. Im Inland ist eher die Konterrevolution angesagt. Greta sieht alles. Klimawandel leugnen. Schiffe versenken. Das gehört zusammen,

Momentan haben bekanntlich die Kräfte von gestern Vorderwasser – die vielen, die wie ehedem auf Recht und Sicherheit und Ordnung pochen, auf Durchgreifen und Rausschmeißen und Verbieten, die neuen Bürgerwehren in den Landtagen und Medien, alle, die auf dichte Grenzen setzen, alle, die den Kindern zu Weihnachten beim Ertrinken zuschauen. Das klingt brutal. Die Realität ist brutaler. Das Meer ist weit, die Heimat liegt uns näher. Die Schreibtischtäter mit dem Feuerzeug in der Hand halten sich im Hintergrund, die Staatsanwaltschaften auch.

Unsere Online-Zeitung Kontext: Wochenzeitung hat einem Mitarbeiter der AfD im Landtag über die Schulter geschaut und jetzt einen Prozeß am Hals. Kostenrisiko 220.000 bis 250.000 €. Kontext hat durch rund 17.000 Seiten Facebook-Chats Einblick in hassverseuchtes, menschenverachtendes Denken gewährt, die Verachtung von Demokratie und Rechtsstaat, von Juden, Muslimen,von allem Fremden. Alltagssprache. Da ist von „Niggern und Asylnegern“ die Rede, von „Untermenschen“.

„Ich bin so voller Hass“, schreibt der im Landtag Angestellte, „Ich würde niemanden verurteilen, der ein bewohntes Asylantenheim anzündet. Oder: „Immerhin haben wir jetzt so viele Ausländer im Land, dass sich ein Holocaust mal wieder lohnen würde.“ Die Empörung über solche Posts hält sich in Grenzen, der Staatsanwalt hält sich bedeckt.

Die Angriffe auf die Zivilgesellschaft nehmen zu. Aber die Zivilgesellschaft singt das alte Lied:

Guten Abend gut‘ Nacht
Mit Rosen bedacht
Mit Näglein besteckt
Schlüpf unter die Deck‘
Schau im Traum’s Paradies
Schlafe selig und süß

Dieses „Morgen früh, wenn Gott will
Wirst du wieder geweckt“
gilt unseren Kindern, nicht den anderen.

Für die anderen haben wir zu sprechen, jede auf seine Art. Für alle, die keine Stimme haben. Für die Unterdrückten und Gefolterten, für alle, die vor der heißen Sonne fliehen, weil der Boden keine Früchte mehr trägt.

Sprechen für alle, die hier ihre „Neue Heimat“ verloren haben, die seit 1989 auf die Wende warten, die Angst um ihre Arbeitsplätze und die Zukunft ihrer Kinder haben.
Ihre Rente ist nicht sicher. Und Eure?

Im Film Der Untertan von Heinrich Mann begegnet uns ein Mensch von heute Unterdrücker der Familie, Ekel in der Fabrik, kein Arsch in der Hose, nie in einer Gewerkschaft, nie auf der Straße – außer bei Militärparaden.

Ein Maulheld und einer von vielen. Andere stechen unterdessen in See. Zu Weihnachten. Die einen auf Kreuzfahrtschiffen, mitten hinein und direkt auf den Markusplatz in Venedig, die anderen auf löchrigen Gummiboten, in alten Schaluppen.

Geehrte Gesellschaft, die Natur hat den Menschen mindestens fünf Sinne geschenkt, manchen von auch einen sechsten: Jetzt zu handeln, also radikaler zu werden, zuversichtlicher, ausdauernder, geduldiger. Wir können hören, nur zuschauen oder eingreifen, laut werden.

Wir können fühlen – mitfühlen, wie es dem Nachbarn geht. In Heslach, in Afrika, auf den Malediven. Wir können uns Sorgen machen um den Zustand des Landes, der Erde. Nur dann können wir glücklich sein Nutzen wir die Stunden zum Widerspruch, zur Anschauung, zur Unterhaltung.

Machen wir uns zu Rettungswesten, die die Hoffnung tragen.

Über Peter Grohmann

Peter Grohmann, Jahrgang 1937, Breslauer Lerge, über Dresden auf d' Alb, dann runter nach Stuttgart: Schriftsetzer und Kabarettist, Autor und AnStifter gegen Obrigkeitsstaat und Dummdünkel. Mitgründer: Vom Club Voltaire übers undogmatische Sozialistische Zentrum, vom Theaterhaus zu den AnStiftern. Motto: Unruhe ist die erste Bürgerinnenpflicht. Was ärgert Grohmann? Alle, die den Arsch nicht hochkriegen, aber dauernd meckern. Und an was erfreut er sich? An Lebensfreude und Toleranz